Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017

Die Patella in der Endoprothetik

Armin Keshmiri1, Philip Schöttle1, Joachim Grifka2, Günther Maderbacher2

Zusammenfassung: Zur Vermeidung postoperativer Beschwerden in der Knieendoprothetik ist ein zentraler Lauf der Patella in der Femurkomponente essenziell. Die Ausrichtung der Prothesenkomponenten spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Die koronare, sagittale, aber vor allem auch die axiale Ausrichtung sowohl der femoralen als auch der tibialen Komponente sollte sowohl isoliert betrachtet werden, jedoch vor allem kombiniert. Auch die mediolaterale Ausrichtung der Komponenten und die Wahl der chirurgischen Patellaintervention scheinen mögliche Faktoren für das Auftreten postoperativer Beschweren im Bereich des Patellofemoralgelenks darzustellen. Um bei bestehenden Beschwerden eine Komponentenfehlplatzierung oder eine Patella baja/alta auszuschließen gilt es nach erfolgter klinischer Untersuchung des Patellofemoralgelenks, die entsprechende Bildgebung mit konventionellem Röntgen und Computertomografie einzuleiten. Bei verifizierter Pathologie gilt es die Beschwerdesymptomatik für mindestens 3 Monate konservativ zu therapieren bevor eine chirurgische Intervention weichteiladressierend bis hin zum Komponentenwechsel durchgeführt wird.

Schlüsselwörter: Patella, Knieendoprothetik, vorderer
Knieschmerz, Patellatracking, Komponentenausrichtung

Zitierweise
Keshmiri A, Schöttle P, Grifka J, Maderbacher G: Die Patella in der Endoprothetik.
OUP 2017; 6: 328–333 DOI 10.3238/oup.2017.0328–0333

Summary: To prevent discomfort and pain after total knee replacement, a central patella tracking is essential. Positioning of the prosthetic components plays an important role in this manner. Coronar, sagittal and especially axial component alignment of the femoral and tibial component should be analysed isolated but also combined. Furthermore, mediolateral component alignment and the joice of surgical patellar intervention seem to be risk factors regarding the development of postoperative pain in the patellofemoral joint. To analyse component malalignment or a patella baja/alta in the painful knee a conventional radiograph and a computer tomography should be performed after clinical examination of the patellofemoral joint. Even if a pathology could be found, conservative treatment should be performed for at least 3 month before a surgical soft tissue intervention or a component revision surgery is planed.

Keywords: patella, knee replacement, anterior knee pain,
patellar tracking, component alignment

Citation
Keshmiri A, Schöttle P, Grifka J, Maderbacher G: The patella in knee replacement.
OUP 2017; 6: 328–333 DOI 10.3238/oup.2017.0328–0333

Einleitung

Ein nicht unwesentlicher Anteil an Komplikationen nach Implantation eines künstlichen Kniegelenks wird auf das Patellofemoralgelenk zurückgeführt. Diese werden in der Literatur mit bis zu 20 % angegeben [8, 12, 23].

Sowohl die korrekte knöcherne Resektion und Positionierung der Komponenten als auch additiv-weichteiladressierende Maßnahmen reduzieren das Risiko patellofemoraler Komplikationen und beeinflussen das postoperative Ergebnis wesentlich.

Im Folgenden soll sowohl auf die Positionierung der Komponenten als auch auf zusätzliche weichteiladressierende Maßnahmen in Hinblick auf das Patellofemoralgelenk in der Knieendoprothetik eingegangen werden.

Ursachen der Patellaproblematik in der Endoprothetik

Komponentenmalalignment

Koronares Malalignment

Wie in der gelenkerhaltenden Kniechirurgie, beeinflusst auch die in der Knieendoprothetik iatrogen verursachte Valgusfehlstellung die patellofemorale Kinematik und Stabilität sowie die retropatellaren Druckverhältnisse maßgeblich. Eine Valgusdeviation der koronaren Achsausrichtung geht mit einer Vergrößerung des nach lateral gerichteten Kraftvektors einher, der sich aus dem Ligamentum patellae und dem Musculus quadriceps bildet. Diese Fehlstellung gilt es in der Knieendoprothetik aufgrund aller bekannten negativen Konsequenzen für das Patellofemoralgelenk, wie patellare Subluxation und vergrößerter patellarer Tilt mit resultierendem vorderen Knieschmerz zu vermeiden [7].

