Arzt und Recht - OUP 04/2013

Die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses

Rechtsanwalt Dr. Bernhard Debong, Fachanwalt für Medizinrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht, KarlsruheRechtsanwalt Dr. Christoph Osmialowski, Fachanwalt für Medizinrecht, Karlsruhe

1. Grundlagen

Am 01.01.2013 ist die Neufassung der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) in Kraft getreten1. Die Neufassung wurde notwendig aufgrund der gesetzgeberischen Vorgaben im sog. GKV-Versorgungsstrukturgesetz, insbesondere in §§ 99 Abs. 1 und 101 SGB V. Ziel ist eine größere Flexibilisierung und Regionalisierung der Bedarfsplanung. Ob und inwieweit sich die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie als taugliches Steuerungsinstrument für eine bedarfsgerechte ambulante Versorgung der Bevölkerung und des ärztlichen Angebots vor allem im ländlichen Raum erweisen wird, bleibt abzuwarten2.

2. Inhaltsübersicht

Im Gegensatz zu der bis zum Ablauf des 31.12.2012 geltenden Fassung gliedert sich die Richtlinie anstatt in 11 nunmehr in 13 Abschnitte. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Bedarfsplanung feingliedriger auf mehreren Versorgungsebenen erfolgt (2 neue Abschnitte zu den neuen Versorgungsebenen).

Im Übrigen entspricht die Abgrenzung der Themenabschnitte im Wesentlichen der bisherigen Fassung. Neben allgemeinen (Übergangs-)Vorschriften werden die Prüfung, Feststellung und Konsequenz von Über- und Unterversorgung geregelt; des Weiteren enthalten sind Vorschriften für Sonderbedarf(szulassungen) und Berufsausübungsgemeinschaften sowie Regelungen zur Beschäftigung angestellter Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren, Versorgungseinrichtungen nach § 311 Abs. 2 SGB V (Stichwort: Poliklinik) und vertragsärztlichen Praxen.

Die wesentlichen Neuerungen bestehen in der Neustrukturierung der Bedarfsplanung in neuen Versorgungsebenen (zusätzliche kleinere und größere Planungsbereiche), der weiterentwickelten Einbeziehung der Altersstruktur, der Umsetzung des nunmehr möglichen „Wechselspiels“ zwischen Anstellung und Zulassung, Anstellungen zwischen Psychologischen Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, sowie der besonderen Berücksichtigung ermächtigter Ärzte. Über die Neuerungen wird im Folgenden ein Überblick gegeben.

3. Neue Struktur der
Bedarfsplanung

Kernstück der Neuregelung ist die Schaffung von 4 Versorgungsebenen (§ 5), die jeweils für unterschiedliche Planungsbereiche gelten. Neben die hausärztliche Versorgung (§ 11) treten 3 Ebenen der fachärztlichen Versorgung, nämlich die allgemeine fachärztliche Versorgung (§ 12), die spezialisierte fachärztliche Versorgung (§ 13) und die gesonderte fachärztliche Versorgung (§ 14).

Die neu geschaffene Versorgungsebene der spezialisierten fachärztlichen Versorgung umfasst zunächst die Arztgruppen der Anästhesisten, der fachärztlich tätigen Internisten sowie der Radiologen. Bei diesen Arztgruppen geht der GBA davon aus, dass sich die Bedarfsplanung wegen des größeren Einzugsgebiets von der allgemeinen fachärztlichen Versorgung zu unterscheiden habe. Hinzu kommen die Kinder- und Jugendpsychiater, für die aufgrund der Gruppenstärke eine Beplanung auf Kreisebene zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich sei3.

Die Arztgruppen der Humangenetiker, Laborärzte, Neuchirurgen, Nuklearmediziner, Pathologen, Physikalische und Rehabilitations-Mediziner, Strahlentherapeuten sowie Transfusionsmediziner werden erstmals in die Bedarfsplanung einbezogen und der ebenfalls neu geschaffenen neuen Versorgungsebene der gesonderten fachärztlichen Versorgung zugeordnet.

Die MKG-Chirurgen unterliegen wegen der für dieses Fachgebiet typischen berufsrechtlichen Doppelqualifikation und Doppelzulassung4 nach wie vor nicht der Bedarfsplanung und können sich frei niederlassen.

