Übersichtsarbeiten - OUP 01/2020

Die endoskopische Karpaldachspaltung
Historische Entwicklung und aktueller Stand

Dennoch dauerte es nochmals 30 Jahre, bis 1913 durch Marie und Foix bei autoptischen Studien die mikroskopischen Veränderungen des N. medianus bei Karpaltunnelsyndrom veröffentlicht, und im selben Artikel eine Empfehlung zur zielgerichteten chirurgischen Therapie, nämlich der Spaltung des Karpaldachs abgegeben wurde: „The nerves appeared normal with exception of the median nerve. The median nerve starting in the distal forearm shows a slow increase in volume. Immediately proximal to the annular ligament a nodular thickening is present which looks and feels like a neuroma. Underlying the annular ligament, however, the nerve suddenly becomes thin … An enormous increase in the connective tissue (was seen) interfascicular as well as intrafascicular. The myelin sheets are progressively diminished from the beginning of the nodular thickening and at the constriction they are nearly completely absent ... transection of the ligament could stop the development of these phenomena” [23]. Dieser Empfehlung wurde jedoch keine Beachtung geschenkt, selbst Herbert Galloway, der 1924 die erste Karpaldachspaltung durchführte, diese aber nur in einem Brief an einen Kollegen vermerkte und nicht publizierte, nahm nicht Bezug auf die wissenschaftliche Analyse von Marie und Foix: „Dear Doctor Henderson, … there was marked wasting of the thenar eminence and trophic changes in the nails of the index finger and thumb. On 11 March, 1924 the condition of the median nerve was explored from the flexor crease at the wrist downward for an inch and upward for 2 inches. Its appearance was entirely normal. Following this operation there was some improvement in sensation in the index finger” [22]. Erst Moersch beschrieb 1938 erneut, dass die Symptomatik des Karpaltunnelsyndroms am ehesten durch eine lokale Kompression des N. medianus durch das Ligamentum carpi transversum („annular ligament“) verursacht wird [26]. Bis dahin wurde in den ersten 4 Dekaden des 20. Jahrhunderts das Karpaltunnelsyndrom meist durch die Exzision einer Halsrippe chirurgisch angegangen, da die Ursache in einer proximalen Kompression vermutet wurde [16]. Die klinischen Misserfolge dieser Operationen führten schließlich zu einem fundamentalen Umdenken und zum Übergang zur modernen Kapaltunnelchirurgie, unterstützt durch die richtungsweisenden Publikationen von Learmonth [21] und Brain [5]. Learmonth selbst führte 1930 die erste veröffentlichte Karpaldachspaltung durch [21]. Phalen und Mitarbeiter etablierten mit detaillierten Studien in den 1950er Jahren die offene Karpaldachspaltung als Standardverfahren zur chirurgischen Therapie des Karpaltunnelsyndroms [31,32]. Weitere 3 Jahrzehnte sollten vergehen, bis die endoskopische Karpalkanalchirurgie ihre Anfänge nahm.

Historie der endoskopischen Karpaldachspaltung

Als in den 1980er Jahren die ersten Versuche zur endoskopischen Karpaldachspaltung unternommen wurden, waren langer Zugang und operatives Vorgehen der offenen Karpaldachspaltung im Wesentlichen über Jahrzehnte unverändert geblieben. Das Standardprozedere wurde lehrbuchhaft von Henry Nigst beschrieben [27]. Die minimalinvasive Schnittführung war noch nicht geboren und wurde erst nach den ersten Publikationen zum endoskopischen Operationsverfahren veröffentlicht [6, 8]. Die Triebfeder der Entwicklung minimalinvasiver Verfahren ist in der Reduzierung von Komplikationen zu sehen, bedingt durch den langen Schnitt. Als Komplikationen wurden unter anderem übermäßige Narbenbildung, Verletzungen des sensiblen Hohlhandasts und des oberflächlichen arteriellen Hohlhandbogens beschrieben [22]. Gleichzeitig blickten arthroskopische Operationstechniken bereits auf eine lange Geschichte zurück. Nach Anfängen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Frankreich stellte der Dresdner Arzt Maximilian Nitze in den 1870er Jahren erstmals Spiegelungen von Hohlorganen über natürliche Zugänge (Zystoskopie) mit elektrischer Lichtquelle [19] vor. Kenji Tagaki setzte 1918 mit der ersten Arthroskopie an einem Leichenknie unter Benutzung eines Zystoskops einen Meilenstein [41]. Durch jahrzehntelange technische Neu- und Weiterentwicklungen kam es in den 1970er Jahren mit Einführung von Kaltlichtquellen, Kameraeinheit, Fiberoptik und Spezialinstrumenten zu einer weiten Verbreitung der arthroskopischen Operationen. Eine Vorreiterrolle kam dabei Masaki Watanabe und Robert W Jackson zu.