Die intramedulläre Ausrichtung der Komponenten, insbesondere in der Revisionsendoprothetik, birgt die Gefahr einer koronaren Fehlpositionierung. Außerdem konnte gezeigt werden, dass der präoperativ gemessene Valguswinkel aufgrund der Projektionsungenauigkeit der Ganzbeinstandaufnahme nicht sicher bestimmt werden kann [18]. Die Valguswinkeleinstellung von 7° reproduziert aber im Mittel die geringste koronare Achsabweichung von der geraden Beinachse [19]. Gerade in der Revisionsendoprothetik, wenn lange intramedulläre Schäfte verwendet werden, sollte auf die exakte koronare Ausrichtung der Komponenten geachtet werden und diese zusätzlich extramedullär überprüft werden, um eine Valgusdeviation zu vermeiden (Abb. 1a–b).

Sagittales Malalignment

Auch die sagittale Komponentenplatzierung beeinflusst nachweislich die patellofemorale Stabilität. In einer Kadaveruntersuchung konnte gezeigt werden, dass die Änderung der sagittalen Komponentenausrichtung die mediolaterale Translation der Patella signifikant beeinflußt [11]. Eine Änderung der femoralen Komponentenflexion von 0° auf 5° mit einer Erhöhung des posterioren tibialen Slope um 1° resultierte in einer Lateralverschiebung der Patella von ca. 17 mm. In einer weiteren Untersuchung konnte gezeigt werden, dass die durchschnittliche Flexion der femoralen Komponente unter Verwendung gängiger intramedullärer Ausrichtinstrumentarien 4,4° zur mechanischen Achse beträgt [21]. Ferner wurde nachgewiesen, dass eine zu starke Flexion der Femurkomponente zu schmerzhaftem Kniescheibenreiben und vorderem Knieschmerz führt [26]. In der aktuellen Literatur wird eine Flexion der femoralen Komponente zur Rekonstruktion einer zufriedenstellenden tibiofemoralen Kinematik von 0–3° empfohlen [17]. Die teils propagierte bewusste Flexion der femoralen Komponente zur Beeinflussung des Beugespalts sowie zur Optimierung der Beugefähigkeit sollte jedoch unter patellofemoralen Gesichtspunkten kritisch beäugt werden.

Axiales Malalignment

Genau wie bei angeborenen Rotationsfehlern der unteren Extremität beeinflusst die Rotation der Komponenten in der Knieendoprothetik wesentlich die patellofemorale Stabilität. Hierbei werden unterschiedliche anatomische Orientierungshilfen zur korrekten Ausrichtung der femoralen Komponente bei der „Measured-resection“-Technik herangezogen. Die Ausrichtung nach der chirurgischen transepikondylären Achse (sTEA), der posterioren Kondylenline (PCL) oder der Whitesideline finden hierbei trotz erheblicher Ungenauigkeit am häufigsten Gebrauch. Hinsichtlich der tibialen Komponentenrotation gibt es unterschiedliche Versuche, eine entsprechende Referenz zu finden. Bislang findet hierbei die Ausrichtung nach Akagi, die sich am medialen Drittel der Tuberositas tibiae und dem hinteren Kreuzband orientiert, die breiteste Anwendung [1]. Die von manchen Operateuren propagierte „Selbstausrichtung“ der tibialen Komponente nach mehreren Extensions- und Flexionszyklen stellt eine weitere Möglichkeit dar. Als Standard gilt trotzdem nach wie vor die Betrachtung der kombinierten Komponentenrotation nach Berger [3]. Eine femorale Innenrotation der Komponente zur Epikondylenlinie von mehr als 3° und eine tibiale Innenrotation der Komponente zur Tuberositas tibiae von mehr als 18° wird hierbei bislang als pathologisch beurteilt und sollte demnach auf jeden Fall vermieden werden. Allgemein gehaltene Normwerte wie diese sollten jedoch aufgrund neuerer Datenlage kritisch hinterfragt werden. In einer Kadaveruntersuchung konnte gezeigt werden, dass die größte Änderung der tibiofemoralen Kinematik in der Kombination von forcierter femoraler Innenrotation und tibialer Außenrotation der Komponenten resultiert [20]. Ebenso zeigte die bandspannungsadaptierte Ausrichtung der Femurrotation mit einem mittleren Außenrotationswert von circa 6° in Bezug auf die posteriore Kondylenlinie die bestmögliche Wiederherstellung der natürlichen patellofemoralen Kinematik bei Verwendung eines speziellen Prothesentyps [12].

