Originalarbeiten - OUP 12/2012

Die lumbale Charcot-Osteopathie – eine seltene und
späte Komplikation der Querschnittlähmung. 4 Fallbeispiele

Als mögliche zusätzliche prädisponierende Faktoren werden Morbus Bechterew, Adipositas permagna, Z.n. tieflumbaler Laminektomie (Brindley-Stimulator) und Diabetes mellitus Typ II gesehen. Die Patientin mit tieflumbaler Laminektomie war zudem in der Folge (nur) bis LWK 4 instrumentiert worden und hatte schließlich eine Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 4/5 entwickelt.

In 2 Fällen wird primär operiert, mit gutem postoperativem klinischem Verlauf.

Bei einer Paraplegikerin wurde man aufgrund einer Superinfektion zum operativen Vorgehen gezwungen, nachdem man sich zunächst zur abwartenden Haltung entschieden hatte. Mehrere Operationen waren erforderlich mit letztlich gutem Ergebnis.

Die Patientin mit Paraplegie und Adipositas permagna wurde nicht operiert, aufgrund fehlender Symptomatik und aufgrund des durch die Adipositas erheblich erhöhten operativen Risikos. Die Verlaufsbeobachtung zeigt hier eine diskrete Zunahme der radiologischen Zeichen, bei weiterhin Beschwerdefreiheit bezüglich der lumbalen Affektion.

Diskussion

Anhand der 4 Fallbeispiele einer lumbalen Charcot-Osteopathie zeigt sich die unterschiedliche Symptomatik, die Schwierigkeit der Differenzialdiagnose, die Möglichkeit der Superinfektion sowie die Fragestellung der operativen Therapie, die letztlich, mit Ausnahme der abwartenden und kontrollierenden Haltung, die einzige Therapieoption darstellt.

Die Diagnose wird anhand der typischen Lokalisation, der dargestellten Veränderungen in den bildgebenden Verfahren und dem fehlendem Nachweis entzündlicher Parameter gestellt. Voraussetzung ist auch das fehlende oder zumindest deutlich herabgesetzte Schmerz- und Lageempfinden, verursacht in den vorliegenden Fällen durch die vorbestehende Querschnittlähmung.

Diagnostische Schwierigkeiten gibt es in 2 der vorliegenden Fälle.

In einem Fall (Patientin B) gibt es in der Vorgeschichte 2 wesentliche infektiöse Erkrankungen, eine thorakale Spondylodiszitis sowie eine schwere Sepsis nach Darmperforation, die die infektiöse Genese der LWS-Affektion zunächst nahelegen. Hinzu kommt in diesem Fall die spätere Superinfektion. Derartige Superinfektionen sind als mögliche Komplikation der lumbalen Charcot-Osteopathie bekannt [9, 12].Für die Diagnose der Charcot-Osteopathie spricht, dass es zum Zeitpunkt der Diagnosestellung weder bildgebend noch laborchemisch Entzündungs- sowie Infektionszeichen gab. Außerdem lag aufgrund der vor 20 Jahren durchgeführten Laminektomie sowie der späteren Instrumentation (nur) bis in Höhe LWK 4, im Segment LWK 4/5 sicher eine außerordentliche mechanische Dauer- und Fehlbelastung vor, entsprechend der neuro-traumatischen Entstehungstheorie.

Im Fall der Charcot-Osteopathie in Höhe LWK 2/3 (Patient D) wurden von den Radiologen zunächst eine Spondylodiszitis bzw. ein „Low-grade-Infekt“ diskutiert, sicher gingen die Veränderungen über eine „erosive Osteochondrose“ hinaus. Weder laborchemisch, noch histologisch ergaben sich jedoch Hinweise auf eine Entzündung oder einen Infekt.

