Arzt und Recht - OUP 04/2013

Die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses

Rechtsanwalt Dr. Bernhard Debong, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht, KarlsruheRechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Fachanwalt für Medizinrecht, Karlsruhe

1. Grundlagen

Am 01.01.2013 ist die Neufassung der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) in Kraft getreten1. Die Neufassung wurde notwendig aufgrund der gesetzgeberischen Vorgaben im sog. GKV-Versorgungsstrukturgesetz, insbesondere in §§ 99 Abs. 1 und 101 SGB V. Ziel ist eine größere Flexibilisierung und Regionalisierung der Bedarfsplanung. Ob und inwieweit sich die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie als taugliches Steuerungsinstrument für eine bedarfsgerechte ambulante Versorgung der Bevölkerung und des ärztlichen Angebots vor allem im ländlichen Raum erweisen wird, bleibt abzuwarten2.

2. Inhaltsübersicht

Im Gegensatz zu der bis zum Ablauf des 31.12.2012 geltenden Fassung gliedert sich die Richtlinie anstatt in 11 nunmehr in 13 Abschnitte. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Bedarfsplanung feingliedriger auf mehreren Versorgungsebenen erfolgt (2 neue Abschnitte zu den neuen Versorgungsebenen).

Im Übrigen entspricht die Abgrenzung der Themenabschnitte im Wesentlichen der bisherigen Fassung. Neben allgemeinen (Übergangs-)Vorschriften werden die Prüfung, Feststellung und Konsequenz von Über- und Unterversorgung geregelt; des Weiteren enthalten sind Vorschriften für Sonderbedarf(szulassungen) und Berufsausübungsgemeinschaften sowie Regelungen zur Beschäftigung angestellter Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren, Versorgungseinrichtungen nach § 311 Abs. 2 SGB V (Stichwort: Poliklinik) und vertragsärztlichen Praxen.

Die wesentlichen Neuerungen bestehen in der Neustrukturierung der Bedarfsplanung in neuen Versorgungsebenen (zusätzliche kleinere und größere Planungsbereiche), der weiterentwickelten Einbeziehung der Altersstruktur, der Umsetzung des nunmehr möglichen „Wechselspiels“ zwischen Anstellung und Zulassung, Anstellungen zwischen Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, sowie der besonderen Berücksichtigung ermächtigter Ärzte. Über die Neuerungen wird im Folgenden ein Überblick gegeben.

3. Neue Struktur der
Bedarfsplanung

Kernstück der Neuregelung ist die Schaffung von 4 Versorgungsebenen (§ 5), die jeweils für unterschiedliche Planungsbereiche gelten. Neben die hausärztliche Versorgung (§ 11) treten 3 Ebenen der fachärztlichen Versorgung, nämlich die allgemeine fachärztliche Versorgung (§ 12), die spezialisierte fachärztliche Versorgung (§ 13) und die gesonderte fachärztliche Versorgung (§ 14).

Die neu geschaffene Versorgungsebene der spezialisierten fachärztlichen Versorgung umfasst zunächst die Arztgruppen der Anästhesisten, der fachärztlich tätigen Internisten sowie der Radiologen. Bei diesen Arztgruppen geht der GBA davon aus, dass sich die Bedarfsplanung wegen des größeren Einzugsgebiets von der allgemeinen fachärztlichen Versorgung zu unterscheiden habe. Hinzu kommen die Kinder- und Jugendpsychiater, für die aufgrund der Gruppenstärke eine Beplanung auf Kreisebene zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich sei3.

Die Arztgruppen der Humangenetiker, Laborärzte, Neuchirurgen, Nuklearmediziner, Pathologen, Physikalische und Rehabilitations-Mediziner, Strahlentherapeuten sowie Transfusionsmediziner werden erstmals in die Bedarfsplanung einbezogen und der ebenfalls neu geschaffenen neuen Versorgungsebene der gesonderten fachärztlichen Versorgung zugeordnet.

Die MKG-Chirurgen unterliegen wegen der für dieses Fachgebiet typischen berufsrechtlichen Doppelqualifikation und Doppelzulassung4 nach wie vor nicht der Bedarfsplanung und können sich frei niederlassen.

Fachärzte für Orthopädie und Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie bilden weiterhin eine Arztgruppe „Orthopäden“. Diese Arztgruppe ist der Versorgungsebene der allgemeinen fachärztlichen Versorgung zugeordnet (§ 12 Abs. 1 und 2).