Fachärzte für Orthopädie und Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie bilden weiterhin eine Arztgruppe „Orthopäden“. Diese Arztgruppe ist der Versorgungsebene der allgemeinen fachärztlichen Versorgung zugeordnet (§ 12 Abs. 1 und 2).

Für die jeweiligen Versorgungsebenen und deren Arztgruppen gelten folgende Planungsbereiche:

  • hausärztliche Versorgung – Mittelbereich
  • allgemeine fachärztliche Versorgung – Landkreis, kreisfreie Stadt oder Kreisregion
  • spezialisierte fachärztliche Versorgung – Raumordnungsregion5
  • gesonderte fachärztliche Versorgung – Bereich der Kassenärztlichen Vereinigung

Als weitere Vorgabe für die Bedarfsplanung enthält die Richtlinie des GBA schließlich Verhältniszahlen (Arzt je Anzahl Einwohner) für die jeweiligen Arztgruppen sowie innerhalb der allgemeinen fachärztlichen Versorgung differenziert nach der in diesem Bereich zusätzlich vorgenommenen Typisierung der Planungsbereiche (siehe unten).

Die Umsetzung der Bedarfsplanungs-Richtlinie erfolgt durch die Kassenärztlichen Vereinigungen, die gemäß § 4 Bedarfsplanungs-Richtlinie im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen die Bedarfspläne aufzustellen haben. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollen keine schematische Berechnung der im jeweiligen Planungsbereich erforderlichen Zahl der Ärzte auf der Grundlage der (neuen) Verhältniszahlen vornehmen, sondern dürfen und müssen regionale Besonderheiten im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 3 SGB V berücksichtigen. Für diese Bewertungen zählt die Bedarfsplanungs-Richtlinie erstmals in § 2 berücksichtigungsfähige Besonderheiten beispielhaft auf (insbesondere die Demografie, Morbidität, Einkommensverhältnisse, Arbeitslosigkeit, Pflegebedarf, räumliche Faktoren und infrastrukturelle Besonderheiten).

Der GBA erwartet für den hausärztlichen Bereich bundesweit annähernd 3.000 neue Zulassungsmöglichkeiten, worin allerdings die jetzt schon freien Sitze eingeschlossen sind6. Im Bereich der allgemeinen fachärztlichen Versorgung sind Veränderungen des Versorgungsgrades und damit etwaige neue Zulassungsmöglichkeiten nur in Einzelfällen über die unterschiedliche Raumtypzuordnung aufgrund des neuen Konzepts der 5 Kreistypen sowie ggf. im Hinblick auf die gegenüber der bisherigen Bedarfsplanungs-Richtlinie geänderten Verhältniszahlen zu erwarten.

Sobald die Kassenärztlichen Vereinigungen die Bedarfspläne in Anwendung der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie aufgestellt haben, sind diese den zuständigen Landesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen zur Verfügung zu stellen.

4. Anordnung und Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen

Der jeweilige Landesausschuss stellt auf der Grundlage der ihm von den Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung gestellten Bedarfspläne fest, ob eine Überversorgung vorliegt (§ 103 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Wenn dies der Fall ist, muss der Landesausschuss nach Planungsbereichen räumlich begrenzt und arztgruppenbezogen Zulassungsbeschränkungen anordnen. Hierbei hat er die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie zu beachten (§ 103 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 SGB V, § 16b Ärzte-ZV):

  • Aus der Untergliederung in 4 Versorgungsebenen ergeben sich neue allgemeine Verhältniszahlen für die jeweiligen Arztgruppen (§ 12 Abs. 4, § 13 Abs. 4 und § 14 Abs. 4 Bedarfsplanungs-Richtlinie). Für die Arztgruppe „Orthopäden“ ergeben sich je nach Zuordnung des Kreises zu den 5 Kreistypen Verhältniszahlen von 14101 bis 26712 Einwohner pro Arzt (§ 12 Abs. 3). Für die Region Ruhrgebiet gilt für die Arztgruppe „Orthopäden“ die Verhältniszahl 22578 Einwohner pro Arzt (§ 65 Abs. 4). Zuletzt lagen nach der „alten“ Bedarfsplanungs-Richtlinie die Verhältniszahlen für die Arztgruppe der Orthopäden in 10 Abstufungen zwischen 13009 und 34214 Einwohnern pro Arzt.
  • Werden diese allgemeinen Verhältniszahlen (abstrakter Sollzustand) vom regionalen Versorgungsgrad (tatsächlicher Ist-Zustand) um mindestens 10% überstiegen (110%), ist gemäß § 24 Bedarfsplanungs-Richtlinie Überversorgung anzunehmen.

