Originalarbeiten - OUP 06/2013

Diagnostik und Therapie der akuten Patellaluxation

Liegen zusammen mit dem geschilderten Muster der Druckdolenzen bei der Untersuchung der Bandstabilität keine Hinweise für eine Verletzung der Kreuzbänder vor, so ist die Patellaluxation die wahrscheinlichste Diagnose, die es nun gilt, bildgebend abzuklären.

Zunächst ist eine Röntgenaufnahme des Kniegelenks mit einer Patellatangentialaufnahme erforderlich, um knöcherne Absprengungen an der Patella medial oder am lateralen Kondylus zu sehen und um bei der streng seitlichen Aufnahme die Trochleatypisierung nach Dejour festlegen zu können [7, 8]. Eine Patella-Defilee-Aufnahme in 30–60–90°-Beugung erbringt keine zusätzliche Information und ist nicht erforderlich [5, 9].

Die Klassifizierung der Trochleadysplasie nach Dejour unterscheidet die Typen A–D, wobei Typ A eine milde Form der Dysplasie mit abgeflachtem Sulcuswinkel, Typ B eine flache Trochlea ohne Vertiefung und Typ C die asymmetrische Kondylenausprägung mit ausgeprägter Hypoplasie der medialen Trochleaanteile dann im Typ D umfasst [7, 8].

Danach ist bei einer akuten traumatischen Patellaerstluxation eine MRT obligat zur Knorpeldiagnostik, aber auch zur Diagnostik des Rupturorts (Abb. 1) des MPFL (patellar-intraligamantär-femoral). Bereits 1999 konnte Nomura [10] zeigen, dass eine Ruptur des MPFL bei mehr als 90 % aller traumatischen Patellaerstluxationen vorliegt.

Einige Radiologen können im Rahmen dieser MRT-Untersuchung auch den TT-TG-Abstand bestimmen [11], der ansonsten nur in einem CT des Kniegelenks berechnet werden kann (Abb. 2) Im Falle einer traumatischen Erstluxation ist es zur Gesamtbeurteilung und auch zur Beratung des Patienten hinsichtlich der Rezidivgefahr wichtig, diesen TT-TG-Abstand zu kennen, auch wenn eine knöcherne Operation im Rahmen einer Erstluxation eine absolute Seltenheit darstellen sollte [6]. Der TT-TG-Abstand wird bis 15 mm als normal, ab 20 mm als absolut pathologisch eingestuft, der Wert zwischen 16–20 mm wird in seiner Wertigkeit für die OP-Indikation noch kontrovers diskutiert [5, 8, 12].

Therapie

Die Therapie richtet sich nach den bei der klinischen und bildgebenden Untersuchung festgestellten Befunden.

Eine konservative Therapie einer Patellaerstluxation ist immer dann möglich, wenn keine osteochondrale oder chondrale Begleitverletzung mit einem freien Flake vorliegt. Eine solche Verletzung findet sich in fast 40 % der Fälle [5, 9]. Zusätzlich ist festzustellen, dass eine im MRT nachgewiesene komplette ansatznahe Ruptur des MPFL am Femur mit einem erhöhten Rerupturrisiko einhergeht, weshalb in diesen Fällen ebenfalls eine primär operative Therapie erwogen werden sollte [13].

Konservative Therapie

Eine konservative Therapie wird demzufolge nur bei einer traumatischen Patellaerstluxation ohne chondrale oder osteochondrale Fragmentläsion und mit einer intraligamentären oder patellären Ruptur des MPFL vorgenommen.

Diese Therapie besteht in einer Immobilisierung des Kniegelenks in einer Orthese zusammen mit analgetischen und antiphlogistischen Maßnahmen lokal und systemisch. Eine Orthese ist für 6 Wochen erforderlich, die Extension wird für 4 Wochen mit 10° limitiert, die Flexion zunächst bis 45°, nach 14 Tagen mit 60° und nach 4 Wochen mit 90°, nach 6 Wochen wird die Orthese abtrainiert. Eine Belastung der verletzten Extremität ist nach 14 Tagen schmerzabhängig möglich.

Wichtig ist daneben eine transkutane Muskelstimulation für die Quadrizepsmuskulatur, die sehr rasch eine erhebliche Atrophie entwickelt.

Operative Therapie

In der operativen Therapie hat sich in den letzten 10 Jahren ein erheblicher Wandel ergeben. Die früher häufig durchgeführte Therapie mit medialer Retinaculumnaht, sei es offen als Raffung oder arthroskopisch und einer lateralen Retinaculumspaltung, entspricht nicht mehr dem aktuellen Stand der Therapie.

Die laterale Retinaculumspaltung hat nicht zuletzt seit den Untersuchungen von Ostermeier [14] keine Indikation mehr bei einer akuten Patellaluxation, da sie die Instabilität der Patella noch erhöht, und zwar sowohl nach medial als auch nach lateral [5, 14]. Entscheidend in der operativen Therapie ist eine an der pathologischen Situation orientierte Behandlung, die eine stabile Rekonstruktion des MPFL zum Ziel haben muss.

Bei der Patellaerstluxation mit einem chondralen und osteochondralen Flake muss rasch eine operative Therapie eingeleitet werden, da diese Knorpelflakes einer Verformung durch den Hämarthros und mechanisch durch die Kniegelenksbewegung ausgesetzt sind und dann eventuell nicht mehr refixierbar werden. Die Refixation des Fragments muss das Ziel jeder operativen Therapie sein, zusätzlich muss das MPFL am Ort der Ruptur rekonstruiert oder refixiert werden, sei es durch Knochenanker an Patella- oder Femuransatz oder durch eine Naht bei der intraligamentären Ruptur. Inwieweit bei einer Erstluxation das MPFL durch einen plastischen Ersatz bzw. eine Augmentation mit der Gracilis- oder Semitendinosussehne therapiert werden sollte, wird kontrovers diskutiert und ist sicher abhängig von der Gewebsqualität des medialen Retinaculums und der Gesamtpathologie des Patellofemoralgelenks. Eine eindeutige Aussage diesbezüglich ist derzeit nicht in der Literatur zu finden.

Liegt eine traumatische Patellarezidivluxation vor, so müssen auch die zusätzlichen, in der bildgebenden Diagnostik erhobenen Pathologien adressiert werden. Hier ist besonders der TT-TG-Abstand sowie die Ausprägung der Trochlea femoris, also der Grad der Trochleadysplasie, zu evaluieren.

Die Rekonstruktion des MPFL ist der essenzielle Bestandteil einer erfolgreichen operativen Therapie der Patellaluxation, entweder als isolierter Eingriff oder zusammen mit einer Versetzung der Tuberositas tibiae nach medial, sofern der TT-TG-Abstand > 20 mm ist und die Wachstumsfugen geschlossen sind.

Die Rekonstruktion des MPFL kann in einer Doppelbündeltechnik mit Fixation an der Patella durch 2 Knochenanker oder transpatellarer Bohrung und am Femur durch eine Interferenzschraubenfixation erfolgen. Hierzu werden verschiedene Techniken mit Gracilissehne oder Semitendinosussehne beschrieben, entscheidend ist die femoral korrekte Platzierung (Abb. 3) der Fixation [15, 16, 17, 18]. Diese femorale Insertion des MPFL wurde in verschiedenen Studien untersucht, die Insertion ist nach Lippacher [16] distal der Wachstumsfuge und erlaubt somit eine MPFL-Plastik auch im Wachstumsalter vor Fugenschluss, die Ergebnisse von Shea [18] und Keppler [15] widersprechen dem allerdings.

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