Übersichtsarbeiten - OUP 03/2018

Die Behandlung der distalen Humerusfraktur bei geriatrischen Patienten

Ulrich C. Liener1, Ulf W. Bökeler1

Zusammenfassung: Distale Humerusfrakturen stellen eine Herausforderung bei geriatrischen Patienten dar. Die Frakturen betreffen häufig Patienten, die noch alleine leben und sich selbst versorgen, die jedoch eine schlechte Knochenqualität und geringe physiologische Reserven aufweisen. Das Ziel der Behandlung ist das Erreichen eines Funktionsniveaus, welches ermöglicht, die Alltagsaktivitäten in ausreichender Art und Weise auszuführen. Eine konservative Behandlung ist nur in Einzelfällen für Patienten angezeigt, die inoperabel sind. Die offene Reposition und interne Fixation ist die Standardbehandlung der Frakturen, die stabil fixiert werden können und bei denen postoperativ eine frühe freifunktionelle Behandlung möglich ist. Trotz der sehr guten funktionellen Ergebnisse ist der endoprothetische Gelenkersatz des Ellengelenks aufgrund der möglichen Komplikationen ausgewählten Patienten vorbehalten.

Schlüsselwörter: distale Humerusfraktur, Osteosynthese,
Ellengelenkprothese

Zitierweise
Liener UC, Bökeler UW: Die Behandlung der distalen Humerusfraktur bei geriatrischen Patienten.
OUP 2018; 7: 151–154 DOI 10.3238/oup.2018.0151–0154

Summary: Distal humerus fractures present complex challenges in geriatric patients. The goal is a stable and functional elbow. Open reduction and internal fixation is the standard treatment for fractures with sufficient bone stock. Total elbow arthoplasty is reserved for selected patients with severe comminuted fractures.

Keywords: distal humerus fracture, open reduction and internal fixation, total elbow arthoplasty.

Citation
Liener UC, Bökeler UW: Distal humerus fractures in geriatric patients. OUP 2018; 7: 151–154 DOI 10.3238/oup.2018.0151–0154

Einleitung

Distale Humerusfrakturen weisen eine bimodale Verteilung auf. Unterschieden werden muss zwischen einem hoch energetischen Trauma, welches in erster Linie junge Männer betrifft, und niedrig energetischen Traumen geriatrischer Patienten, häufig ein Sturz aus dem Stand. Die Inzidenz der distalen Humerusfrakturen wird sich in den nächsten Jahren aufgrund der Lebenserwartung und der Osteoporose-Epidemie wahrscheinlich verdreifachen, wobei die Zunahme in erster Linie betagte Patienten betreffen wird [8].

Ähnlich wie die proximale Humerusfraktur betrifft die distale Humerusfraktur in erster Linie alleine lebende Frauen ohne wesentlichen Hilfsbedarf [2]. Die Verletzung bedroht somit signifikant die Unabhängigkeit und Lebensqualität der Patienten. Die Ellengelenkbeweglichkeit ist essenziell, um die grundlegenden Aktivitäten des täglichen Lebens durchzuführen, wie z.B. die Nahrungsaufnahme sowie Körperhygiene und Selbstversorgung. Das Ziel der Behandlung ist daher ein schmerzloses stabiles Ellengelenk mit einem Bewegungsausmaß von 30–130° Flexion.

Die überwiegende Anzahl der Patienten weist eine sehr schlechte Knochenqualität auf, häufig handelt es sich um komplexe intraartikuläre Frakturformen mit schlechten Weichteilen und herabgesetzten physiologischen Reserven.