Als Verhältniszahl für die neue Versorgungsebene der gesonderten fachärztlichen Versorgung und deren Fachgebiete hat der GBA die Zahl der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte dieser Fachgebiete des Jahres 2010 herangezogen (Anlage 5 zur Bedarfsplanungs-Richtlinie, dort § 5). Da der GBA dieses Versorgungsniveau bereits als überdurchschnittlich einschätzt, hat er es mit dem Versorgungsgrad 110 % bewertet und darauf basierend die Verhältniszahl für den Versorgungsgrad 100 % ermittelt7. Zulassungsmöglichkeiten werden sich auf der neuen Versorgungsebene der gesonderten fachärztlichen Versorgung daher künftig über die Nachbesetzung bestehender Vertragsarztsitze hinaus im Wesentlichen nur noch aufgrund regionaler Besonderheiten und über etwaige Sonderbedarfszulassungen ergeben.

  • Bei der Ermittlung des regionalen Versorgungsgrads (tatsächlicher Ist-Zustand) werden erstmalig ermächtigte Ärzte berücksichtigt.

Zudem sind entsprechend der Ergänzung von § 95 Abs. 9 b SGB V durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz Ärzte, deren Anstellung in eine Zulassung umgewandelt wird, voll zugelassen (Faktor 1,0), wenn sie bisher als Angestellte mit dem Faktor 1,0 oder 0,75 gezählt wurden. Bei einer bisherigen Anrechnung als Angestellter mit dem Faktor 0,5 erfolgt die hälftige Zulassung (Faktor 0,5).

  • Sowohl bei der Ermittlung der allgemeine Verhältniszahlen als auch bei der Ermittlung des regionalen Versorgungsgrades ist ein in § 9 Bedarfsplanungs-Richtlinie weiterentwickelter8 Demografie-Faktor anzuwenden. Mithilfe des Demografie-Faktors wird berücksichtigt, dass in Planungsbereichen, deren Bevölkerung einen überdurchschnittlich großen Anteil an Personen im Alter von 65 (ursprünglich 60) Jahren und älter haben, ein höherer Leistungsbedarf besteht. Zur Berechnung dieses Leistungsbedarfs wird die Abrechnungsstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung herangezogen. Es wird der mittlere Leistungsbedarf der letzten 12 Abrechnungsquartale (3 Jahre) getrennt nach Arztgruppen für die in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten ermittelt.

Der mittlere Leistungsbedarf gilt grundsätzlich für 5 Jahre. Sämtliche Berechnungen werden jedoch einmal pro Jahr von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung durchgeführt und eine Anpassung jeweils zum 30.06. eines Jahres vorgenommen.

Ergeben sich aus der Anwendung des Demografie-Faktors neu zu besetzende Arztsitze, soll der Zulassungsausschuss darauf hinwirken, dass möglichst solche Bewerber Berücksichtigung finden, die zusätzlich zu ihrem Fachgebiet über eine gerontologische/geriatrische Qualifikation verfügen.

Lediglich auf die Arztgruppen der Kinderärzte und Kinder- und Jugendpsychiater sowie die Arztgruppen der gesonderten fachärztlichen Versorgung (§ 14) kommt der Demographie-Faktor nicht zur Anwendung (§ 9 Abs. 2).

Die Zulassungsbeschränkung besagt, dass während der Dauer der Überversorgung der betroffene Planungsbereich für weitere Zulassungen gesperrt ist9. Die Regelungen entsprechen der bisherigen Richtlinie10. Die Zulassungsbeschränkungen sind durch Beschluss aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für eine Überversorgung entfallen sind (§ 103 Abs. 3 SGB V, § 16b Abs. 3 Satz 2 Ärzte-ZV). Anordnung und Aufhebung sind von den Kassenärztlichen Vereinigungen zu veröffentlichen (§ 16b Abs. 4 Ärzte-ZV). Das Verfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen regelt § 26 Bedarfsplanungs-Richtlinie neu (siehe unten).

