Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Der OF-Pelvis-Score

Die Entwicklung des OF-Pelvis-Scores erfolgte durch die Mitglieder der AG Osteoporotische Frakturen (AG OF) der Sektion Wirbelsäule der deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) in repetitiven Sitzungen über einen Zeitraum von 2 Jahren. Die Erstellung des OF-Pelvis-Scores erfolgte durch Falldiskussionen und Simulationen zahlreicher Patientenfälle, die in der AG OF detailliert diskutiert wurden. Als Basis dient die OF-Pelvis-Klassifikation [6], welche in einem gesonderten Aufsatz in dieser Ausgabe beschrieben wird. Einfließen sollten alle wichtigen Parameter, die bei der Entscheidungsfindung zwischen einer Operation und einer konservativen Therapie eine wesentliche Rolle spielen.

Hierzu wurden folgende Aspekte als wichtig angesehen:

Frakturmorphologie

Mobilisationsfähigkeit

Schmerzsituation

Frakturbedingte neurologische Defizite

Risikofaktoren wie aktive Blutverdünnung, Gebrechlichkeit, allgemeiner Krankheitsschweregrad gemäß American Society of Anesthesiologists (ASA)

Frakturmodifikatoren, die auf einen höheren Instabilitätsgrad oder weitere Verletzungen hindeuten

OF-Pelvis-Score

Der OF-Pelvis-Score ist übersichtlich in Tabelle 1 zusammengefasst.

Bei der Berechnung des Punktwerts wird die Frakturkategorie verdoppelt. Bei frakturbedingt immobilen Patientinnen und Patienten werden 2 Punkte addiert. Mobile Patientinnen und Patienten bekommen dagegen 2 Punkte abgezogen. Immobile Patientinnen und Patienten, die zuvor schon immobil waren oder solche, die zwar wieder etwas mobiler geworden sind, jedoch vergleichsweise schlechter als vor der Fraktur, bekommen keinen Punkt addiert oder abgezogen. Bei starken Schmerzen (VAS ? 5) wird ein Punkt addiert, während bei geringen oder moderaten Schmerzen (VAS < 5) 1 Punkt abgezogen wird. Im Falle von neurologischen Auffälligkeiten, die frakturbedingt sind, wird 1 Punkt hinzugefügt. Der Gesundheitszustand wird mittels Risikofaktoren beurteilt. Pro Risikofaktor (Blutverdünnung, Frailty, ASA) wird jeweils 1 Punkt abgezogen, maximal jedoch 2 Punkte [7–10]. Die in der OF-Pelvis-Klassifikation enthaltenden Modifikatoren (M1 = Fraktur Prozessus Transversus, M2 = Frakturdislokation und M3 = Knochenödem im Beckenring an anderer Stelle als der bekannten Fraktur) werden ebenfalls berücksichtigt. Das Auftreten eines Modifikators führt zu einer Punkterhöhung, begrenzt jedoch auf maximal 1 Punkt, auch bei Auftreten von mehreren Modifikatoren. Durch die Summe der Punkte wird dann der OF-Pelvis-Score generiert. Ist ein Merkmal nicht zu beurteilen bzw. unbekannt, werden 0 Punkte vergeben.

Therapieempfehlung in Abhängigkeit (der Punktesumme) des Scores:

0–7 Punkte = konservative Therapieempfehlung

8 Punkte = konservative oder operative Therapie möglich

9–15 Punkte = operative Therapieempfehlung

Die Anwendung des Scores wird in Abbildung 1 illustriert.

Erste Ergebnisse in der
Anwendung des Scores

Der OF-Pelvis-Score wurde retrospektiv an 107 Fällen in 5 Traumazentren anhand der Aktenlage und der Bildgebung bestimmt und mit der tatsächlich durchgeführten Therapie verglichen. Hier zeigte sich eine Gesamtübereinstimmung der Therapieempfehlung, die durch den OF-Pelvis-Score hergeleitet wurde und der tatsächlich durchgeführten Therapie (konservativ versus operativ) von 91 % [11]. Dieser Übereinstimmungswert bestätigt sich in der aktuell noch laufenden prospektiven Erhebung, an der 17 Zentren beteiligt sind. Hierbei zeigt sich, dass die Erhebung des Scores im klinischen Alltag rasch möglich ist. Im Schnitt sind in etwa 5 Minuten Arbeitszeit für die Erhebung des OF-Pelvis-Scores notwendig (unveröffentlichte Daten der laufenden Studie).

Diskussion

Die Therapie von osteoporotischen Beckenringinsuffizienzfrakturen wird bestimmt durch radiologische, aber auch klinische Befunde. Die im Rahmen der bisherigen Evaluation erhobenen Daten des OF-Pelvis-Scores zeigen auf, dass der Score eine sehr hilfreiche Unterstützung für die Entscheidungsfindung zwischen konservativer und operativer Therapie sein kann. Der Score ist einfach und schnell im klinischen Alltag anwendbar und die daraus resultierenden Therapieempfehlungen entsprechen in hoher Übereinstimmung den Therapieentscheidungen in erfahrenen Traumazentren. Allerdings müssen die Ergebnisse durch weitere unabhängige Studien bestätigt werden. Zudem sind weitere Erfahrungen bei der Anwendung des OF-Pelvis-Scores essenziell, um die potenziellen Vorteile des Scores zu erhärten und um zu prüfen, ob er sich auch im klinischen Alltag durchsetzen kann. Wichtig ist hierbei das Verständnis, dass es sich um einen dynamischen Score handelt, der neben der Frakturklassifikation wesentlich durch die Schmerzsituation und den Mobilisationsgrad getriggert wird. Demzufolge ist eine Beurteilung erst nach entsprechender Analgesie über mindestens 3–5 Tage sinnvoll. Zudem kann es bei Schmerzzunahme und/oder Reduktion des Mobilitätsgrades zu einer Zunahme des OF-Pelvis-Score-Punktwerts kommen, wodurch wiederum eine Operationsindikation abgeleitet werden könnte.

Schlussfolgerung

Zusammengefasst handelt es sich bei dem OF-Pelvis-Score um eine Entscheidungshilfe für die Indikationsstellung zur konservativen oder operativen Versorgung von osteoporotischen Beckenringfrakturen. Hierbei spielen die Frakturmorphologie, der Schmerz, der Mobilisationsgrad sowie Risikofaktoren die entscheidende Rolle. Die Erhebung kann zügig meist innerhalb von wenigen Minuten durchgeführt werden und die Übereinstimmungsrate mit der tatsächlich durchgeführten Therapie war in vorausgegangenen Untersuchungen hoch.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Korrespondenzanschrift

Dr. med. Klaus John Schnake

Zentrum für
Wirbelsäulen- und Skoliosetherapie

Malteser Waldkrankenhaus St. Marien

Rathsberger Str. 57

91054 Erlangen

klaus.schnake@waldkrankenhaus.de

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