Klassifikation

Die AO/OTA-Klassifikation beschreibt bei der distalen Humerusfraktur zutreffend die Frakturmorphologie sowie das Ausmaß einer intraartikulären Beteiligung [7]. Hierbei wird zwischen extraartikulären Typ-A-Frakturen, partiell artikulären Frakturen (Typ B) sowie vollständig artikulären Frakturen (Typ C) unterschieden. Bei Typ-C-Frakturen besteht eine völlige Kontinuitätsunterbrechung zwischen dem Gelenkblock und dem Schaft. Bei erwachsenen jungen Patienten findet sich eine nahezu gleichmäßige Verteilung zwischen Typ-A-, B- und C-Frakturen. Dies ändert sich im geriatrischen Patientengut grundlegend. Hier handelt es sich in zwei Dritteln der Fälle um Typ-C-Verletzungen, ebenfalls steigt in dieser Patientengruppe die Rate der offenen Verletzungen auf 16 % [5].

Klinische Einschätzung

Das biologische Alter, das Aktivitätsniveau und der kognitive Status sind grundlegende Kriterien, die in die Therapieentscheidung miteinbezogen werden müssen. Häufig liegt bei den Patienten eine behandlungsbedürftige Multimorbidität vor. In diesen Fällen empfiehlt sich bereits präoperativ die Einleitung einer geriatrischen Mitbehandlung. Die Initialuntersuchung beinhaltet die genaue Inspektion und Dokumentation des Weichteilzustands sowie die Erhebung des neurologischen Status. Da häufig degenerative Veränderungen des Ellengelenks vorliegen, die eine Klassifikation der Fraktur deutlich erschweren, sollten zusätzlich zu den konventionellen Standardprojektionen immer Computertomografien des Ellengelenks angefertigt werden. Initial erfolgt die Anlage einer Oberarmgipsschiene in 30°. Offene Frakturen stellen einen Notfall dar, der sofortige chirurgische Intervention erfordert.

Konservative Behandlung

Obwohl die konservative Behandlung aufgrund der guten Ergebnisse der winkelstabilen Plattenosteosynthese und des endoprothetischen Ersatzes kaum noch angewendet wird, besitzt sie immer noch einen Stellenwert in der Behandlung von Patienten, die inoperabel sind oder eine sehr schlechte Funktion bereits vor der Fraktur aufwiesen. Zu bedenken ist jedoch, dass die Pseudarthrosenrate bei konservativer Behandlung nahezu 6- mal höher ist als in vergleichbaren chirurgischen Fällen. Obwohl die funktionellen Ergebnisse im Langzeitverlauf akzeptabel sind, beträgt die Rate der Patienten, die aufgrund lokaler Probleme operativ versorgt werden müssen – in erster Linie wegen ausbleibender knöcherner Konsolidierung – bis zu 45 % [1].

Offene Reposition
und Osteosynthese

Die Entwicklung der winkelstabilen Implantate hat in den letzten Jahrzehnten zu einem Paradigmenwechsel in der Behandlung distaler Humerusfrakturen geführt. Mit den modernen Plattensystemen lassen sich auch bei hochaltrigen Patienten sehr gute funktionelle Ergebnisse erzielen. Im Vergleich zum biologisch jüngeren Patienten weisen geriatrische Patienten zwar etwas schlechtere funktionelle Ergebnisse auf, dennoch kann bei fast 80 % ein zufriedenstellendes funktionelles Ergebnis mit einer vergleichbaren Komplikationsrate wie bei jüngeren Patienten erzielt werden [5]. Aufgrund der guten Daten stellt daher die operative Versorgung heutzutage die Standardbehandlung dar. In die Gesamtüberlegung muss jedoch miteinbezogen werden, dass es sich hierbei um eine technisch sehr anspruchsvolle Operation handelt, die mit einer bis zu 30%-igen Komplikationsrate behaftet ist [8]. Die chirurgische Intervention sollte zeitnah nach Konsolidierung der Weichteilsituation durchgeführt werden. Technisch am schwierigsten und mit der höchsten Komplikationsrate vergesellschaftet ist eine späte Versorgung 2–3 Wochen nach dem Unfallereignis.