5. Sonderbedarfszulassungen (§§ 36 ff.)

Zu den gesetzlichen Vorgaben zur Weiterentwicklung der Bedarfsplanung gehört auch die Präzisierung der Voraussetzungen für Sonderbedarfszulassungen (§ 101 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V). Diese Neuregelung steht noch aus und soll bis zum 30.04.2013 erfolgen. Bis zur Neuregelung gelten die bisherigen Regelungen über Sonderbedarfszulassungen als §§ 36 bis 38 der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie fort.

6. Maßstäbe für eine ausgewogene haus- und fachärztliche Versorgungsstruktur

Auch insoweit ist der GBA seinem Regelungsauftrag noch nicht nachgekommen. Vielmehr sollen die Voraussetzungen für eine gleichmäßige und bedarfsgerechte vertragsärztliche Versorgung bis zum 30.06.2013 neu geregelt werden. Bis dahin gilt § 35 Bedarfsplanungs-Richtlinie a.F. als § 48 Bedarfsplanungs-Richtlinie n.F. unverändert fort.

7. Beschäftigung von angestellten Ärzten
(§§ 51 ff., 58 ff.) (ZT 1)

Die Beschäftigung angestellter Ärzte im MVZ ist in den §§ 51 – 56 Bedarfsplanungs-Richtlinie geregelt, die für angestellte Ärzte in Einrichtungen nach § 311 Abs. 2 SGB V („Polikliniken“) entsprechend gelten. Die Beschäftigung von angestellten Ärzten in einer Vertragsarztpraxis ist in den §§ 58 – 62 Bedarfsplanungs-Richtlinie geregelt. Diese Regelungen entsprechen nahezu vollständig denen der „alten“ Bedarfsplanungs-Richtlinie11.

Künftig ist allerdings ein Beschäftigungsverhältnis sowohl unter Psychologischen Psychotherapeuten einerseits oder Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten andererseits als auch ein gegenseitiges Beschäftigungsverhältnis möglich (§ 61). Ist ein Psychologischer Psychotherapeut bei einem Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten angestellt, hat er sich auf die Behandlung von Kindern und Jugendlichen zu beschränken. Diese Neuerung ist die Konsequenz aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 15.08.2012, Az. B 6 KA 48/11), mit der die beiden Berufsgruppen unter vertragsarztrechtlichen Gesichtspunkten gleichgestellt wurden12.

Die nach dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz erstmals mögliche Umwandlung einer Anstellung in eine Zulassung gemäß § 95 Abs. 9b SGB V und deren Berücksichtigung bei der Feststellung einer Überversorgung wurde oben bereits dargestellt.

8. Übergangsbestimmungen

Die neue Bedarfsplanungs-Richtlinie ist am 01. Januar 2013 in Kraft getreten. Bis die Kassenärztlichen Vereinigungen die neuen Bedarfspläne auf der Grundlage dieser Richtlinie erstellt und der jeweilige Landesausschuss Feststellungen zu einer etwaigen Überversorgung treffen und damit Zulassungsbeschränkungen anordnen kann, vergeht notgedrungen Zeit. In dieser Übergangsphase stellt sich die Frage, wie mit Zulassungsanträgen bzw. Anträgen auf die Genehmigung von Anstellungen in Medizinischen Versorgungszentren oder bei Vertragsärzten zu verfahren ist. Hierzu enthält § 63 Bedarfsplanungs-Richtlinie nach Arztgruppen differenzierende Übergangsbestimmungen:

Für Arztgruppen, die mit der Richtlinie neu in die Bedarfsplanung aufgenommen werden, wird das bisherige Moratorium13 fortgeschrieben, so dass über nach dem 06. September 2012 gestellte Zulassungsanträge dieser Arztgruppen erst entschieden werden kann, wenn der Landesausschuss die Entscheidungen über eine Überversorgung und hieraus resultierende Zulassungsbeschränkungen getroffen hat. Gleichzeitig wird den Landesausschüssen für diese Arztgruppen eine verkürzte Umsetzungsfrist bis zum 15.02.2013 vorgegeben (§ 63 Abs. 4).

