Übersichtsarbeiten - OUP 09/2017

Einzeitiger Wechsel infizierter Knieendoprothesen

5. Decontaminate

Noch verbleibende mikroskopische Biofilmreste sollten durch ausreichend hohe und anhaltende Antibiotikaspiegel vor Ort eliminiert werden [12].

Wenn es gelingt, alle 5 Forderungen optimal zu erfüllen, so sollte eine vollständige Keimelimination und somit auch die Möglichkeit einer sofortigen Versorgung mit Implantaten gewährleistet sein. Die Punkte 1–4 entsprechen weitestgehend den bereits etablierten Regeln der septischen Chirurgie. Für eine gesicherte Dekontamination des Implantatlagers sind jedoch weitaus höhere Antibiotikaspiegel erforderlich, als mit systemischer Gabe erzielbar.

Einzeitiger oder zweizeitiger Wechsel?

Im Konsensus-Meeting von Philadelphia wurden sowohl one-stage als auch two-stage als “reasonable option” klassifiziert [20]. Es gibt keine randomisierten Studien, die die Überlegenheit einer der beiden Optionen hinsichtlich Infekt-Beherrschung nachweisen, in Meta-Analysen wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede gefunden [9, 2, 10]. Hingegen besteht Evidenz für eine hohe Mortalität bei mehrzeitigem Vorgehen [3, 25] sowie eine klare Verbesserung der Lebensqualität bei einzeitigem Wechsel [23].

Einzeitiger Wechsel mit Antibiotika-Zement

Der Gedanke, eine Prothesen-Infektion mit nur einem Eingriff zu sanieren, führte Ende der 70er Jahre zur Entwicklung von Antibiotika-beladenem Zement [4]. Dessen Anwendung bei einzeitigen Wechseloperationen erbrachte in der Endoklinik Hamburg Erfolgsraten von über 90 % [24], trotzdem fand diese Technik keine allgemeine Verbreitung. Voraussetzung für einen möglichen Erfolg ist ein supra-radikales Debridement, zumeist mit Entfernung der periartikulären ligamentären Strukturen, sowie die Kenntnis des Erregers. Durch Zumischung von geeigneten Antibiotika zum Zement kann eine Wiederbesiedelung durch planktonische Erreger verhindert werden. Die erzielbaren lokalen Konzentrationen sind allerdings zu gering, um auch Biofilmreste zu eliminieren [11, 16]. Vielmehr können sie durch langjährige Abgabe subinhibitorischer Mengen sogar Resistenzen induzieren [5]. Ein weiterer Grund für die schlechte Akzeptanz lag wohl in der Problematik jener Fälle, die durch die Operation NICHT saniert werden konnten. Die neuerliche Entfernung einer gut einzementierten gestielten Prothese ist extrem schwierig und stets mit zusätzlichen Schäden am knöchernen Lager verbunden. Die Verhältnisse werden von Eingriff zu Eingriff immer schlechter.

Mehrzeitiger Wechsel mit Spacer

Die derzeit am häufigsten angewendete Strategie bei infizierten Implantaten besteht in einem mehrzeitigen Vorgehen. Um die Neuversorgung zu erleichtern werden dabei zumeist Platzhalter aus Antibiotika-beladenem Knochenzement im Intervall implantiert. Mittlerweile wurde mehrfach nachgewiesen, dass Antbiotika-beladene Spacer zwar einen kurzfristigen Schutz gegen Besiedelung durch planktonische Keime bieten, gegen Biofilm-Reste sind die erzielbaren Antibiotikakonzentrationen jedoch zu niedrig und zu kurzzeitig wirksam [17]; die Mehrzahl explantierter Spacer ist von Bioflmen besiedelt [1, 13]. Darüber hinaus sind sie instabil, nur begrenzt belastbar und mit einer Komplikationsrate von über 50 % (Brüche, Luxationen, Knochenarrosion) [15] behaftet. Sie müssen jedenfalls wieder entfernt werden. Kommerziell hergestellte Spacer gleichen sich mehr und mehr an herkömmliche Endoprothesen an, sowohl hinsichtlich verwendeter Materialien (CoCr, PE) als auch Preis. Unabhängig vom verwendeten Material wurden keine Unterschiede hinsichtlich der Re-Infektionsrate nach Spacer-Implantation beobachtet [14]. Warum nicht gleich ein Implantat verwenden, das im Fall einer erfolgreichen Keimelimination in situ verbleiben kann?

