Übersichtsarbeiten - OUP 06/2018

Distale Humerusfrakturen
Epidemiologie, Diagnostik, Klassifikation, operative Techniken, ErgebnisseEpidemiology, diagnostics, classification, surgical approach, outcome

Andreas Harbrecht1, Michael Hackl1, Lars-Peter Müller1, Kilian Wegmann1

Zusammenfassung: Distale Humerusfrakturen sind häufig komplexe Verletzungen, die einen sorgfältig geplanten Therapieansatz benötigen. Ziel ist es, ein Höchstmaß an Stabilität und Funktionalität für das Ellenbogengelenk wiederzuerlangen. Therapie der Wahl ist die Osteosynthese, um den Patienten möglichst frühzeitig Übungsstabilität zu ermöglichen. Die Fraktur wird anhand der AO-Klassifikation, unter Zuhilfenahme der Dubberley-Klassifikation bei Frakturen in der Frontalebene, eingeteilt. Je nach Frakturtyp reicht die Osteosynthese von Schrauben- bis hin zur Doppelplattenosteosynthese, welche parallel oder 90° versetzt angeordnet werden kann. Kombinationsverfahren sind häufig. Anatomisch vorgeformte winkelstabile Plattensysteme erreichen dabei auch bei osteoporotischem Knochen gute klinische Ergebnisse. Als Rückzugsverfahren steht beim geriatrischen Patienten die Ellenbogenprothetik zur Verfügung. Zu den häufigsten Komplikationen der operativen Eingriffe am distalen Humerus gehören die Ellenbogensteife, traumatische und posttraumatische Schäden des N. ulnaris, heterotope Ossifikationen, Pseudarthrosen und die posttraumatische Arthrose.

Schlüsselwörter: distale Humerusfraktur, Klassifikation, operative Techniken, Schraubenosteosynthese, Doppelplattenosteosynthese, klinisches Ergebnis

Zitierweise
Harbrecht A, Hackl M, Müller LP, Wegmann K: Distale Humerusfrakturen. Epidemiologie, Diagnostik, Klassifikation, operative Techniken, Ergebnisse.
OUP 2018; 7: 311–318 DOI 10.3238/oup.2018.0311–0318

Summary: Distal humerus fractures are difficult injuries that require a carefully planned approach. To restore the anatomy and achieve a satisfying functional outcome, surgical fixation represents the treatment of choice. Fractures are classified according to the AO-classification and according to the Dubberley-classification for fractures with coronal shearing. Depending on fracture morphology, fixation can be performed with screws but is most commonly done with bicolumnar double-plate osteosynthesis. Precontoured plates can be arranged parallel or perpendicular and achieve high stability as well as good functional outcome, also in case of osteoporosis. If reconstruction is not feasible, total elbow arthroplasty represents a useful salvage procedure in the elderly patient. The most common complications include elbow stiffness, traumatic and posttraumatic ulnar neuropathy, heterotopic ossification, non-union and post-traumatic arthrosis.

Keywords: distal humerus fractures, classification, surgical
technique, cannulated compression screws, double-plate
fixation, outcome

Citation
Harbrecht A, Hackl M, Müller LP, Wegmann K: Fractures of the
distal humerus. Epidemiology, diagnostics, classification, surgical
approach, outcome.
OUP 2018; 7: 311–318 DOI 10.3238/oup.2018.0311–0318

1 Schwerpunkt für Unfall-, Hand- und Ellenbogenchirurgie der Universität zu Köln

Epidemiologie und
Unfallmechanismus

Die Behandlung der distalen Oberarmfraktur beim Erwachsenen ist anspruchsvoll, geht nicht selten mit einer dauerhaften Reduktion der Funktion des betroffenen Ellenbogens einher und birgt potenzielle operative Komplikationen. Insgesamt tritt diese Entität selten auf. Sie macht einen Anteil von 2–6 % aller Frakturen mit einer Inzidenz von 5,7 pro 100.000 Einwohnern pro Jahr aus [9, 27]. Betrachtet man die demografische Entwicklung, so muss man mit einer steigenden Inzidenz aufgrund der steigenden Anzahl älterer Patienten mit osteoporotisch veränderter Knochenstruktur rechnen [24].