Aufgrund der komplexen Gesamtsituation sollte präoperativ ein ausführliches Aufklärungsgespräch mit dem Patienten sowie den Angehörigen erfolgen. Hier muss insbesondere auch auf die zugangsassoziierte Morbidität wie heterotope Ossifikationen sowie Pseudarthrosen im Bereich der Olecranonosteotomie und die mögliche Notwendigkeit einer Metallentfernung eingegangen werden.

Operative Technik

Typischerweise wird der Patient in Bauchlage gelagert. Es erfolgt ein gerader posteriorer Hautschnitt. Bei intraartikulären Frakturen verwenden wir grundsätzlich eine Olecranonosteotomie, da diese eine adäquate Exposition des Gelenks ermöglicht. Zudem lässt sich die Fixation der Gelenkfragmente besser und schneller erzielen. Zur Refixation der Olecranons stehen zudem heutzutage präkonturierte Platten zur Verfügung, mit denen das Olecranon sicher und schnell am Ender der Operation refixiert werden kann. Der posteriore „Triceps on“-Zugang (Alonso Llames) wird nur bei extraartikulären oder einfachen intraartikulären Frakturen verwendet.

Unter Lupenbrillensicht wird der Nervus ulnaris dargestellt, dieser wird angezügelt und während der ganzen Operation visualisiert, insbesondere bei Implantation der Platten, um eine Verletzung zu vermeiden. Im ersten Schritt erfolgt die Rekonstruktion des Gelenkblocks und die Wiederherstellung der Länge, Achse und Rotation. Technisch anspruchsvoll ist das Management von Defekten im Bereich der Trochlea. Um die Breite der Trochlea wieder herzustellen, müssen Stellschrauben verwendet und knöcherne Defekte mit Knochenersatzmaterial aufgefüllt werden. Häufig ist auch das Capitulum-Fragment in den radialen Pfeiler imprimiert. Dieses muss angehoben und abgestützt werden. Besteht eine supracondyläre Defektzone, kann eine Verkürzung im metaphysären Bereich durchgeführt werden, um eine stabile Fixation des Gelenkblocks am Schaft zu erzielen. Aufgrund des engen periartikulären Raums empfiehlt sich der Einsatz präkonturierter winkelstabiler Platten für den distalen Humerus [7, 9]. Intraoperativ erfolgt zum Abschluss noch eine dynamische Untersuchung unter Durchleuchtung, um eine freie uneingeschränkte Beweglichkeit zu überprüfen.

Endoprothetischer
Ellengelenkersatz

Aufgrund der potenziell verheerenden Komplikationen und der Einschränkung bezüglich der Belastbarkeit ist eine sorgfältige Patientenauswahl essenziell. Die Indikation zum endoprothetischen Gelenkersatz ergibt sich bei komplexen Frakturen mit nicht mehr rekonstruierbarem Gelenkblock, hier insbesondere weit distal liegende sogenannte „Low plane“-Frakturen sowie ausgeprägter Osteoporose und präexistenter Arthrose [3]. Vermieden werden sollte auf jeden Fall ein Osteosyntheseversuch da die Komplikationsrate bei endoprothetischem Ersatz nach Osteosyntheseversagen im Vergleich zur Primärimplantation deutlich erhöht ist [4].

Bei geeigneten Patienten lässt sich durch den endoprothetischen Gelenkersatz ein funktionell gutes Ergebnis erzielen [4]. Die Patienten müssen jedoch die funktionellen Restriktionen in Bezug auf Hebebelastung von maximal 2,5 kg einhalten. Gute Ergebnisse liegen in der Literatur für sogenannte teilgekoppelte Prothesen vor. Durch die nicht starre Kopplung, dem sogenannten sloppy hinge, besteht ein Spiel von 6–8° Varus, Valgus und Rotationsbewegungen, die dazu führen, dass das Zement-Knochen-Interface weniger belastet wird. Hierdurch reduziert sich die Lockerungsrate. Das Prothesendesign ist nicht auf einen intakten Radiuskopf oder intakte Kollateralbänder angewiesen.

