Übersichtsarbeiten - OUP 06/2017

Die Patella partita, ein Apophysen-Äquivalent

Die Patella partita gehört – wie die Chondromalazie der Kniescheibenrückseite, das Malalignment und auch die Instabilität der Patella – zu den peripatellaren Abnormitäten [58], dazu auch Plica-Syndrome, Bursitiden, Fettkörperveränderungen, das Tractus iliotibialis-Syndrom u.a.. Die Patella partita entspricht einer Ossifikationsstörung, resultierend aus verschiedenen Ossifikationszentren in der Entwicklung der Kniescheibe. Vergleichbare pathologische Befunde resultieren an den Sehnenansatzstellen im Sinne des M. Osgood-Schlatter oder auch des M. Sinding-Larsen-Johansson, dies aber lokalisiert auf Ansatzstellen kräftiger Sehnen, nicht vergleichbar mit den Bandansatzstellen an der Patella, da auch die Quadrizepssehne und die Patellarsehne nicht als isolierte Strukturen zu werten sind, sondern mit begleitenden Bandkomplexen mit der Patella in Berührung sind.

Ein Charakteristikum der Apophyse ist die auf das Ossifikationszentrum einwirkende Traktion, die bei einer Entwicklungsstörung [35] zur Fragmentation des Ossifikationszentrums führen kann [80]. Die Folge ist an der Patella eine Ein- oder Mehrfachteilung (Abb. 5). Die Verschmelzung der Knochenkerne unterbleibt wegen eines verstärkten Muskelzugs oder einer vermehrten Biegebeanspruchung [67].

Die Patella wird von der Quadrizepssehne in Verbindung mit dem Lig. patellae geführt, dazu von den Retinakula, die als Teile der breiten Quadrizepssehne zu verstehen sind. Aus diesen Strukturen resultiert die Membrana fibrosa des Kniegelenks. Die Retinakula ziehen neben der Patella hinweg und strahlen relativ weit weg von der Tuberositas tibiae in die Tibiametaphyse ein. Diese tibial inserierenden Strukturen entsprechen dem Lig. patellae, nur ein geringer Anteil davon setzt an der Tuberositas tibiae als Patellarsehne an. Außer den Retinakula, die streng longitudinal verlaufen, gibt es mehrere Faserzüge, die auch quer verlaufen und damit die beiden Femurkondylen (Epikondylen) quer über den Oberrand der Patella miteinander verbinden als Ligg. patellofemoralia med. et lat. mit einem zusätzlichen Lig. patellofemorale inf. lat. [66]. Das Lig. patellofemorale lat. entspringt auch am Tractus iliotibialis, und die Ansatzstellen der Quadrizeps- bzw. Patellarsehne werden als chondral-apophysäre Ansatzzonen bezeichnet [74, 28]. Andere Faserzüge erreichen von der Patella ausgehend die Menisken (Abb. 6).

Apophysen entstehen bei der Ossifikation aus epiphysenahen-metaphysären Nebenkernen (sekundäre Ossifikationszentren) und entwickeln sich zu Knochenvorsprüngen, die meist als Ansatzstellen von Sehnen und Bändern dienen. Normalerweise verschmelzen Apophysen mit dem Hauptknochenkern. Die Ansatzstellen der Bandstrukturen an der Patella sind aber nicht identisch mit einer typischen sehnigen Ansatzstelle an einer Apophyse, aber im Wert oder in der Geltung dem Verglichenen entsprechend, also ein Äquivalent im Sinne eines gleichwertigen Ersatzes. Diese Aussage stützt sich auf den Hinweis, dass Band- und Sehnenansätze über Sharpey’sche Fasern in den Knochen ziehen, und somit sind der M. Osgood-Schlatter und auch das Sinding-Larsen-Syndrom als chronische Schäden aus chondroossären Strukturen durch eine Zugbelastung im Wachstumsalter zu erklären [46, 23, 40, 45]. Die Patella bipartita ist somit ähnlich der Apophyse strukturell zu werten, präziser formuliert handelt es sich aber um ein Apophysen-Äquivalent.

Die Diagnose der Patella partita resultiert meist aus einem Röntgenbild. Diese häufig dem superolateralen Patellarand zuzuordnenden Knochenkerne können verschiedenen Ursprungs sein:

  • 1. Ossifikationsstörung als Apophysen-Äquivalent
  • 2. Veraltete Fraktur als Pseudarthrose
  • 3. Verletzung einer Patella bipartita, d.h. Verletzung eines Apophysen-Äquivalents.

Unterscheidungsmöglichkeiten können darin gesehen werden, dass Ossifikationsstörungen meist bilateral vorkommen, was für eine einseitige Knieverletzung nicht zutrifft, andererseits sind die Apophysen-Äquivalente asymptomatisch, aber auch symptomatisch, und dies ohne zusätzlichen Einfluss von außen. Tritt dieser Einfluss von außen als Verletzung ein und resultiert eine nicht adäquate Behandlung, so kann eine veraltete Fraktur zur Pseudarthrose werden, das Nativ-Röntgenbild alleine ist dann nicht ausreichend zur Differenzierung. Die veraltete Verletzung sollte in aller Regel Folge einer vorausgegangenen Verletzung sein, es gibt aber auch die Verletzung einer Patella bipartita, wobei dann normalerweise Verletzungszeichen auch von außen erkennbar sein sollten. Abrissverletzungen dagegen sind an der Patella, abgesehen von dem knöchernen Abriss der Quadrizepssehne oder der Patellarsehne, nicht erklärbar, da die ansetzenden Bandstrukturen nicht kräftig genug sind, um eine Ausrissverletzung zu verursachen. Dies ist nur erklärbar durch direkte Kräfte, so wie diese auch bei der Patellaluxation vorkommen. Im Unterschied zu Frakturen besteht bei der Patella partita in der Folge der Ossifikationsstörung kein Knochenmarködem. Im T2w-Bild ist die Verbindung zwischen den Knochenteilen signalreich als Synchondrose mit knorpeligem Material abzugrenzen [78]. Bei symptomatischer Reizung (Synchondritis patellae bipartitae) besteht eine ödematöse Signalanhebung der Synchondrose mit angrenzendem Knochenmarködem [78, 72]. Damit entfällt bei diesem Erkrankungsbild die Möglichkeit der Differenzierung zu einer Fraktur. Es kann also durch Überlastung oder auch durch „Traumata“ [6] eine Fraktur vorgetäuscht werden. Bei der Patella bipartita (symptomatisch oder asymptomatisch) ist jedoch der Knorpelbelag intakt, und somit ist magnetresonanztomografisch eine Differenzierung der überlastungsbedingten Veränderung der Synchondrosis von einer tatsächlichen Verletzung, auch einer Patella bipartita, möglich.

Resümee

Stückabtrennungen von der Patella sind in aller Regel Folge einer Ossifiaktionsstörung im Ansatzgebiet unterschiedlicher Bandstrukturen an der Kniescheibe, kernspintomografisch ohne Knochenmarködem und mit erhaltenem Knorpelbelag bei einer symptomatischen oder auch asymptomatischen Pathologie. Kommt es zu Verletzungen dieser Patella partita oder zu echten rezenten Frakturen, so resultieren, so wie dies auch bei Pseudarthrosen der Fall ist, gleichzeitig Unterbrechungen des Knorpelbelags. Aus der Überlastung dieser knorpeligen Verbindung der beiden Ossifikationszentren resultiert allenfalls eine Synchondrose, nicht eine in der Literatur genannte Synchondritis patellae bipartitae, da tatsächliche entzündliche Veränderungen histologisch nicht erkennbar werden.

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