Es sind 2 Häufigkeitsgipfel in der Verteilung der Frakturen auszumachen. Der erste bei den 12- bis 19-jährigen Männern und ein weiterer bei Frauen über 80 Jahren [27].

Bei jungen Erwachsenen ist meist ein Hochrasanztrauma mit einer direkten Krafteinwirkung auf den Ellenbogen Ursache für eine Frakturentstehung am distalen Humerus. Bei den älteren Patienten, die meist osteoporotisch veränderte Knochenstrukturen aufweisen, ist ein Niedrigenergietrauma wie z.B. ein Stolpersturz mit axialer Stauchung des Ellenbogens durch Abfangen des Sturzes mit gestrecktem oder leicht gebeugtem Ellenbogen im Sinne eines indirekten Traumas ausreichend. Es sind aber auch direkte Frakturmechanismen durch unmittelbaren Anprall des Olekranons denkbar. Durch die unterschiedliche Stellung des Ellenbogengelenks zum Zeitpunkt der Krafteinwirkung entstehen verschiedene Frakturtypen.

Frakturklassifikation

Durchgesetzt hat sich im klinischen Alltag die Einteilung der Frakturen nach AO [20]. Sie ermöglicht ein frakturspezifisches therapeutisches Vorgehen. Entsprechend der Klassifikation sind die distalen Humerusfrakturen dem Segment 13 zuzuordnen und werden weiter in 3 Typen A–C mit Schweregraden unterteilt. (Tab. 1). Zusätzlich existieren Einteilungen nach Bryan und Morrey, McKee und Ring/Jupiter, welche rein deskriptiv sind und sich über die Fragmentgröße sowie den Grad der Zertrümmerung definieren [4]. Die 2006 eingeführte Dubberley-Klassifikation stellt eine Subklassifikation der B3-Frakturen dar. Es sind 3 Typen definiert.

Der erste Typ beschreibt eine Fraktur des Capitulum humeri als koronare Abscherung mit oder ohne Fraktur der lateralen Trochleawand,

der zweite Typ Frakturen von Capitulum und Trochlea als ein singuläres Abscherfragment, bei denen die Fraktur in der koronaren Ebene über das Capitulum bis einschließlich zur lateralen Trochlea reicht und der

dritte Typ Frakturen von Capitulum und Trochlea, wobei diese jedoch separat voneinander frakturiert sind.

Zusätzlich unterscheidet Dubberly in Typ-A- und -B-Frakturen. Bei Typ B ist eine posteriore Trümmerzone vorhanden [7].

Diagnostik

Unerlässlich ist eine ausführliche Anamnese und klinische Untersuchung. Erste Hinweise auf eine Fraktur können Schwellung, Schmerz, abnorme Achsfehlstellung sowie Weichteilmantelverletzungen sein. Ein Frakturhämatom ist oftmals initial noch nicht relevant ausgeprägt und demaskiert sich erst später. Eine genaue Untersuchung des verbliebenen Bewegungsausmaßes wird meist von Seiten der Patienten nicht toleriert. Die Dokumentation des Gefäß- und Nervenstatus ist obligat, um traumatische Schädigungen von iatrogenen oder intraoperativen Schäden abzugrenzen. Werden hierbei Schäden diagnostiziert, ist eine fachspezifische präoperative Vorstellung zu empfehlen.

Die Basisdiagnostik in der Bildgebung beinhaltet ein Röntgen des betroffenen Ellenbogens, evtl. erweitert durch ein Röntgen des gesamten Ober- und Unterarms in 2 Ebenen. Handelt es sich um eine mehrfragmentäre Fraktur, bei der die einzelnen Fragmente nicht sicher voneinander abzugrenzen sind, oder handelt es sich um eine intraartikuläre Fraktur, muss die Diagnostik um ein CT mit 3D-Rekonstruktion erweitert werden. Nur dadurch können ein weiteres Verständnis für den Frakturverlauf und die Morphologie der einzelnen Fragmente sowie eine exaktere Klassifikationseinteilung generiert werden [5].

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