Für alle anderen Arztgruppen und somit auch für Orthopäden werden nach der Ärzte-Zulassungsverordnung vollständig und ordnungsgemäß gestellte Anträge zunächst noch nach altem Recht beschieden. Hierzu ordnet § 63 Abs. 5 Bedarfsplanungs-Richtlinie an, dass für Zulassungsanträge dieser Arztgruppen die „alte“ Bedarfsplanungsrichtlinie weitergilt. Erst wenn der Landesausschuss Beschlüsse über eine etwaige Überversorgung und hieraus resultierende Zulassungsbeschränkungen nach neuem Recht getroffen hat, was spätestens bis zum 30.06.2013 erfolgen muss (§ 63 Abs. 2), gilt für Zulassungsanträge dieser Arztgruppen ebenfalls das neue Recht14.

Nach § 63 Abs. 6 Bedarfsplanungs-Richtlinie gelten diese Übergangsbestimmungen ausdrücklich auch für Anträge auf Genehmigung von Anstellungen in Medizinischen Versorgungszentren oder bei Vertragsärzten.

9.

Zulassungsverfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen (§ 26)

Schon die bis zum 31.12.2012 geltende Bedarfsplanungs-Richtlinie 2007 enthielt in § 23 Regelungen über das Zulassungsverfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen (sog. partielle Entsperrung eines Planungsbereichs). Nachdem das Bundessozialgericht mit Urteil vom 23.02.2005 (ArztR 2006, 48 f.) das sog. Windhundprinzip bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern um einen nach partieller Entsperrung eines Planungsbereichs zu besetzenden Vertragsarztsitz als verfassungswidrig erachtet hatte, wurde die Bedarfsplanungs-Richtlinie für diesen Fall dahin geändert, dass der Zulassungsausschuss unter mehreren Bewerbern im partiell entsperrten Planungsbereich nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung derjenigen Kriterien zu entscheiden hatte, die nach § 103 Abs. 4 und Abs. 5 SGB V für das sog. Nachbesetzungsverfahren im gesperrten Planungsbereich gelten. Diese Auswahlkriterien sind nunmehr in § 26 Abs. 3 um die Kriterien

  • bestmögliche Versorgung der Versicherten im Hinblick auf die räumliche Wahl des Vertragsarztsitzes

und

  • Entscheidung nach Versorgungsgesichtspunkten (siehe z.B. Fachgebietsschwerpunkt, Barrierefreiheit)

ergänzt worden.

Nach der alten Bedarfsplanung wurde bei Aufhebung der Zulassungsbeschränkungen eine volle weitere Arztstelle im Bedarfsplan ausgewiesen. Nach neuem Recht kann nur noch eine Zulassung mit hälftigem Versorgungsauftrag erfolgen bzw. eine hälftige Anstellungsgenehmigung erteilt werden, wenn bereits mit der hälftigen Zulassung oder der hälftigen Anstellungsgenehmigung wieder Überversorgung eintritt (§ 26 Abs. 1). Damit soll der bisherige Aufrundungseffekt auf eine ganze Arztstelle vermieden werden15.

10. Zusammenfassung und Bewertung

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bedarfsplanung mit der Einführung neuer Versorgungsebenen, der Einbeziehung neuer Arztgruppen und der Schaffung neuer (insbesondere auch kleinerer) Planungsbereiche komplexer geworden ist. Wesentliche Bereiche der Bedarfsplanung (insbesondere: Sonderbedarf) sind noch nicht neu geregelt. Es steht zu befürchten, dass sich auch diesbezüglich die Komplexität der Bedarfsplanung weiter erhöhen wird. Durch die Weiterentwicklung des Demografie-Faktors als feste Berechnungsgröße könnten weitere vertragsärztliche Versorgungsaufträge entstehen, während es im Übrigen wohl nur zu Verschiebungen kommen wird.

