Übersichtsarbeiten - OUP 06/2018

Distale Humerusfrakturen
Epidemiologie, Diagnostik, Klassifikation, operative Techniken, ErgebnisseEpidemiology, diagnostics, classification, surgical approach, outcome

Die MRT spielt in der Frakturdiagnostik keine Rolle, da sie ihre Vorteile in der Darstellung von Band- und Weichteilstrukturen hat.

Wichtige Begleitverletzungen

In Abhängigkeit vom Unfallmechanismus sind wichtige neurovaskuläre Strukturen am Ellenbogen gefährdet. Durch scharfe Frakturkanten und/oder Fragmente kann die A. brachialis verletzt werden, welche beugeseitig unter der Aponeurose des M. biceps brachii durch die Fossa cubiti zieht. Als funktionelle Endarterien können somit die A. radialis und A. ulnaris nicht mehr perfundiert sein. Gegebenenfalls muss daher eine Dopplersonografie oder sogar Angiografie bei klinischem Verdacht erfolgen.

Nervenverletzungen sind aufgrund ihrer anatomischen Nähe zum Ellenbogengelenk häufiger. Ihre Häufigkeit wird bei primär traumatischen Schäden mit bis zu 20 % angegeben [12]. Traumatische Verletzungen des N. radialis sind mit 15 % am häufigsten. Der N. ulnaris folgt mit 10 % und der N. medianus mit 4 % [16]. Bei Typ-C-Verletzungen nach AO stellt die Läsion des N. ulnaris mit einer Inzidenz von 25 % die häufigste Komorbidität dar [21]. Als Ursache der Läsionen ist meist eine Überdehnung festzustellen, sodass der weitere Spontanverlauf abgewartet werden kann. Bei Ausfällen über 3 Wochen sollte eine fachspezifisch erweiterte Diagnostik erfolgen.

Offene Weichteilverletzungen kommen bei direktem Trauma auf den Ellenbogen häufig vor, da der Weichteilmantel über den knöchernen Landmarken sehr dünn ist. Insgesamt haben offene Frakturen einen Anteil von 14 % am Ellenbogen [30].

Therapie

Operativ

Die offene Reposition und interne Fixierung nach Prinzipien der AO stellt heutzutage die Standardversorgung der distalen Humerusfrakturen dar. Ziel der operativen Therapie ist die Wiederherstellung der anatomischen Begebenheiten des Ellenbogengelenks, um eine frühzeitige übungsstabile Situation zu schaffen und den Patienten möglichst schnell in die Selbstständigkeit zurückzuführen.

Idealerweise erfolgt die primäre definitive operative Versorgung der Fraktur innerhalb der ersten 24 Stunden nach Trauma. Erfolgt die Versorgung in diesem Zeitraum, können Komplikationen wie Infektionen oder heterotope Ossifikationen reduziert und ein besseres funktionelles Ergebnis erzielt werden, da der Patient schnell in die Beübung überführt werden kann [36].

Im klinischen Alltag kommen heterogene Frakturformen mit zahlreichen primären Komplikationen vor, die eine primäre definitive Versorgung erschweren. Das Vorliegen von schweren Weichteil-, Gefäß- oder Nervenverletzungen, offenen Frakturen oder ein Kompartmentsyndrom stellen eine Notfallindikation dar, die eine unmittelbare operative Versorgung nötig machen. Ist hierbei keine primäre definitive Versorgung möglich, muss ggf. die Anlage eines gelenkübergreifenden Fixateur externe im Rahmen des „damage control“ erfolgen. Eine temporäre Stabilisierung kann somit erreicht und Begleitverletzungen können adressiert werden. Nach Verbesserung der Gesamtsituation kann schließlich die sekundäre Osteosynthese durchgeführt werden [2]. Zur Ausheilung einer Fraktur ist der gelenküberschreitende Fixateur oftmals nicht geeignet, da häufig keine anatomische Reposition möglich ist.

