Originalarbeiten - OUP 11/2012

Die Bedeutung des Atlas aus der Sicht der Angewandten
Humankybernetik sowie seiner biomechanischen Belastung und Funktionsweise

H. Koerner1, C.-H. Siemsen2

Zusammenfassung

Der tägliche Umgang mit der Manuellen Medizin, Osteopathie, Angewandten Humankybernetik im Bereich des Atlas und den positiven Auswirkungen auf unsere Behandlungsergebnisse bei einem großen Diagnosespektrum der Patienten wirft die Frage auf, wie sich die Kraftverhältnisse im Kopfgelenkbereich C0/C1, C1/C2 darstellen. Steuer- und Regelvorgänge in dieser Region sind durch angewandte und theoretische Grundlagen der Humankybernetik nachgewiesen. Besondere anatomisch bedingte Muskelkräfte und Verläufe im Kopfgelenkbereich weisen darauf hin, dass die Gelenkbelastung C0/C1, C1/C2 deutlich geringer sein muss als bislang angenommen. Dieses entspricht auch den Erkenntnissen der Kraftverteilung in Fachwerken und lässt sich über Tensegrity erklären. Die vorliegende Arbeit versucht diese Erkenntnisse von Humankybernetik und Tensegrity zu verbinden.

Schlüsselwörter: Atlasmedizin, Humankybernetik, Biomechanik, Atlasbelastung, Tensegrity.

Summary

The daily work with manual medicine, osteopathy, applied human cybernetics in the area of the atlas, i.e. the first vertebra, and its favorable consequences for the results of our treatment of patients of a broad diagnostic spectrum raises the question about the relation of forces in the C0/C1, C1/C2 region. The existence of steering mechanisms and controls in this region is well-proven by the applied and theoretical principles of human cybernetics. Under the given anatomic conditions special muscle forces and structures in the region of the vertebrae close to the head joint show that the strain on C0/C1, C1/C2 must be significantly lower than supposed until now. This is in accordance with the knowledge about the distribution of mechanical forces in half-timbering and can be explained by the principles of tensegrity. This article tries to combine the knowledge about human cybernetics and tensegrity.

Keywords: atlas medicine, human cybernetics, biomechanic, atlas load bearing, tensegrity

Einleitung

Die langjährige diagnostische Auswertung von Röntgenbildern der Atlasregion hat ergeben, dass erstaunlicherweise keine nennenswerten Arthrosen der Kopfgelenke, also im Bereich der Gelenke C0/C1 und C1/C2, auftreten. Dieses hat zu der Überlegung geführt, dass weniger vertikal wirksame Kräfte in diesen beiden Gelenkabschnitten auftreten, als zunächst und bislang biomechanisch angenommen wurde. Allein das Kopfgewicht mit 4,5–5 kg gab Anlass, von einer höheren Belastung in diesen Gelenkabschnitten auszugehen. Hinzu kamen der Grundtonus der umgebenen Muskulatur und die dynamische Belastung der Halswirbelsäule beim Gehen und Drehen im täglichen Leben. Immer wieder erstaunt waren die Autoren darüber, dass sehr gute Behandlungswirkungen durch Atlasmedizin, Manuelle Therapie und Osteopathie in diesen Gelenkabschnitten sowohl bei Säuglingen als auch bei Erwachsenen zu erreichen sind. Verschiedene sehr differenzierte und komplizierte Behandlungsdiagnosen lassen sich mit den genannten Methoden behandeln. Die Suche nach Erklärungen für diese Phänomene hat zu theoretischen Überlegungen geführt, die im Weiteren aufgeführt werden.

Theoretische Grundlagen
der Humankybernetik

In unserem täglichen Leben begegnen wir der Kybernetik auf Schritt und Tritt, wir sind von unzähligen technischen Regelkreisen umgeben. Denken wir nur an die Regulierung einer Zentralheizung oder an den simplen Regelkreis einer Toilettenspülung. In der technischen Kybernetik sind alle Bauteile wie Regler, Regelstrecke mit Sensor sowie die Signalfrequenzen bekannt und bilden einen geschlossenen Regelkreis. So ist z.B. die Regulation von Wärme, Wasserdruck und Energieverteilung in einem Haus technisch sehr einfach zu erklären. Regler und Führungsgröße sind auf die Regelstrecke und Störgröße abgestimmt und arbeiten mit messbaren Signalen (Abb. 1).

