Übersichtsarbeiten - OUP 03/2021

Einsatz der Strahlentherapie zur Analgesie bei orthopädischen Erkrankungen
Welche Indikationen sind sinnvoll und erfolgversprechend?

Marcus Niewald, Sven Knobe, Patrick Melchior

Zusammenfassung:
Die Strahlentherapie gutartiger Erkrankungen, insbesondere der Knochen, Sehnen und Gelenke, hat eine fast hundertjährige Tradition. Sie wird überwiegend in deutschsprachigen Ländern durchgeführt.
Klassische Indikationen sind Enthesiopathien wie die Fasciitis plantaris, die Achillodynie, die Tendinitis trochanterica, die Epicondylitis humeri und die Tendinitis calcarea der Schulter. Hinzu kommen die Arthrosen diverser Gelenke. Die Wirksamkeit der Strahlentherapie bei Enthesiopathien ist aus retrospektiven und randomisierten Studien seit langer Zeit bekannt, bei Arthrosen derzeit jedoch Studienfrage.
Die betroffenen Gelenke werden nach orthopädischer Untersuchung und Diagnosestellung sowie Bildgebung einer Strahlentherapie mit niedrigen Dosen von gewöhnlich 3 Gy in 3 Wochen unterzogen. Der Effekt wird nach 3 Monaten oder später beurteilt, ein Ansprechen im Sinne einer Schmerzbesserung ist bei ca. 60–80 % der Patienten bei meistens fehlenden Nebenwirkungen zu erwarten.
Insofern ist die Strahlentherapie bei gegebener Indikation eine gute Alternative, z.B. zur medikamentösen Behandlung und kann helfen, eingreifende Operationen hintanzustellen oder zu vermeiden.

Schlüsselwörter:
Entzündung, Enthesiopathien, Arthrose, Strahlentherapie, niedrige Dosierung

Zitierweise:
Niewald M, Knobe S, Melchior P: Einsatz der Strahlentherapie zur Analgesie bei orthopädischen Erkrankungen. Welche Indikationen sind sinnvoll und erfolgversprechend?
OUP 2021; 10: 0119–0122
DOI 10.3238/oup.2021.0119–0122

Summary: Radiotherapy for benign diseases especially of the bones, tendons and joints has a long tradition of at least a century and is performed in the German speaking countries preferably.
Classical indications are enthesiopathies like plantar fasciitis, achillodynia, trochanteric tendinitis, epicondylitis and calcifying tendinitis of the shoulder. Additionally, patients with osteoarthritis of nearly all joints were irradiated. The effect of radiotherapy on enthesiopathies has been known retrospectively and from randomized trials for a long time but the effect on osteoarthritis is currently under debate and examined in some randomized trials.
After an orthopedic and radiologic examination, the regions involved are irradiated with low doses of usually 3 Gy within three weeks. The analgesic effect should be recorded after three months or even later. Pain relief has been published in 60–80 % of the patients. In the majority of patients, side effects are lacking or mild.
When indicated, radiotherapy can be a good alternative to analgesics. Oftentimes surgery can be delayed or avoided.

Keywords: inflammation, enthesiopathies, osteoarthritis, radiotherapy, low-dose

Citation: Niewald M, Knobe S, Melchior P: Use of analgesic radiotherapy for orthopedic diseases. Reasonable and potentially successful indications. OUP 2021; 10: 0119–0122. DOI 10.3238/oup.2021.0119–0122

Klinik für Strahlentherapie und Radioonkologie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar

Einleitung

Die niedrig dosierte Strahlenthera-pie gutartiger Erkrankungen wird
im deutschsprachigen Raum (d.h. Deutschland, Schweiz und Österreich) bereits seit fast 100 Jahren regelmäßig durchgeführt. Patterns-of-care Studien, veranlasst durch die Arbeitsgemeinschaft „Gutartige Erkrankungen“ der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), zeigen eine deutlich zunehmende Akzeptanz dieser Therapie [12, 15, 28]. So wurden bei der ersten dieser Studien insgesamt etwas mehr als 20.000 Patienten im Jahr mit gutartigen Erkrankungen in Deutschland bestrahlt, bei der neuesten Studie hat sich diese Zahl mit knapp 37.000 Patienten fast verdoppelt.

Vor ca. 70 Jahren wurden bereits die ersten retrospektiven Daten über eine gute Wirksamkeit dieser Therapie publiziert [29]. Der analgetische Effekt wurde in den vergangenen 2 Jahrzehnten durch randomisierte Studien weiter untersucht und bestätigt.

Indikationen

Zu den klassischen Indikationen der analgetisch intendierten Strahlentherapie gutartiger Erkrankungen zählen vor allem die Enthesiopathien wie z.B.

die Fasciitis plantaris (mit und ohne plantarem Fersensporn)

die Achillodynie (mit und ohne Haglund-Exostose oder dorsaler Spornbildung)

die Tendinitis trochanterica

die Epicondylitis humeri radialis und ulnaris

verschiedene degenerativ-entzündliche Veränderungen der Schulter wie z.B. das Impingement-Syndrom oder die Tendinitis calcarea.

Weiterhin werden Arthrosen diverser Gelenke, insbesondere des Kniegelenks und der Hand – und Fingergelenke regelmäßig behandelt. Zu erwähnen, wenn auch nicht Thema dieses Beitrags, sind hyperproliferative Erkrankungen wie der M. Dupuytren und der M. Ledderhose, die ebenfalls sehr schmerzhaft sein können und in Frühstadien einer Strahlentherapie gut zugänglich sind.

Voraussetzung für eine Strahlentherapie ist eine orthopädisch/unfallchirurgische Untersuchung und Diagnosestellung. Diese sollte minimal durch konventionelle Röntgenbilder der betroffenen Region ergänzt werden. In unklaren Situationen kann ein MRT oder ein Knochenszintigramm zusätzlich sinnvoll sein.

Konventionelle orthopädische Therapiemethoden wie z.B. die Verordnung von Einlagen oder Orthesen, Physiotherapie oder die kurzfristige Anwendung von Analgetika sollten erfolgt sein. Eine Strahlentherapie ist nach allgemeiner Übereinkunft erst nach einer Anamnesedauer von minimal 3 Monaten (in Studien werden oft auch 6 Monate gefordert) sinnvoll.

Aus Strahlenschutzgründen wird empfohlen, Patienten in einem Alter von unter 30 Jahren nach Möglichkeit nicht zu bestrahlen und orthopädische Methoden evtl. einschließlich operativer Eingriffe zu bevorzugen. Beispielsweise bei jungen Berufssportlern müssen hier allerdings gelegentlich individuelle Lösungen mit dem Patienten diskutiert werden. Patienten in einem Alter zwischen 30 und 40 Jahren sollten nur bestrahlt werden, wenn die gängigen konventionellen Therapiemethoden ausgenutzt sind und nicht zu Erfolg geführt haben [1].

Durchführung der
Strahlentherapie

Nach Beratung und Aufklärung des Patienten wird die betroffene Region vermessen, so werden die Feldgröße und der Durchmesser der betroffenen Region festgelegt. Bei komplexeren Indikationen empfiehlt sich die Planung mittels Computertomografie.

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