Die klinische Symptomatik, die bei Diagnosestellung auf die Charcot-Osteopathie zurückzuführen war ist vielfältig und in der Regel im Vergleich zum Ausmaß der knöchernen Veränderungen gering [1]. In einem Fall lag keine klinische Symptomatik vor, andererseits wurden eine Zunahme der Bein- und Rumpfspastik, ein Instabilitätsgefühl im Bereich der LWS mit sicht- und tastbarer Schwellung ebenda und in einem Fall ein plötzliches Sistieren der vorbestehenden erheblichen Beinspastik geschildert. Bei der Paraplegikerin mit plötzlich sistierender Spastik versagte gleichzeitig der seit 20 Jahren einwandfrei funktionierende Brindley-Stimulator. Schmerzen im Bereich der LWS wurden in keinem Fall beklagt.

Aufgrund der nicht vorliegenden oder relativ geringen Symptomatik einer lumbalen Charcot-Osteopathie, sind bei Vorhandensein einer ausgeprägten, rollstuhlpflichtigen Querschnittlähmung gelegentliche radiologische Kontrollen der LWS sicher gerechtfertigt, insbesondere, wenn – wie bei den meisten ausgeprägten Querschnittlähmungen – eine deutliche Reduzierung des Schmerzempfindens vorliegt.

Die Frage nach der operativen Indikation wurde zunächst anhand der eventuell vorliegenden Symptomatik und in Abschätzung des operativen Risikos beantwortet. Beide Fälle mit persistierender Symptomatik, die auf die lumbale Affektion zurückzuführen war (Instabilitätsgefühl, verstärkte Spastik) und mit der Prognose der wahrscheinlichen Besserung durch die operative Therapie, wurden primär mit gutem Ergebnis operiert (Patient A und B).

Bei einer Paraplegikerin wurde man aufgrund einer Superinfektion zum operativen Vorgehen gezwungen (Patientin B), nachdem man sich zunächst zur abwartenden Haltung entschieden hatte. Mehrere Operationen waren erforderlich mit letztlich gutem Ergebnis.

Im weiteren Fall mit abwartender Haltung (Patientin C), hier aufgrund fehlender Symptomatik und aufgrund des durch erhebliche Adipositas deutlich erhöhten operativen Risikos, bestätigte der bisherige klinische Verlauf das Vorgehen.

Die Entscheidung zur operativen Therapie sollte man somit von der durch die lumbale Osteopathie verursachten Symptomatik, von der operativen Prognose und dem abzuschätzendem operativen Risiko abhängig machen. Konservatives, abwartendes Vorgehen ist prinzipiell möglich.

Als zusätzliche prädisponierende Faktoren für die Entwicklung einer lumbalen Charcot-Osteopathie lassen sich anhand der vorliegenden 4 Fallbeschreibungen der Morbus Bechterew, die voroperierte Lendenwirbelsäule, die Adipositas permagna sowie eventuell auch der Diabetes mellitus vermuten.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Jürgen R. Moosburger

SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach

Sektion Querschnittlähmungen

Guttmannstrasse 1

76307 Karlsbad

juergen.moosburger@kkl.srh.de

Literatur

1. Barrey C, Massourides H, Cotton F, Perrin G, Rode G. Charcot spine: two new case reports and a systematic review of 109 clinical cases from literature. Annals of physical and rehabilitation medicine 2010; 53: 200–220

2. Chantelau E, Richter AG-ZNL. „Silent“ bone stress injuries in the feet of diabetic patients with polyneuropathy: a report on 12 cases. Arch Orthop Trauma Surg 2007; 127: 171–177

3. Charcot J. Sur quelques arthropathies qui paraissent d´ependre d´une l´esion du cerveau ou de la moelle ´epini´ere. Arch Physiol Norm Pathol 1868; 1: 161–178.

4. Haus BM, Hsu AR, Yim ES, Meter JJ, Rinsky LA. Long-term follow-up of the surgical management of neuropathic arthropathy of the spine. The spine journal 2010; 10: e6–e16

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5