Übersichtsarbeiten - OUP 01/2024

Die OF-Pelvis-Klassifikation für osteoporotische Sakrum- und Beckenringfrakturen

Einen weiteren Aspekt stellt die Diagnostik dar. Die Röntgenuntersuchung des Beckens weist nur eine Sensitivität von weniger als 50 % zur Detektion von osteoporotischen
Beckenringfrakturen auf [7]. Auch für die CT ist nur eine Sensitivität von ca. 70 % beschrieben [8]. Die vorhandenen Einteilungssysteme beziehen sich im Wesentlichen auf eine CT-Diagnostik und können Ödembefunde in der MRT nicht mit bewerten.

In Anbetracht der oben genannten Themen hat die Arbeitsgruppe „Osteoporotische Frakturen“ (AG OF) der Sektion Wirbelsäule der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) das Projekt OF-Pelvis ins Leben gerufen, mit dem Ziel, eine einfache, reliable und klinisch relevante Klassifikation für osteoporotische Sakrum- und Beckenringfrakturen zu entwickeln.

Klassifikationsentwicklungsprozess

Die Arbeit der AG „Osteoporotische Frakturen“ orientierte sich an der im Jahr 2005 von Audigé et al. veröffentlichten Richtlinie zur Klassifikationsentwicklung [9], welche
einen dreiphasigen Prozess vorschlägt. 2015 startete das Projekt mit ersten Treffen, bei denen der aktuelle Stand des Wissens analysiert wurde. In den folgenden Sitzungen führte die AG OF eine umfangreiche Literaturrecherche durch und diskutierte die Ergebnisse im Kontext der aktuellen Klassifikationen. Auf diese Weise entstand der eigentliche Klassifikationsentwurf in 16 Sitzungen, welcher in der zweiten Phase evaluiert wurde.

Alle Mitglieder der Sektion Wirbelsäulen der DGOU wurden eingeladen, an 2 Online-Evaluationen teilzunehmen, die im Abstand von 4 Wochen durchgeführt wurden. Die Fälle wurden allen Teilnehmenden während der Sitzungen online präsentiert und die Ergebnisse wurden online dokumentiert. Von den 28 Teilnehmenden des Evaluationsprozesses hatten 13 am Entwicklungsprozess teilgenommen. Fünfzehn weitere Teilnehmende arbeiteten erstmals mit dem OF-Pelvis-Klassifikationssystem.

Zur Beurteilung der Übereinstimmung zwischen den Teilnehmenden wurde das Fleiss‘ kappa (?F) berechnet. Zur Beurteilung der Übereinstimmung eines Teilnehmenden mit sich selbst in den 2 Durchgängen wurde das Kendalls Tau (?K) berechnet. Bei der Interpretation der ?F- und ?K-Werte wurden die Kriterien von Landis und Koch [10] verwendet. Hierbei bedeuten 0,01–0,20 eine geringe, 0,21–0,40 eine mittlere, 0,41–0,60 eine mäßige, 0,61–0,80 eine substanzielle und 0,81–1,00 eine fast perfekte Übereinstimmung. Die OF-Pelvis-Klassifikation wurde 2021 publiziert [11].

OF-Pelvis-Klassifikation

Kategorien

Die OF-Pelvis-Klassifikation besteht aus 5 Kategorien und 3 Modifikatoren (Abb. 1). Die Verletzungsschwere steigt von OFP 1 bis OFP 5 an. Die Modifikatoren deuten auf einen höheren Instabilitätsgrad und eine Verletzung weiterer Strukturen hin.

Der Fall eines alleinigen Ödemnachweises am Beckenring an jedweder Lokalisation, ohne dass in der CT Frakturen nachweisbar sind, entspricht der Untergruppe OFP 1.

Frakturen, die sowohl in der CT als auch in der MRT nachweisbar sind, werden je nach Frakturlokalisation in die Kategorien OFP 2 bis OFP 5 eingeteilt.

Die Kategorie OFP 2 beschreibt eine alleinige Fraktur des vorderen Beckenrings. Diese kann ein- oder beidseitig bestehen. Voraussetzung für die Einteilung in die Kategorie OFP 2 ist, dass die hinteren Beckenringstrukturen in der CT keine Fraktur aufweisen.

Die Kategorie OFP 3 beschreibt eine einseitige Sakrumfraktur mit oder ohne Fraktur des vorderen Beckenrings. Es wird nicht zwischen einem transalaren oder transforaminalen Verlauf differenziert.

Die Kategorie OFP 4 beschreibt eine beidseitige Sakrumfraktur mit oder ohne Fraktur des vorderen Beckenrings.

Die Kategorie OFP 5 beschreibt eine transiliosakrale oder iliakale Fraktur, die ein- oder beidseitig vorliegen kann. Die Beteiligung des Iliums bedingt die Zuordnung zur Kategorie OFP 5. Hierbei ist es nicht wesentlich, ob die Fraktur ausschließlich durch das hintere Ilium verläuft oder ob die Fraktur durch das Sakrum und das Ilium verläuft, z.B. im Sinne einer transiliosakralen Crescentfraktur.

Modifikatoren

Die Modifikatoren weisen auf einen höheren Instabilitätsgrad der Fraktur und die Verletzung weiterer Strukturen hin. Ein Abriss des Querfortsatzes des LWK 5 wird mit dem Modifikator 1 bezeichnet und steht im Zusammenhang mit der Insuffizienz der lumbopelvinen Bänder, welcher häufig erst im späteren Verlauf einer hinteren Beckenringfraktur auftritt [12, 13]. Der Modifikator 2 wird vergeben, wenn eine Dislokation der Fraktur vorliegt, da auch diese für eine Insuffizienz der ligamentären und periostalen Stabilisatoren spricht. Der Modifikator 3 stellt einen Ödemnachweis an einer Lokalisation am Beckenring dar, an welcher keine Fraktur in der CT nachweisbar ist. Er zeigt eine ausgedehntere Fraktur an, welche sich im Rahmen des weiteren Frakturprogresses zu einer auch in der CT sichtbaren Fraktur entwickeln kann [12].

Reliabilität der
OF-Pelvis-Klassifikation

Alle Mitglieder der Sektion Wirbelsäule der DGOU wurden eingeladen, an 2 Online-Evaluationen teilzunehmen, die im Abstand von 4 Wochen durchgeführt wurden. Die Fälle wurden allen Teilnehmenden während der Sitzungen online präsentiert und die Ergebnisse dokumentiert. Von den 28 Teilnehmenden des Evaluationsprozesses hatten 13 am Entwicklungsprozess teilgenommen. Fünfzehn weitere Teilnehmende arbeiteten erstmals mit dem OF-Pelvis-Klassifikationssystem.

Zur Beurteilung der Übereinstimmung zwischen den Teilnehmenden wurde wie oben schon beschrieben das Fleiss‘ kappa (?F) berechnet. Zur Beurteilung der Übereinstimmung eines Teilnehmenden mit sich selbst in den 2 Durchgängen wurde das Kendalls Tau (?K) berechnet.

Die Übereinstimmung in der Beurteilung der Kategorien zwischen den Teilnehmenden der Evaluationen war substanziell (? F = 0,764,
1. Durchgang und ? F = 0,790,
2. Durchgang). Es bestand kein signifikanter Unterschied zwischen denen, welche die Klassifikation mitentwickelt hatten und den Erstanwendenden (? F = 0,766 für Erstanwendende und ? F = 0,813 für Entwickelnde (beides 2. Evaluation)).

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