Operative Technik

Im Gegensatz zu der osteosynthetischen Versorgung erfolgt die Implantation der Ellengelenkprothese in der Originaltechnik nach Morray in Rückenlage. Es erfolgt ein gerader dorsaler Hautschnitt. Nach Darstellen des Nervus ulnaris wird der Gelenkblock über einen Triceps-on-Zugang dargestellt und die artikulären Fragmente entfernt. Besondere Aufmerksamkeit muss bei der Präparation der Ulna gewidmet werden. Hier ist es sinnvoll, mit einer kleinen Handfräse den intramedullären Eintritt in die Ulna zu präparieren. Postoperativ erfolgt die Ruhigstellung im Oberarmgips bis zur vollständigen Konsolidierung der Weichteile. Im Gegensatz zur Osteosynthese ist eine frühe Mobilisierung des Ellenbogens nicht notwendig. Das Abheilen der Weichteile hat hier oberste Priorität. Das funktionelle Ergebnis kann mit einem durchschnittlichen Bewegungsausmaß von 100° und akzeptablen Standzeiten als gut beurteilt werden [3].

Fazit für die Praxis

Sowohl mit Osteosynthese als auch durch den endoprothetischen Gelenkersatz lassen sich bei geriatrischen Patienten gute klinische Ergebnisse erzielen. Die Operationen sind jedoch technisch anspruchsvoll und mit einer potenziell hohen Komplikationsrate behaftet.

Interessenkonflikt: keine angegeben.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Ulrich C. Liener

Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Wiederherstellungschirurgie

Zentrum für Schwerbrandverletzte

Vinzenz von Paul Kliniken gGmbH

Marienhospital Stuttgart

Böheimstraße 37

70199 Stuttgart

ulrich.liener@vinzenz.de

Literatur

1. Aitken SA, Jenkins PJ, Rymaszewski L: Revisiting the ‘bag of bones’: Functional outcome after the conservative management of a fracture of the distal humerus. Bone Joint J 2015; 97-B: 1132–8

2. Charissoux JL, Vergnenegre G, Pelissier M, Fabre T, Mansat P: Epidemiology of distal humerus fractures in the elderly. Orthop Traumatol Surg Res 2013; 99: 765–9

3. Gambirasio R, Riand N, Stern R, Hoffmeyer P: Total elbow replacement for complex fractures of the distal humerus: An option for the elderly patient. J Bone Joint Surg Br 2001; 83: 974–8

4. Githens M, Yao J, Sox AH, Bishop J: Open reduction and internal fixation versus total elbow arthroplasty for the treatment of geriatric distal humerus fractures: A systematic review and metaanalysis. J Orthop Trauma 2014; 28: 481–8

5. Huang TL, Chiu FY, Chuang TY, Chen TH: The results of open reduction and internal fixation in elderly patients with severe fractures of the distal humerus: A critical analysis of the results. J Trauma 2005; 58: 62–9

6. Marsh JL, Slongo TF, Agel J et al: Fracture and dislocation classification compendium – 2007. Orthopaedic Trauma Association classification, database and outcomes committee. J Orthop Trauma 2007; 21 (10 suppl): S1–S133

7. Nauth A, McKee MD, Ristevski B, Hall J, Schemitsch EH: Distal humeral fractures in adults. J Bone Joint Surg Am 2011; 93: 686–700

8. Robinson CM, Hill RM, Jacobs N, Dall G, Court-Brown CM: Adult distal humeral metaphyseal fractures: Epidemiology and results of treatment. J Orthop Trauma 2003; 17: 38–47

9. Schuster I, Korner J, Arzdorf M, Schwieger K, Diederichs G, Linke B: Mechanical comparison in cadaver specimens of three different 90-degree double-plate osteosyntheses for simulated C2-type distal humerus fractures with varying bone densities. J Orthop Trauma 2008; 22: 113–20

Fussnoten

1 Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Wiederherstellungschirurgie, Zentrum für Schwerbrandverletzte, Vinzenz von Paul Kliniken gGmbH, Marienhospital Stuttgart

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