In der Humankybernetik stehen wir vor dem regeltechnischen Wunderwerk Mensch. Hier sind die biologischen Regelkreise stark miteinander vernetzt. Führungsgröße und Störgröße sind in einem biologischen System nicht eindeutig abzugrenzen, weil häufig die Führungsgröße des einen Teils der vernetzten Regler zugleich die Störgröße des anderen darstellt [1]. Da wir es mit einem biologischen System zu tun haben, könnte man auch von biokybernetischen Prozessen sprechen. Im Folgenden wird aber der Begriff „humankybernetisch“ gewählt, da sich die Biokybernetik mit einem geschlossenen internen Signaltransfer von Information beschäftigt, wir aber auch einen offenen Informationstransfer mit Auswirkung auf die interne Signalverarbeitung berücksichtigen müssen. Bei mobilen Lebewesen hat sich die Natur für eine duale, asymmetrische Kybernetik mit einer dominanten Körperseite (Führungsgröße) und einer sensiblen Körperseite (Kooperationsgröße) entschieden. Dieses biokybernetische Ungleichgewicht (Asymmetrie) beider Körperhälften ist von der Natur mit einem jeweils vorgegebenen steuerenergetischen Toleranzfeld angelegt und ist notwendig, um den “Dualcomputer“ Gehirn mit stabilen Informationsdaten zu füttern [1].

Eine zentrale Aufgabenstellung der Humankybernetik ist die leistungsbezogene ausgeglichene Energieverteilung der Zellen untereinander. Mit zunehmender Anzahl von Zellen kann die Energieverteilung nur mit einem energetisch ausgeglichenen Leistungsprofil über eine funktionelle Aufgabenteilung erreicht werden. Da alle Zellen die gleiche DNA-Steuerung haben, werden die unterschiedlichen Leistungsanforderungen von Zellverbänden energetisch über Kaskadenregulation angemessen versorgt. Unter diesem Gesichtspunkt ist das hierarchisch-zelluläre Netzwerk der Energieverteilung steuer- und regeltechnisch am einfachsten nachvollziehbar und zeigt, dass die Zellen über ein perfektes kybernetisches Netzwerk die Energieverteilung letztendlich selbst steuern.

Die biologische Regulation von Körperwärme, Blutdruck und Energieverteilung sowie die Biomechanik und Sinneswahrnehmung beim Menschen können wir als einen kompletten humankybernetisch geschlossenen Regelkreis nicht nachweisen, da das Steuerprogramm des Reglers in der Zell-DNA verankert ist.

Biomechanik von Atlasringmuskulatur und Atlas

Biomechanisch betrachtet ist der Atlaswirbelkörper ein in 3 Raumebenen frei beweglicher Gleitring im Funktionsverband der Kopfgelenkeinheit. Da die Überlappung der korrespondierenden Gelenkflächenanteile von der Neutral-Null-Methode in allen Richtungen eine abnehmende ist, spricht dieser Fakt gegen eine funktionelle Stützfunktion. Unter diesem Aspekt bleibt der angehängte Muskelring der Atlasregion als das tragende Stützelement übrig. Betrachtet man hier die Aufhängung des Atlaswirbelkörpers im muskulären Fachwerkverband, stellt sich dieser selbst als ein funktioneller Stützpfeiler der Querkräfte zwischen den antagonistisch arbeitenden Muskeleinheiten der rechten und linken Körperhälfte dar. Hauptaufgabe des Atlasringes ist es, sowohl die Gleitführung zwischen Schädelbasis und Dens als auch das Auffangen der Querkräfte in horizontaler Ebene zu übernehmen. Das heißt: Um den Kopf zu tragen, werden Stützlast, Stoßdämpfung, Scherkräfte und Beweglichkeit in der Atlasregion nur muskulär bewältigt und gesteuert! Die eigentliche Stützfunktion unseres etwa 4,5–5 kg schweren Kopfes übernimmt die Muskulatur, die den Atlas umgibt. Auf dieser Muskulatur, vergleichbar einer Tensegrity-Fachwerkkonstruktion, lastet in vertikaler Position eine gleichmäßig verteilte Zugbelastung (Abb. 2).

Humankybernetik von
Atlasringmuskulatur und
Atlas (Arbeitshypothese)

SEITE: 1 | 2 | 3