Übersichtsarbeiten - OUP 12/2016

Die aktuelle S2e-Leitlinie zum Hallux valgus

Bei der gegebenen hohen Prävalenz ist die Frage zur Ätiologie des Hallux valgus wichtig. Es zeigt sich zusammenfassend, dass die familiäre Disposition beim erworbenen Hallux valgus der einflussreichste ätiologische Faktor ist. Externe Faktoren wie redressierend einwirkendes, enges Schuhwerk oder Orthesen können zu einem Hallux valgus führen bzw. beim Vorliegen einer Prädisposition kann es zu einer früheren und ausgeprägteren Fehlstellung kommen. Die wichtige Frage zum voraussichtlichen Verlauf der Progression der Fehlstellung kann in vielen Fällen orientierend anhand der Familienanamnese und des entsprechend bestehenden Schuhwerks beantwortet werden.

Das Beschwerdebild, welches von den Patienten berichtet wird, beinhaltet in der Regel Schuhprobleme mit teilweise symptomatischen Druckstellen und – je nach Schweregrad – Hautirritationen bis zu Ulzerationen. Belastungsschmerzen, Ruheschmerzen oder Funktionseinschränkungen können hinzukommen.

Bei der Therapieentscheidung sollten unter anderem folgende Faktoren mit beachtet werden:

Diabetes mellitus

Gefäßerkrankungen

Fußpilzerkrankungen

neurogene Erkrankungen

Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises

Postoperativ kann eine vorübergehende Belastungsreduktion notwendig werden. Dahingehend ist eine durch den Patienten notwendige, mögliche Belastungsreduktion ebenfalls Teil der Anamneseerhebung und sollte in die Therapieentscheidung mit einfließen.

Zusammenfassend besteht die Empfehlung zu einer therapeutischen Maßnahme, wenn eine Fehlstellung auch von einer Beschwerdesymptomatik begleitet wird.

Diagnostik

Die Inspektion des Fußes und der gesamten unteren Extremität stellt einen wesentlichen Bestandteil der Untersuchung dar. Hierbei können trophische Hautveränderungen, welche in der Regel medial am Metatarsale-I-Kopf auftreten, erfasst werden und geben Eindruck über mögliche Druckprobleme. Begleitende Fehlstellungen der Kleinzehen wie Krallenzehen oder Hammerzehen können aufgrund der verdrängenden Wirkung des ersten Strahls entstehen und bedürfen in der Regel einer zusätzlichen konservativen oder operativen Therapie.

Die Diagnostik beinhaltet darüber hinaus auch die Erfassung bestehender Hilfsmittel (Einlagen, Schuhzurichtungen, orthopädisches Maßschuhwerk). Diese sollte hinsichtlich sowohl ihrer Nutzung als auch ihrer Wirkung bewertet werden.

Apparative Diagnostik

Die Leitlinienkommission der D.A.F. empfiehlt das native Röntgen des Fußes in 2 Ebenen im Stand (unter Belastung). Die Abbildungen 1b, 2b und 3b zeigen die belasteten (posterior-anterior-) Röntgenaufnahmen unterschiedlicher Schweregrade des Hallux valgus. Die Einstellung der Röntgenröhre sollte so gewählt werden, dass mindestens der Vor- und Mittelfuß sichtbar sind. Die Darstellung des gesamten Fußes ist wünschenswert. Die Aufnahmen sollten in 2 Ebenen (dorso-plantar) durchgeführt werden. In den nativen Belastungsaufnahmen können spezifische Winkel erfasst werden, die die therapeutische Entscheidung beeinflussen:

Intermetatarsale-Winkel I/II (IM-I/II-Winkel): Eröffnungswinkel zwischen dem Metatarsale-I- und dem Metatarsale-II-Knochen

Hallux-valgus-Winkel (HV-Winkel): Eröffnungswinkel zwischen dem Grundglied D I und dem Metatarsale-I-Knochen

Anhand dieser ermittelten Werte ist die Beurteilung des Schweregrads der Hallux-valgus-Fehlstellung möglich. In Abbildung 4 wird die von der Leitlinienkommission der D.A.F. empfohlene Einteilung dargestellt.