Mediolaterales/
Ventrodorsales Malalignment

Auch die mediolaterale Positionierung der femoralen und tibialen Komponente hat eine drastische Auswirkung auf die patellofemorale Kinematik. Obwohl die Auswirkung auf die patellare Führung und die Tuberositas tibiae-Trochleagruben- (TTTG) Distanz noch nicht quantifiziert wurde, konnte in einer kürzlich publizierten Studie gezeigt werden, dass die herkömmliche Positionierung der femoralen wie tibialen Komponente zu einer Subluxation des Kniegelenks führen kann [22]. Aufgrund der dadurch auftretenden mediolateralen Stellungsänderung zwischen Femur und Tibia kommt es zu einer Änderung der TTTG-Distanz und konsekutiv ist eine Änderung der patellofemoralen Kinematik anzunehmen. Abbildung 2 zeigt die medio-laterale Position zwischen Femur und Tibia vor und nach Knieprothesenimplantation.

Auch die ventro-dorsale Positionierung der femoralen und tibialen Komponente muss einen Einfluss auf die patellare Kinematik ausüben. Dieser konnte bislang noch nicht quantifiziert werden und ist aktuell Gegenstand weiterer Untersuchungen.

Laterodistales Overstuffing der

femoralen Komponente

Aus patellofemoralen Gesichtspunkten empfiehlt sich die distale femorale Resektion anhand der lateralen Femurkondyle, und nicht anhand der medialen Femurkondyle zu referenzieren. Dieses Vorgehen geht mit einer geringen Proximalisierung der Gelenklinie einher, vermeidet jedoch sowohl ein laterodistales Overstuffing im Sinne eines „iatrogenen Bumps“, der meist zu prominenten lateralen Femurkomponenten führt. Zudem kommt es bei der Referenzierung an der medialen Femurkondyle zu einer Distalisierung der Gelenklinie im selben Ausmaß. Zur besseren Umsetzung der Referenzierung bietet sich die navigationsgestützte Implantationstechnik an.

Die im natürlichen Kniegelenk im Mittel um 3° nach medial abfallende Gelenklinie kann am ehesten durch die kinematische Ausrichtung der Komponenten erzielt werden. Bei Anwendung des sogenannten kinematischen Alignments werden die Komponenten allerdings nicht wie gewohnt normal auf die mechanische Beinachse im Sinne der mechanischen Ausrichtung, sondern anhand der ursprünglichen Gelenklinie ausgerichtet (Abb. 3a-c) [2, 9].

Obwohl die Hauptbelastungphase der Prothese während des Gangbilds in der Standphase und damit im Einbeinstand erfolgt und sich in dieser Phase die 3° nach medial gerichtete Neigung durch die Verschiebung des Körperschwerpunkts entsprechend ausgleicht (Abb. 4), ist nach wie vor die mechanische Ausrichtung der Prothese im Beidbeinstand als Standard zu werten.

Weitere biomechanische Testungen scheinen notwendig, um einen Vorteil der kinematischen gegenüber der mechanischen Ausrichtung der Knietotalendoprothese darzulegen. Abbildung 4 zeigt schematisch die Ausrichtung der Gelenklinie im Beidbein- und Einbeinstand.

Patella alta/baja

Wie bereits in vielen Untersuchungen gezeigt werden konnte, führt eine Patella alta zu einem späteren patellofemoralen Kontakt und einem späteren Eingleiten der Patella in die Trochlea. Außerdem resultiert eine erhöhte laterale Translation der Patella und ein größerer retropatellarer Spitzendruck in höheren Flexionsgraden [17, 26, 29].