Für die definitive Versorgung der distalen Humerusfrakturen stehen mehrere Verfahren zur Auswahl, die ggf. auch kombiniert werden können.

Schraubenosteosynthese

Tiefe intraartikuläre Frakturen, welche eine Frakturlinie unterhalb der Fossa olecrani und eine Beteiligung des Capitulum humeri aufweisen, wie es z.B. bei Low-energy-Traumata mit koronarer Abscherung des osteoporotisch vorgeschädigten Knochens vorkommt, sind häufig einer reinen Plattenosteosynthese nicht zugänglich [7, 15, 23]. Doppelplatten reichen mit ihren Löchern nicht tief genug, um diese Frakturfragmente sicher zu refixieren. Oftmals kommt es aber auch zu einer Kombination der einzelnen Verfahren bei komplexen mehrfragmentären Frakturen.

Als Material zur Schraubenosteosynthese werden im eigenen Vorgehen kopflose Kompressionsschrauben mit einem Durchmesser von 2,2 oder 3,0 mm benutzt. Diese werden über zuvor eingebrachte K-Drähte als kanülierte und kopflose Kompressionsschrauben angewendet. Zur Sicherung der Rotationsstabilität müssen mindestens 2 Schrauben parallel oder divergierend eingebracht werden. Der Fokus sollte auf der korrekten Reposition der Trochlea und des Capitulum humeri liegen, da diese die entscheidenden Säulen für die Kraftübertragung sind [28]. Des Weiteren ist es wichtig, alle Fragmente ausreichend anatomisch zu reponieren, um eine Revaskularisierung zu ermöglichen (Abb. 1 und 2) [34].

Zusätzlich können Schrauben zur Osteosynthese bei Abrissfrakturen des Epicondylus humeri lateralis oder medialis (Typ A1) eingesetzt werden.

Plattenosteosynthese

Die Platten zur Versorgung der distalen Humerusfrakturen sollten aufgrund des geringen Weichteilüberzugs am Ellenbogen ein flaches Profil aufweisen und anatomisch vorgeformt sein.

Partiell artikuläre Frakturen (Typ B1 und B2) können mit einer singulären Plattenosteosynthese versorgt werden, wohingegen metaphysäre Frakturen (Typ A2 und A3) sowie intraartikuläre Frakturen (Typ C1 bis C3) über eine Doppelplattenosteosynthese stabilisiert werden. Kombiniert werden können beide Verfahren mit zusätzlichen freien Schrauben.

Handelt es sich bei den partiell artikulären Frakturen (Typ B3) zusätzlich um eine Fraktur mit einer dorsalen Trümmerzone (Dubberley Typ B), muss diese Trümmerzone meist mit Knochen aufgefüllt und zusätzlich per singulärer Platte versorgt werden [8].

Schwere artikuläre Frakturen (Typ C1 bis C3) erfordern eine dezidierte Darstellung des Gelenkblocks und daher einen ausreichenden Zugangsweg zur Verschraubung des Osteosynthesematerials. Die Darstellung des Gelenks erfolgt über einen dorsalen Zugang.

Für diesen Zugang bestehen zahlreiche Variationsmöglichkeiten an der Muskulatur vorbei oder durch sie hindurch. Der Ellenbogen ist flexibel zu lagern, sodass intraoperativ eine Flexion des Gelenks von mindestens 90° möglich ist. Klassischerweise wird der Patient hierfür in Bauchlage mit einem kleinen Armtisch gelagert. Der Hautschnitt ist vom distalen Drittel des Humerus unter radialer Umschneidung der Olekranonspitze bis auf die proximale Ulnahinterkante zu ziehen [13]. Der N. ulnaris ist in seinem Verlauf am medialen Rand des Trizeps brachii aufzusuchen und konsequent zu schützen [1].

Operative Zugangswege

Paratrizipitaler Zugang

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