Für die jeweiligen Versorgungsebenen und deren Arztgruppen gelten folgende Planungsbereiche:

  • hausärztliche Versorgung – Mittelbereich
  • allgemeine fachärztliche Versorgung – Landkreis, kreisfreie Stadt oder Kreisregion
  • spezialisierte fachärztliche Versorgung – Raumordnungsregion5
  • gesonderte fachärztliche Versorgung – Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung

Als weitere Vorgabe für die Bedarfsplanung enthält die Richtlinie des GBA schließlich Verhältniszahlen (Arzt je Anzahl Einwohner) für die jeweiligen Arztgruppen sowie innerhalb der allgemeinen fachärztlichen Versorgung differenziert nach der in diesem Bereich zusätzlich vorgenommenen Typisierung der Planungsbereiche (siehe unten).

Die Umsetzung der Bedarfsplanungs-Richtlinie erfolgt durch die Kassenärztlichen Vereinigungen, die gemäß § 4 Bedarfsplanungs-Richtlinie im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen die Bedarfspläne aufzustellen haben. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen keine schematische Berechnung der im jeweiligen Planungsbereich erforderlichen Zahl der Ärzte auf der Grundlage der (neuen) Verhältniszahlen vornehmen, sondern dürfen und müssen regionale Besonderheiten im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 SGB V berücksichtigen. Für diese Bewertungen zählt die Bedarfsplanungs-Richtlinie erstmals in § 2 berücksichtigungsfähige Besonderheiten beispielhaft auf (insbesondere die Demografie, Morbidität, Einkommensverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Pflegebedarf, räumliche Faktoren und infrastrukturelle Besonderheiten).

Der GBA erwartet für den hausärztlichen Bereich bundesweit annähernd 3.000 neue Zulassungsmöglichkeiten, worin allerdings die jetzt schon freien Sitze eingeschlossen sind6. Im Bereich der allgemeinen fachärztlichen Versorgung sind Veränderungen des Versorgungsgrades und damit etwaige neue Zulassungsmöglichkeiten nur in Einzelfällen über die unterschiedliche Raumtypzuordnung aufgrund des neuen Konzepts der 5 Kreistypen sowie ggf. im Hinblick auf die gegenüber der bisherigen Bedarfsplanungs-Richtlinie geänderten Verhältniszahlen zu erwarten.

Sobald die Kassenärztlichen Vereinigungen die Bedarfspläne in Anwendung der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie aufgestellt haben, sind diese den zuständigen Landesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen zur Verfügung zu stellen.

4. Anordnung und Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen

Der jeweilige Landesausschuss stellt auf der Grundlage der ihm von den Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung gestellten Bedarfspläne fest, ob eine Überversorgung vorliegt (§ 103 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Wenn dies der Fall ist, muss der Landesausschuss nach Planungsbereichen räumlich begrenzt und arztgruppenbezogen Zulassungsbeschränkungen anordnen. Hierbei hat er die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie zu beachten (§ 103 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 SGB V, § 16b Ärzte-ZV):

  • Aus der Untergliederung in 4 Versorgungsebenen ergeben sich neue allgemeine Verhältniszahlen für die jeweiligen Arztgruppen (§ 12 Abs. 4, § 13 Abs. 4 und § 14 Abs. 4 Bedarfsplanungs-Richtlinie). Für die Arztgruppe „Orthopäden“ ergeben sich je nach Zuordnung des Kreises zu den 5 Kreistypen Verhältniszahlen von 14101 bis 26712 Einwohner pro Arzt (§ 12 Abs. 3). Für die Region Ruhrgebiet gilt für die Arztgruppe „Orthopäden“ die Verhältniszahl 22578 Einwohner pro Arzt (§ 65 Abs. 4). Zuletzt lagen nach der „alten“ Bedarfsplanungs-Richtlinie die Verhältniszahlen für die Arztgruppe der Orthopäden in 10 Abstufungen zwischen 13009 und 34214 Einwohnern pro Arzt.
  • Werden diese allgemeinen Verhältniszahlen (abstrakter Sollzustand) vom regionalen Versorgungsgrad (tatsächlicher Ist-Zustand) um mindestens 10% überstiegen (110%), ist gemäß § 24 Bedarfsplanungs-Richtlinie Überversorgung anzunehmen.
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