In der Knieendoprothetik ist eine Patella alta sehr selten und in der Regel durch eine Verletzung der Patellarsehne verursacht. Eine zu geringe femorale Resektion bei Verwendung der „femur-first, measured-resection“ Technik kann zu einer Distalisierung der Gelenklinie von einigen Millimetern mit resultierender Patella alta führen. Viel häufiger jedoch findet sich eine artifizielle Proximalisierung der Gelenklinie durch eine zu geringe tibiale Resektion und ausgleichend vermehrter distaler femoraler Resektion mit konsekutiver Patella baja. Um eine iatrogene Verschiebung der Gelenklinie zu vermeiden, ist in jedem Fall eine tibiale und femorale Resektion entsprechend der Implantatstärke und des Verschleißes des Gelenks vor allem bei Revisionseingriffen durchzuführen.

Laterales Retinakulum

In der Revisionsendoprothetik, aber auch in der Primärendoprothetik mit vorbestehend ausgeprägter Valgusfehlstellung, bedingt ein verkürztes laterales Retinakulum aufgrund der eingetretenen Achsbegradigung einen verstärkten Kraftvektor nach lateral.

Kommt nun ein weiteres Instabilitätskriterium wie eine verminderte Außenrotation der femoralen Komponente hinzu, ist die laterale Subluxation oder Luxation der Patella vorprogrammiert.

Bei vorbestehenden stark ausgeprägten Valgusfehlstellungen ist es daher notwendig, das laterale Retinakulum samt subkutaner Verklebungen zu lösen und sekundär zu verschließen.

Wie in der implantatfreien Kniechirurgie kann eine laterale Erweiterung oder eine „Keblish-Plastik“, gekoppelt mit einer Doppelung des medialen Retinakulums, notwendig sein, um einen zufriedenstellenden Patellalauf zu gewährleisten. Eine Patellainstabilität sollte jedoch nie mit einer isolierten lateralen Erweiterung behandelt werden [24].

Des Weiteren hat sich in einer bislang noch nicht publizierten Studie eine sekundäre laterale Dislokation der Patella aufgrund der Insuffizienz der medialen Kapselnaht gezeigt. Die mögliche Notwendigkeit einer Verstärkung des medialen Retinakulums bzw. eine Augmentation des intraoperativ durchtrennten medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) ist anhand der Ergebnisse zu diskutieren. Um den medialen Kapsel-Band-Apparat nicht zu verletzen, wird von einigen Operateuren der laterale parapatellare Zugang propagiert. Hierbei ist jedoch in den meisten Fällen eine zusätzliche Tuberositasosteotomie notwendig, welche eine erhöhte Komorbidität birgt.

Retropatellarersatz/
Patelloplastie/laterale
Facettektomie

Ein wesentlicher Faktor, der zur Entstehung eines patellofemoralen Hyperkompressionssyndroms sowie einer Änderung des peripatellaren Weichteilmantels beiträgt, ist die Wahl und Umsetzung der entsprechenden chirurgischen Patellaintervention. Bei Verwendung eines Retropatellarersatzes sollte auf jeden Fall ein patellofemorales Overstuffing vermieden werden. Die Dicke des Retropatellarersatzes sollte die Stärke der Resektion nicht übertreffen. Ebenso sollte der First der Patella exakt durch die Position des Retropatellarersatzes rekonstruiert werden. Ein zu lateral platzierter Retropatellarersatz kann zu einer vermehrten Spannung im Bereich des lateralen Retinakulums und einer patellofemoralen Instabilität führen. Vorteile einer anatomischen gegenüber einer Dom-Patella konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Die Patelloplastie, bei der die Entfernung des verbliebenen retropatellaren Knorpels und der Sklerosezone durchgeführt wird, dient der Wiederherstellung einer anatomischen Patella. Die freiliegende Spongiosa kann sich dem femoralen Prothesenlager anpassen. Ebenso wird ein patellofemorales Hyperkompressionssyndrom vermieden. Die Patelloplastie wird von den Autoren vor allem bei jungen Patienten mit zu erwartendem Prothesenwechsel und Patienten mit schlechter Knochenqualität und Gefahr der Fraktur bei adäquater Patellaresektion durchgeführt. Von vielen Operateuren wird die isolierte laterale Facettektomie durchgeführt. Hierbei kann zwar das Risiko einer vor allem lateral auftretenden Hyperkompression minimiert werden, sie birgt jedoch wie in der implantatfreien patellofemoralen Chirurgie, die Gefahr der sekundären patellofemoralen Instabilität.