Weitere Röntgenaufnahmen (Schrägprojektion oder tangentiale Sesambeinaufnahmen) sind je nach gegebenem klinischen Befund möglich. Die Ganzbeinaufnahme oder spezifische Rückfußaufnahme (nach Saltzman) sind von Vorteil zur Beurteilung der Gesamtachse der unteren Extremität bzw. des Rückfußes. Die Pedografie und die Podografie sind apparative Maßnahmen, welche spezifische Aussagekraft über die plantaren Druckverteilungsmuster geben können. Je nach Ermittlung sind somit Aussagen sowohl zum dynamischen als auch zum statischen plantaren Belastungsprofil des Fußes möglich.

Zusammenfassend ist zur radiologischen Diagnostik und präoperativen Planung des Hallux valgus das native Röntgen (d.p. und lateral) des Fußes (mindestens Mittel- und Vorfuß) im Stand (unter Belastung) durchzuführen.

Therapie

Die Therapieziele beim symptomatischen Hallux valgus bestehen darin:

Schmerzreduktion

Korrektur der Fehlstellung

Funktionsgewinn für den Patienten

Konservative therapeutische Maßnahmen zielen sowohl auf eine fokussierte Belastungsveränderung als auch eine Druckentlastung im Schuh. Bei der empfohlenen Schuhversorgung werden folgende Kriterien empfohlen:

weiches Oberleder

ausreichend große Zehenbox

ggf. additive Einlagenversorgung und/oder Schuhzurichtung

Die Einlagenversorgung wird in der Regel mittels einer retrokapitalen Abstützung der Metatarsale-Knochen eingearbeitet, die Schuhzurichtung im Sinne einer Ballenrolle bei Vorliegen einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung des Großzehengrundgelenks oder einer Metatarsalgie.

Redressierende Orthesen sind beim Vorliegen eines symptomatischen Hallux valgus zur Schmerzreduktion möglich. Solche redressierenden Orthesen zeigen jedoch nach Abnahme keine signifikante langfristige Verbesserung der Hallux-valgus-Fehlstellung.

Physiotherapeutische und manuelle therapeutische Maßnahmen können sowohl isoliert als auch in Kombination mit weiteren konservativen oder operativen Behandlungen durchgeführt werden.

Die isolierte Einlagenversorgung bzw. das Abwarten ohne Therapie beim Vorliegen eines symptomatischen Hallux valgus sind der operativen Therapie unterlegen. Die S2-Leitlinie „Hallux valgus“ empfiehlt daher aufgrund der vorliegenden Literatur beim symptomatischen Hallux valgus die operative Therapie.

Der Leidensdruck des Patienten ist der orientierende Parameter der Indikationsstellung. Der Leidensdruck oder die Einschränkung der Lebensqualität können unter anderem bei Schmerzen, Schuhproblemen, rezidivierenden Ulzerationen oder Funktionseinschränkungen im Bereich des Hallux valgus oder angrenzender, verdrängender Zehen entstehen.

Operative Therapie

Die operative Therapie beinhaltet sowohl die knöcherne Fehlstellung als auch die periartikulären Weichteilstrukturen. Die operativen Maßnahmen können in gelenkerhaltende und gelenkresezierende Therapieoperationen unterteilt werden.

Als mögliche gelenkerhaltende operative Maßnahmen gelten die isolierte Pseudoexostosenabtragung und die Korrekturosteotomien mit jeweils zusätzlichen Weichteileingriffen. Die Korrekturosteotomien können isoliert oder in Kombination am Metatarsale-I-Knochen, am Grundglied D I oder am Os cuneiforme mediale durchgeführt werden.

Die Großzehengrundgelenk-Arthrodese kann beim Hallux valgus et rigidus indiziert sein oder bei reduzierten Weichteilsituationen, die kein funktionsfähiges Gelenk mehr darstellen. Die Arthrodese des TMT-I-Gelenks (Lapidus-Arthrodese) stellt dagegen eine Korrektur unter Erhalt des Großzehengrundgelenks dar. Die Resektionsarthroplastik nach Keller-Brandes stellt ein gelenkresezierendes Verfahren dar.

Zusammenfassend besteht als Ziel die Korrektur sowohl des Metarsus primus varus als auch des HV-Winkels. Zu beachten ist des Weiteren die achsgerechte Einstellung des distalen metatarsalen Gelenkflächenwinkels (DMAA).

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