Imprägnierte Allografts als Antibiotika-Träger

Knochenspongiosa kann mittels spezieller Reinigungs- und Imprägnier-Verfahren zur Aufnahme und Speicherung enormer Antibiotikamengen aufbereitet werden. Dabei wird Transplantatknochen von Organ- oder Lebendspendern durch verschiedene Behandlungsschritte von allen antigenen Bestandteilen wie Knochenmark befreit. Als ausgezeichnetes Reinigungsmedium hat sich superkritisches CO2 erwiesen. Damit bleibt die mechanisch relevante Knochenstruktur, bestehend aus Knochengrundsubstanz und Mineralien, unversehrt erhalten. Durch die schonende Präparation besitzen die Allografts optimale osteokonduktive Eigenschaften. Mittels spezieller Imprägnier-Methoden kann derart präparierter Knochen direkt mit Antibiotika beladen werden. Es resultiert ein „antibiotic bone compound“ (ABC) mit 10-fach höherem Antibiotikagehalt als Knochenzement [20]. Die gespeicherten Mengen werden zudem binnen Wochen vollständig freigesetzt, während im Zement 90 % des Antibiotikums nicht verfügbar sind (Abb. 1). ABC-Transplantate produzieren erstmals ausreichend hohe und länger anhaltende Wirkspiegel am Ort der Infektion, die in der Lage sind, auch verbliebene Biofilmreste zu penetrieren und die darin enthaltenen Keime zu eliminieren. Durch die optimierte Wirkstoffabgabe gelangen die Antibiotika kaum in den Blutkreislauf – Nebenwirkungen werden dadurch vermieden. Durch vollständige Abgabe binnen Wochen ist die Gefahr von Resistenzbildungen minimiert. Die Rekonstruktionen sind sofort bedingt tragfähig, deren Einheilung in den Eigenknochen wird durch die Imprägnierung nicht beeinflusst [21].

Einzeitiger Wechsel
ohne Zement

Auf Basis der Verwendung hochgereinigter Spongiosa, die in einer speziellen Technik mit Vancomycin bzw. Tobramycin imprägniert wird (Osteomycin V bzw. T), führen wir routinemäßig einzeitige Versorgungen bei infizierten Knieendoprothesen durch [18]. Stets werden liegende Implantate und Zementreste vollständig entfernt und ein radikales Knochen- und Weichteil-Debridement durchgeführt, sklerosierte Oberflächen werden bis in durchblutete Lagen angefrischt. Nach Reinigung mittels Jet-Lavage werden Abdeckung und Instrumentarium gewechselt, die weitere Präparation erfolgt als „aseptische“ Operation. Die imprägnierten Allografts werden in die angefrischten Knochendefekte eingebracht und mittels „impaction grafting“ stabilisiert. Die Wahl der Implantate richtet sich vor allem nach den Stabilitätsverhältnissen. Wir verwenden stets modulare Implantate mit diaphysärer Stielverankerung, wobei die Stiele selbst immer zementfrei eingebracht werden. Artikuläre Oberflächen können, je nach Implantattyp, zementiert oder unzementiert gehalten werden. Eine nachträgliche zusätzliche Defektfüllung mit ABC um die Prothese ist möglich. Die transplantierte Spongiosa wird in den folgenden Monaten zu körpereigenem Knochen remodelliert.

Unzementierte Implantate
als potenziell permanente Platzhalter

Zementfreie Stiele mit gutem Corticaliskontakt verleihen der Rekonstruktion primäre Stabilität, verwachsen jedoch nicht mit dem Knochen. Umgeben von Antbiotika-imprägnierter Spongiosa sind die Implantate gegen Keimbesiedelung besser geschützt als AB-Spacer und (falls die Infektion nicht beherrscht werden sollte) genauso leicht zu entfernen wie ein Spacer. Sie sind somit potenziell permanent und bleiben tatsächlich permanent in 9 von 10 Fällen. In jedem Fall gewährleisten Sie eine rasche Rehabilitation des Patienten mit kurzen Krankenhausaufenthalten und verbesserter Funktion. Abbildung 2 zeigt einen Fall, in dem sich der zementfreie Spacer zum Teil als temporär (Femur) und zum Teil als permanent (Tibia) herausstellte.

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