Übersichtsarbeiten - OUP 05/2013

Frakturendoprothetik bei Oberarmkopffrakturen

F. Reuther1, U. Prange1, K. Schmitz1, K. Helms1

Zusammenfassung: Die Behandlung der komplexen
proximalen Humerusfraktur beim älteren Patienten wird
weiterhin kontrovers diskutiert. Die Optionen reichen von konservativer Therapie über minimal osteosynthetische Verfahren, offene winkelstabile Verplattungen, Nagelungen bis zur prothetischen Versorgung. Bei Patienten mit nicht rekonstruierbarer Humeruskopffraktur und intakter Rotatorenmanschette wird weiterhin die Fraktur-Hemiprothese zum
Einsatz kommen. Wegen der oft nicht befriedigenden funktionellen Ergebnisse nach Fraktur-Hemiprothesen bei Patienten über 75 Jahren wird inzwischen die Indikation zur primären Inversen Frakturprothese eher gestellt. Spezielle Prothesendesigns bei Inversen Frakturprothesen könnten die Probleme und Komplikationen wie Notching am Skapulahals und eingeschränkte Rotationsfähigkeit lösen. Die Wahl des verwendeten Prothesentyps wird von vorliegenden allgemeinen und lokalen Faktoren beim Patienten und der Erfahrung des Operateurs bestimmt.

Schlüsselwörter: modulare Humeruskopfprothese, proximale
Humerusfraktur, Inverse Schulterprothese

Abstract: The treatment of complex proximal humeral
fractures in elderly patients is a subject of controversial
debate. Therapeutic options include conservative treatment, minimal invasive osteosynthesis like intramedullary nailing and open reduction and internal fixation with locking plates. Anatomic fracture prostheses should be deployed in cases of non-reconstructable proximal humeral fractures in patients under 75 years with an intact rotator cuff. The use of reverse fracture prostheses has recently become popular in patients older than 75 years due to the fair results after anatomic fracture-hemiprosthesis. The modification of the design of reverse fracture prostheses is believed to solve current problems and complications such as scapular notching and limited external rotation. Longer follow-up periods will clarify whether these expectations can be fulfilled. The final decision which type of prosthesis is the best option depends on individual patient related factors and the surgeon’s expertise.

Keywords: modular humeral head arthroplasty, proximal
humerus fracture, reverse shoulder prosthesis

Einführung

Die Indikation zur endoprothetischen Versorgung bei nicht oder schwer rekonstruierbaren Humeruskopffrakturen des älteren Menschen mit Osteoporose wird auch in Zukunft zu stellen sein. Obwohl gerade im vergangenen Jahrzehnt eine Reihe von Hemiprothesen zur Frakturversorgung des proximalen Humerus entwickelt und vielfach eingesetzt wurde, haben sich die Erwartungen bezüglich des funktionellen Ergebnisses oft nicht erfüllt. Grund dafür sind nicht oder in Fehlstellung eingeheilte Tuberkula, aber auch eine insuffiziente Rotatorenmanschette. Deshalb werden seit einiger Zeit bei älteren Patienten bei schlechter Knochenqualität, zertrümmerten Tuberkula und degenerativ veränderter Rotatorenmanschette primär Inverse Frakturprothesen verwendet. Die frühen funktionellen Ergebnisse sind oft besser vorhersehbar als bei anatomischen Hemiprothesen und bisher ermutigend.

Operative Verfahren der
Behandlung von dislozierten Humeruskopffrakturen

Die Therapie bei dislozierten Humeruskopffrakturen wird kontrovers diskutiert. Schon die Beurteilung der Frakturmorphologie, die Klassifikation der Fraktur und der Grad der Osteoporose sind oft unzureichend vergleichbar [1].

Konservative Verfahren werden bei nicht oder gering dislozierten Frakturen, aber auch bei geringer Erwartung an das funktionelle Ergebnis empfohlen. Klare Entscheidungskriterien fehlen hier jedoch noch [2].

Die rekonstruktiven Verfahren haben durch den Einsatz winkelstabiler Implantate und verbesserter Operationstechniken große Verbreitung gefunden [3]. Gerade in letzter Zeit wird aber verstärkt auch auf die hohe Anzahl an Komplikationen hingewiesen, die bei Ausweitung der Indikation oder nicht adäquater Reposition eintreten können [4–6].

Welches Verfahren eingesetzt wird, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab [7]. Zunächst bestimmen die Fraktur mit dem Grad der Dislokation und der Anzahl der Fragmente das Vorgehen. Die Entscheidung zur konservativen oder operativen Therapie wird in vielen Einrichtungen bei unklaren Befunden im konventionellen Röntgen nach einer CT-Untersuchung mit 3-D-Rekonstruktion gefällt. Neben den lokalen Faktoren sind das biologische Alter, Komorbiditäten wie Alkohol- und Nikotinmissbrauch, Diabetes, Rheuma und Steroideinnahme sowie die Compliance zu berücksichtigen [8]. Für die kopferhaltende Therapie sind „predicting failure“ angegeben, die die anatomische Reposition, den Erhalt der medialen knöchernen Abstützung, den Schweregrad der Osteoporose und das Alter beinhalten [5]. Einfluss auf den Constant Score hatten bei Südkamp et al. Alter, Geschlecht, intraoperative und lokale Komplikationen, das gewählte Behandlungsverfahren und die anatomische Rekonstruktion [9].

Stellenwert der
Frakturprothese

Die prothetische Versorgung von Humeruskopffrakturen wurde Anfang des vergangenen Jahrzehnts vielfach propagiert. Eine große Zahl speziell für die Frakturversorgung entwickelter Hemiprothesen mit sehr unterschiedlichem Design versprach bei standardisierter Operationstechnik reproduzierbare Ergebnisse. Als Indikationen zur endoprothetischen Versorgung waren und sind weitgehend anerkannt [10]:

  • Valgisch impaktierte 4-Fragmentluxationsfraktur des alten Patienten
  • Dislozierte Mehrfragmentfraktur bei Osteoporose und schmaler Kalotte
  • Nicht rekonstruierbare Head-split-Frakturen
  • Impressionsfrakturen > 40 % Gelenkbeteiligung.

Prognose-relevante Kriterien zur Bestimmung des frakturinduzierten Ischämie- und Nekroserisikos wurden zur Festlegung der primären Prothesenindikation vorgeschlagen und haben weite Verbreitung und Akzeptanz gefunden [11, 12]. Mit dem binären Codmann-LEGO-description-System werden von Hertel et al. Frakturmuster beschrieben, die mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu einer Humeruskopfnekrose führen und deshalb primär durch eine Endoprothese versorgt werden sollten. Zusätzliche Kriterien für eine prothetische Versorgung sind die Länge der posteromedialen Extension am Humeruskopf (< 8 mm) und eine fehlende Integrität der medialen Periostbrücke („medial hinge“) [13].

Robinson et al. [8] empfehlen bei nicht rekonstruierbarem Humeruskopf, fehlender Weichteilverbindung, vorderer Luxationsfraktur, erheblicher Valgusimpaktion mit fehlender medialer periostaler Verbindung und bei über 4 Wochen zurückliegender Mehrfragmentfraktur die primäre prothetische Versorgung.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4