Ichiro Okutsu war es, der erstmals die etablierte Technik der arthroskopischen Operationen nutzte und zur Kapaldachspaltung einsetzte [28]. Hervorzuheben ist, dass er den Sprung von der präformierten Höhle, dem Gelenk, wagte hin zu einem anatomisch definierten Raum, nämlich dem Karpalkanal, den es aber erst entsprechend zu präparieren und aufzudehnen galt, bevor das „Arthroskop“ eingeführt wurde. Das Vorgehen glich also mehr einer „Weichteilendoskopie“ als einer Arthroskopie. Hierfür wurden eigens Instrumente entwickelt, die er „Universal Subcutaneous Endoscope (USE) System“ nannte [29]. Diese bestanden aus einem Obturator, mit welchem über einen kleinen Hautschnitt im Bereich der Raszetta nach querer Durchtrennung der Unterarmfaszie ulnar der Palmaris-longus-Sehne der Raum unter dem LCT aufbougiert wurde. Der Obturator wurde dann gegen eine transparente Plastikkanüle getauscht, in welche ein 30° gewinkeltes Endoskop eingeführt wurde. Parallel dazu wurde ulnarseitig ein Hakenmesser bis zum distalen Rand des Ligamentum Carpi transversum vorgeschoben, am Rand eingehakt und unter endoskopischer Kontrolle retrograd zurückgezogen und somit das LCT gespalten. Obwohl dieses System in seiner ursprünglichen Zusammensetzung patentrechtlich in den USA angemeldet wurde, kam es nicht zum kommerziellen Vertrieb. Sein Einsatz blieb zunächst weitgehend auf Japan beschränkt.

Nahezu gleichzeitig arbeitete James Chow an einem anderen System zur endoskopischen Karpaldachspaltung, ohne von den Arbeiten von Okutsu zu wissen. Seine Idee war, das Karpaldach über 2 Portale darzustellen, von denen das Eingangsportal ähnlich wie bei Okutsu im Bereich der Palmaris-longus-Sehne zu liegen kam, wenngleich auch über eine relativ komplizierte Folge von Messpunkten und Zentimeterangaben unter Einbeziehung des Os pisiforme. Die Präparation erfolgte zunächst proximal über einen queren Hautschnitt und Längsspaltung der Unterarmfaszie, dann unter Hyperextension des Handgelenks Einführen eines Elevatoriums zur Präparation der Unterfläche des LCT. Abschieben anhängenden Synovialgewebes. Palpieren und Markieren der Elevatoriumsspitze im Hohlhandbereich distal des LCT. Austausch des Elevatoriums gegen eine großlumige Schlitzkanüle mit eingeführtem stumpfen Trokar von proximal und Vorschieben nach distal bis zur Markierung. Schließlich Setzen der 2. Inzision (Ausgangsportal) in Verlängerung des 4. Strahls. Über die beiden Portale wurde dann unter endoskopischer Kontrolle mit 3 unterschiedlichen Messern (Dreiecksmesser, Hakenmesser, „Tasthakenmesser“) über 5 Arbeitsschritte retrograd und anterograd das LCT gespalten. Zu erwähnen ist, dass die Präparation in der Originalversion transbursal erfolgte, d.h. in der Beugesehnenscheide. Bei deutlich erhöhter Komplikationsrate änderte Chow die Vorgehensweise auf eine extrabursale, d.h. subligamentöse Präparation.

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