Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017

Die Patella in der Endoprothetik

Bevor eine operative Versorgung in Erwägung gezogen wird, sollten alle konservativen Möglichkeiten ausgereizt werden, da zu bedenken ist, dass ein Sekundäreingriff immer mit erhöhter Infektionsgefahr sowie Komorbidität vergesellschaftet ist.

Wie von Dye kürzlich publiziert, sollte zuallererst versucht werden, die Homöostase des Kniegelenks wiederherzustellen [25].

Hierzu zählen die Reduktion der körperlichen Belastung für ein vorgegebenes Intervall, lokal kühlende Maßnahmen, lokale Kortikoidinfiltrationen im Bereich des Schmerzpunkts sowie entzündungshemmende Medikation (NSAR). Im akuten Intervall sollte auf Physiotherapie verzichtet werden, um eine Persistenz der Entzündung zu verhindern und dem Patellofemoralgelenk sowie den umgebenen Weichteilen die Möglichkeit zu geben, die ursprüngliche Homöostase wiederzuerlangen. Die konservative Therapie mit oben genannten Maßnahmen sollte für mindestens 3 Monate durchgeführt werden, bevor an eine operative Versorgung gedacht wird.

Physiotherapie

Im Rahmen der Physiotherapie sollte vermehrt Augenmerk auf eine stets schmerzfreie Beübung gelegt werden. Auch die Folgetage nach der Beübung sollten keine vermehrten Schmerzen mit sich bringen. Die Dehnung der kniegelenkumgreifenden Muskulatur, speziell des M. quadriceps femoris und des medialen sowie lateralen Kapsel-Band-Apparats erscheinen hierbei essenziell. Eine forcierte Beübung im Sinne einer muskulären Stabilisierung ist aufgrund der zu befürchtenden patellofemoralen Hyperkompression als kontraproduktiv für das Wiedererlangen der Homöostase zu werten. Das häufig diskutierte und empfohlene isolierte Training des M. vastus medialis ist kaum möglich, kann aber durch lokale elektrische Muskelstimulation erfolgen [4].

Knöcherne Eingriffe

Der Tuberositasversatz mit einer Anterio-Medialisierung der Tuberositas tibiae stellt eine Möglichkeit dar, ein postoperativ aufgetretenes Patellamaltracking zu adressieren, ohne den retropatellaren Druck zu erhöhen. Vorher sollte jedoch eine Malrotation der entsprechenden Extremität oder eine Komponentenfehlpositionierung mittels CT ausgeschlossen werden.

Bei Durchführung eines Tuberositasversatzes sollte es jedoch nicht zu einem Caton-Deschamps-Index von < 1,1 oder einem TTTG Abstand von unter 10 mm kommen, um eine pathologische Überkorrektur und einen erhöhten patellofemoralen Anpressdruck zu vermeiden.

Im Gegensatz zur implantatfreien Kniechirurgie sollte die Fixierung der Tuberositasosteotomie mit mindestens 2 Schrauben oder sogar einer Drittelrohrplatte durchgeführt werden, da die Knochenheilung aufgrund der einliegenden Prothese und dem deutlich älterem Patientengut verlängert ist. Bei bestehendem vorderen Knieschmerz nach Knieprothesenimplantation mit durchgeführter Patelloplastie und nach wie vor bestehendem patellofemoralen Hyperkompressionssyndrom sollte eine weitere knöcherne Reduktion der Patella mit gleichzeitigem Retropatellrersatz in einem Folgeeingriff in Erwägung gezogen werden.

Weichteilige Eingriffe

Bei extensionsnaher Patellainstabilität und einliegender Knieprothese kann eine MPFL-Rekonstruktion zu einer Stabilisierung führen. Bei vorliegendem Retropatellarersatz ist die Fixierung jedoch erschwert. Hier bieten sich artifizielle, nicht resorbierbare Bänder an, welche die Patella mit periostalen oder transossären Nähten an den medialen Femurkondylus fixieren. In gleicher Weise wie in der implantatfreien Kniechirurgie sollte eine additive laterale Erweiterung des lateralen Retinakulums durchgeführt werden um einer Erhöhung des retropatellaren Druckes ohne Stabilitätsverlust entgegenzuwirken.

Wechseloperation

In vielen Fällen ist eine Komponentenfehlpositionierung der Grund für eine patellofemorale Instabilität in der Knieendoprothetik. Nach entsprechender Diagnostik ist in der Regel der einzeitige komplette Komponentenwechsel indiziert. Bei bestehender Komponentenfehlpositionierung sind sekundäre weichteiladressierende Maßnahmen meist nicht zielführend und bergen lediglich die Gefahr der Befundverschlechterung oder einer Infektion.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Armin Keshmiri

Abteilung für Orthopädie
und Unfallchirurgie

Isarklinikum München

Sonnenstraße 24–26

80331 München

keshmiri_armin@yahoo.de

Literatur

1. Akagi M, Oh M, Nonaka T et al.: An Anteroposterior Axis of the Tibia for Total Knee Arthroplasty. Clin. Orthop 2004; 420

2. Bellemans J, Colyn W, Vandenneucker H, Victor J: The Chitranjan Ranawat award: is neutral mechanical alignment normal for all patients? The concept of constitutional varus. Clin Orthop Relat Res. 2012; 470: 45–53

3. Berger RA, Crossett LS, Jacobs JJ, Rubash HE: Malrotation Causing Patellofemoral Complications After Total Knee Arthroplasty. Clin. Orthop. Relat. Res. 1998; 356: 144–53

4. Callaghan MJ, Oldham JA, Winstanley J: A comparison of two types of electrical stimulation of the quadrizeps in the treatment of patellofemoral pain syndrome:A pilot study. Clin Rehabil 2001; 15: 637–46

5. Cerciello S, Robin J, Lustig S, Maccauro G, Heyse TJ, Neyret P: The role of patelloplasty in total knee arthroplasty. Arch Orthop Trauma Surg. 2016; 136: 1607–13

6. France L, Nester C: Effect of errors in the identification of anatomical landmarks on the accuracy of Q angle values. Clinical biomechanics (Bristol, Avon). 2001; 16: 710–3

7. Gromov K, Korchi M, Thomsen MG, Husted H, Troelsen A: What is the optimal alignment of the tibial and femoral components in knee arthroplasty? Acta Orthop. 2014; 85: 480–7

8. Heinert G, Kendoff D, Preiss S et al.: Patellofemoral kinematics in mobile-bearing and fixed-bearing posterior stabilised total knee replacements: a cadaveric study. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2011; 19: 967–972

9. Howell SM, Howell SJ, Kuznik KT, Cohen J, Hull ML: Does a kinematically aligned total knee arthroplasty restore function without failure regardless of alignment category? Clin Orthop Relat Res. 2013; 471: 1000–7

10. Johnson LL, van Dyk GE, Green JR 3rd, Pittsley AW, Bays B, Gully SM, Phillips JM: Clinical assessment of asymptomatic knees: comparison of men and women. Arthroscopy. 1998; 14: 347–59

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