Die noch komplexere Struktur der Bedarfsplanung dürfte zu einem (noch) höheren Verwaltungsaufwand führen. Wegen teilweise unscharfer Formulierung und systematischer Widersprüche zu bestehenden gesetzlichen Regelungen (z.B. Berücksichtigung ermächtigter Ärzte trotz Vorrang der vertragsärztlichen Zulassung gemäß § 31 Abs. 1 Ärzte-ZV, §§ 116, 116a, 118a Abs. 1, 119 Abs. 1, 119a SGB) ist eine hohe Fehleranfälligkeit mit entsprechendem Konfliktpotential und gerichtlichen Auseinandersetzungen zu befürchten. Ob die neue Bedarfsplanung das ärztliche „Angebot“ und die Versorgungsbedürfnisse der Patienten besser in Einklang bringt, ist offen. Verfassungsrechtlich bedenklich (Artikel 12, Artikel 3 GG) ist die These, dass für die neubeplanten Arztgruppen aus „historischen“ Gründen von vornherein zunächst von einer Zulassungssperre auszugehen ist („110%-These“), da nach dem Eindruck der Verfasser z.B. bei Pathologen und Humangenetikern eine Überversorgung weder 2010 bestand noch gegenwärtig besteht. Die Veränderung der Planungsbereiche wird auch nicht ohne Auswirkungen auf die Verlegung von Praxissitzen und Kooperationen bleiben. Während für Ärzte, die künftig in kleineren Planungsbereichen tätig sind, eine Verlegung erschwert wird, ergeben sich für die Ärzte in den weiter zugeschnittenen Versorgungsbereichen, allen voran also für die Arztgruppen der spezialisierten fachärztlichen Versorgung, erweiterte Verlegungsmöglichkeiten. Für die Arztgruppen in den kleineren Planungsbereichen könnte die vermehrte Gründung überörtlicher (planungsbereichsübergreifender) Berufsausübungsgemeinschaften eine Antwort auf diese Entwicklung sein.

Für Orthopäden und Unfallchirurgen sind neben den für alle Arztgruppen geltenden Änderungen keine gravierenden Neuerungen absehbar: Es gelten insbesondere weiterhin der Landkreis, die kreisfreie Stadt oder die Kreisregion als Planungsbereich, lediglich die Spannbreite der Verhältniszahlen hat sich geringfügig verringert.

Das Ergebnis dieser Reform kann abschließend erst nach Inkrafttreten der noch ausstehenden Regelungen beurteilt werden. Wegen der bereits jetzt erkennbaren Mängel wird es einmal mehr die Aufgabe der Rechtsprechung sein, in den kommenden Jahren Rechtsklarheit herbeizuführen.

Korrespondenzadresse

RA Dr. Bernhard Debong

RA Dr. Christoph Osmialowski

Kanzlei für ArztRecht

Fiduciastraße 2

76227 Karlsruhe

kanzlei@arztrecht.org

www.arztrecht.org

Fussnoten

Beschluss vom 20.12.2012, veröffentlicht am 31.12.2012 im Bundesanzeiger (BAnz AT 31.12.2012 B 7) www.bundesanzeiger.de

zur Zielsetzung der Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie vgl. insbesondere auch die Tragende(n) Gründe zum Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Neufassung der Bedarfsplanungs-Richtlinie auf der Internetseite des GBA unter www.g-ba.de

Tragende Gründe a.a.O. Seite 12

Tragende Gründe a.a.O. Seite 13

Als Planungsbereich für die spezialisierte fachärztliche Versorgung hat der Gemeinsame Bundesausschuss die Raumordnungsregion in der Zuordnung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung festgelegt. Diese entspricht 96 großen, flächigen Gebieten, die in der Wechselwirkung städtischer und ländlicher Gebiete weitgehend ein eigenes Versorgungsgleichgewicht herstellen sollen. Vgl. dazu näher Tragende Gründe a.a.O. Seite 12

Pressemitteilung des GBA Nr. 35/2012 vom 20.12.2012

vgl. dazu näher Tragende Gründe a.a.O. Seite 13

Eine Modifikation der Verhältniszahlen durch einen Demografiefaktor konnte schon nach § 8 a der bisherigen Bedarfsplanungs-Richtlinie erfolgen. Nach § 63 Abs. 8 der neuen Bedarfsplanungs-Richtlinie kann der Demografiefaktor in der Fassung der neuen Richtlinie in der Übergangsphase vom 01.01.2013 bis zum 30.06.2013 auch auf Maßnahmen und Entscheidungen angewendet werden, für die nach der Richtlinie 2007 gemäß deren § 8 a vorgeschrieben ist.

Vgl. Tragende Gründe a.a.O. S. 4, 15.

Vgl. Tragende Gründe a.a.O. S. 4, 15.

Vgl. Tragende Gründe a.a.O. S. 20, 21.

Vgl. Tragende Gründe, a.a.O. S. 21.

Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 06.09.2012 (BAnz AT 21.09.2012 B4.

vgl. Tragende Gründe a.a.O. Seite 24 f.

vgl. dazu näher Tragende Gründe a.a.O. Seite 17 f.

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