Insgesamt ist die Datenlage hinsichtlich chirurgischer Patellainterventionen und vor allem Patelloplastie sehr spärlich [5]. In einer retrospektiven Untersuchung von 130 Patienten konnte klinisch kein Unterschied zwischen Patienten mit und ohne Retropatellarersatz nach Knietotalendoprothese gefunden werden [16]. In einer Kadaveruntersuchung konnte kein signifikanter Unterschied in der postoperativen patellofemoralen Kinematik zwischen Retropatellarersatz und Patelloplastie sowie isolierter lateraler Facettektomie gefunden werden [13].

Diagnostik

Anamnese

Im Gegensatz zum vorderen Knieschmerz ohne bestehende endoprothetische Versorgung, sind die Beschwerden bei einliegender Prothese relativ unspezifisch. Sehr häufig handelt es sich um Patienten mit bereits langer Historie und frustranen Versuchen konservativer Therapiemaßnahmen. Hinsichtlich der Anamnese sollten auf jeden Fall folgende typische Symptome abgefragt werden:

Schmerzsensationen: Treten Schmerzen bei Belastung des Kniegelenks auf (v.a. Treppen ab- und aufsteigen, Bergabgehen, tiefes Hocken)?

Ruheschmerz: Bestehen Schmerzen bei langem Sitzen mit angewinkelten Beinen?

Schmerzlokalisation: Ist der Schmerz auf den vorderen Kniegelenkbereich begrenzt?

Mechanische Sensationen: Bestehen Krepitationen, eine Einklemmsymptomatik oder „Springen“?

Vorbehandlung: Konservativ oder operativ? Was, wann und wie oft?

Patienten mit vorderem Knieschmerz berichten fast immer über Schmerzen im Bereich des lateralen Retinakulums. Hier scheint es aufgrund vermehrter Spannung zu vermehrten Zugkräften und einer Reizung des lateralen Kapsel-Band-Apparats zu kommen.

Klinische Untersuchung

Im Gegensatz zum implantatfreien Patellofemoralgelenk gibt es nach endoprothetischem Gelenkersatz deutlich weniger Tests, welche die Diagnose eines patellofemoralen Schmerzsyndroms zulassen. Die Untersuchung des Gangbilds ist essenziell, um die Beinrotation und die Stellung der Kniescheibe sowie der Fußstellung im Seitenvergleich zu analysieren. Eine Fehlrotation der femoralen Komponente kann durchaus in einem sichtbaren vermehrten lateralen Tilt der Kniescheibe resultieren. Ein gesundes Gangbild weist eine gerade nach ventral gerichtete Kniescheibe und einen Fußöffnungswinkel von 10–35° auf [27]. Eine vermehrte Innenrotation der beiden unteren Extremitäten kann Hinweis auf eine Coxa antetorta mit vorbestandener femoraler Innenrotation sein, die nicht durch die Prothesenversorgung ausgeglichen wurde. Es kommt zu einer Medialisierung der Trochlea und zu einer Vergrößerung des Quadrizeps (Q)-Winkels und den nach lateral gerichteten Kraftvektor.

Diverse Studien haben unterschiedliche Normwerte für den Q-Winkel beschrieben. Dieser kann aufgrund der Messungenauigkeit nicht als sicherer Parameter für eine operative Versorgung herangezogen werden, sollte aber vor allem im Seitenvergleich in die Entscheidungsfindung einfließen [6]. Häufig führt hierbei ein fehlrotiertes Tibiaplateau zu einer vermehrten Außenrotation der Tibia und einer Erhöhung des Q-Winkels.

Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die retropatellare Krepitation. Kommt es bei Flexion zu deutlicher Krepitation vor allem im Bereich des lateralen Patellofemoralgelenks, liegt häufig eine sekundäre Hyperkompression vor, die radiologisch verifiziert werden kann. Grundsätzlich gibt es jedoch keine Korrelation zwischen vorderem Knieschmerz und Krepitus. Johnson et al. fanden in 94 % aller gesunden Frauen und 45 % aller gesunden Männer einen hörbaren Krepitus [10]. Ebenso ist es wichtig, Patienten auf eine bestehende Patella alta zu untersuchen. Hierbei bietet es sich an, Patienten mit 90° flektiertem Knie auf der Untersuchungsliege sitzen zu lassen. Eine bestehende Patella alta ist nun im Seitenvergleich gut zu beurteilen, wobei die Patella sichtbar deutlich höher steht und in Richtung Zimmerdecke zeigt. Häufig kann ein von einem patellofemoralen Fehllauf hervorgerufener vorderer Knieschmerz durch eine verminderte passive mediolaterale Verschieblichkeit oder verringerten Tilt der Patella im Rahmen des „passiven Patella-Tilt-Test“ erkannt werden [15]. Hierbei versucht der Untersucher, den lateralen Patellarand vom lateralen Kondylus anzuheben. Natürlich sind weitere Tests, die auch in der implantatfreien Kniechirurgie zur Anwendung kommen (wie der Patellkompressionstest (Zohlen-Zeichen) oder der Test der „tanzenden Patella“) zur Verifizierung eines intraartikulären Ergusses durchzuführen.

Bildgebung

In gewohnter Weise lassen sich präoperative Fehlstellungen wie eine Patella alta/baja oder eine Valgusdeformität anhand der standardisierten konventionell-radiologischen Bildgebung verifizieren. Die Bestimmung der Patellahöhe wird mit entsprechenden Indices anhand einer seitlichen konventionell-radiologischen Aufnahme bestimmt. Dabei wird der Insall-Salvati-Index (ISI) verwendet, um eine Veränderung des patello-ligamentären Verhältnisses zu erkennen und der Caton-Deschamps-Index (CDI), um die Distanz von der Patella zur Gelenklinie zu bestimmen. Liegt ein normaler ISI vor, aber ein pathologischer CDI, dann wurde in der Regel die Prothese auf einer unphysiologischen Gelenkhöhe implantiert.

Obwohl Ganzbeinstandaufnahmen aufgrund von Rotationsfehlern anfällig für mögliche Messfehler sind, sind sie für die Diagnostik extraartikulärer Deformitäten essenziell und unverzichtbar.

Die Computertomografie der gesamten unteren Extremität stellt den Goldstandard zur Analyse der Komponentenpositionierung dar. Hiermit kann eine Malrotation der unteren Extremität oder eine Komponentenfehlplatzierung verifiziert werden. Als Standard gilt nach wie vor die Methode nach Berger [3]. Eine femorale Innenrotation der Komponente zur Epikondylenlinie von mehr als 3° und eine tibiale Innrotation der Komponente zur Tuberositas tibiae von mehr als 18° wird hierbei als pathologisch beurteilt. Normwerte wie diese sollten, wie bereits oben angeführt, aufgrund der aktuellen Studienlage kritisch hinterfragt werden. Ebenso muss darauf hingewiesen werden, dass eine interindividuelle Streubreite der Anatomie vorliegen kann und die Messwerte mit den klinischen Symptomen übereinstimmen müssen um die Diagnose einer Komponentenfehlrotation zu bestätigen.

Ausschluss weiterer Ursachen

Auf jeden Fall sollten weitere Schmerzursachen wie eine akute Infektion oder ein Low-grade-Infekt oder eine Lockerung der Prothese ausgeschlossen werden. Hier empfiehlt sich im Zweifel eine Gelenkpunktion oder eine Arthroskopie mit histologischer und mikrobiologischer Probenentnahme. Mit einer szintigrafischen Untersuchung kann neben einer Prothesenlockerung als Schmerzursache auch eine Hyperkompression im Bereich des Patellofemoralgelenks verifiziert werden.

Therapie

Konservatives Vorgehen

Bevor eine operative Versorgung in Erwägung gezogen wird, sollten alle konservativen Möglichkeiten ausgereizt werden, da zu bedenken ist, dass ein Sekundäreingriff immer mit erhöhter Infektionsgefahr sowie Komorbidität vergesellschaftet ist.

Wie von Dye kürzlich publiziert, sollte zuallererst versucht werden, die Homöostase des Kniegelenks wiederherzustellen [25].

Hierzu zählen die Reduktion der körperlichen Belastung für ein vorgegebenes Intervall, lokal kühlende Maßnahmen, lokale Kortikoidinfiltrationen im Bereich des Schmerzpunkts sowie entzündungshemmende Medikation (NSAR). Im akuten Intervall sollte auf Physiotherapie verzichtet werden, um eine Persistenz der Entzündung zu verhindern und dem Patellofemoralgelenk sowie den umgebenen Weichteilen die Möglichkeit zu geben, die ursprüngliche Homöostase wiederzuerlangen. Die konservative Therapie mit oben genannten Maßnahmen sollte für mindestens 3 Monate durchgeführt werden, bevor an eine operative Versorgung gedacht wird.

Physiotherapie

Im Rahmen der Physiotherapie sollte vermehrt Augenmerk auf eine stets schmerzfreie Beübung gelegt werden. Auch die Folgetage nach der Beübung sollten keine vermehrten Schmerzen mit sich bringen. Die Dehnung der kniegelenkumgreifenden Muskulatur, speziell des M. quadriceps femoris und des medialen sowie lateralen Kapsel-Band-Apparats erscheinen hierbei essenziell. Eine forcierte Beübung im Sinne einer muskulären Stabilisierung ist aufgrund der zu befürchtenden patellofemoralen Hyperkompression als kontraproduktiv für das Wiedererlangen der Homöostase zu werten. Das häufig diskutierte und empfohlene isolierte Training des M. vastus medialis ist kaum möglich, kann aber durch lokale elektrische Muskelstimulation erfolgen [4].

Knöcherne Eingriffe

Der Tuberositasversatz mit einer Anterio-Medialisierung der Tuberositas tibiae stellt eine Möglichkeit dar, ein postoperativ aufgetretenes Patellamaltracking zu adressieren, ohne den retropatellaren Druck zu erhöhen. Vorher sollte jedoch eine Malrotation der entsprechenden Extremität oder eine Komponentenfehlpositionierung mittels CT ausgeschlossen werden.

Bei Durchführung eines Tuberositasversatzes sollte es jedoch nicht zu einem Caton-Deschamps-Index von < 1,1 oder einem TTTG Abstand von unter 10 mm kommen, um eine pathologische Überkorrektur und einen erhöhten patellofemoralen Anpressdruck zu vermeiden.

Im Gegensatz zur implantatfreien Kniechirurgie sollte die Fixierung der Tuberositasosteotomie mit mindestens 2 Schrauben oder sogar einer Drittelrohrplatte durchgeführt werden, da die Knochenheilung aufgrund der einliegenden Prothese und dem deutlich älterem Patientengut verlängert ist. Bei bestehendem vorderen Knieschmerz nach Knieprothesenimplantation mit durchgeführter Patelloplastie und nach wie vor bestehendem patellofemoralen Hyperkompressionssyndrom sollte eine weitere knöcherne Reduktion der Patella mit gleichzeitigem Retropatellrersatz in einem Folgeeingriff in Erwägung gezogen werden.

Weichteilige Eingriffe

Bei extensionsnaher Patellainstabilität und einliegender Knieprothese kann eine MPFL-Rekonstruktion zu einer Stabilisierung führen. Bei vorliegendem Retropatellarersatz ist die Fixierung jedoch erschwert. Hier bieten sich artifizielle, nicht resorbierbare Bänder an, welche die Patella mit periostalen oder transossären Nähten an den medialen Femurkondylus fixieren. In gleicher Weise wie in der implantatfreien Kniechirurgie sollte eine additive laterale Erweiterung des lateralen Retinakulums durchgeführt werden um einer Erhöhung des retropatellaren Druckes ohne Stabilitätsverlust entgegenzuwirken.

Wechseloperation

In vielen Fällen ist eine Komponentenfehlpositionierung der Grund für eine patellofemorale Instabilität in der Knieendoprothetik. Nach entsprechender Diagnostik ist in der Regel der einzeitige komplette Komponentenwechsel indiziert. Bei bestehender Komponentenfehlpositionierung sind sekundäre weichteiladressierende Maßnahmen meist nicht zielführend und bergen lediglich die Gefahr der Befundverschlechterung oder einer Infektion.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Armin Keshmiri

Abteilung für Orthopädie
und Unfallchirurgie

Isarklinikum München

Sonnenstraße 24–26

80331 München

keshmiri_armin@yahoo.de

Literatur

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Fussnoten

1 Abteilung für Orthopädie und Unfallchirurgie, Isarklinikum München

2 Orthopädische Klinik für die Universität Regensburg, Asklepios Klinikum Bad Abbach

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