Übersichtsarbeiten - OUP 02/2019

Hallux valgus – ein Update

Merke: Eine Verursachung einer Hallux valgus Deformität durch das Schuhwerk ist nach wie vor nicht belegt.

Klassifikation

Die Einteilung des Schweregrads der Hallux-valgus-Deformität erfolgt am Röntgenbild. Gemäß aktueller Leitlinie wird unter Berücksichtigung des Hallux-valgus-Winkels und des Intermetatarsalwinkels im Röntgenbild in milde, moderate und schwere Deformitäten unterschieden [41, 42] (Tab. 1).

Eine milde Hallux-valgus-Deformität liegt ab einem Hallux-valgus-Winkel von 21° vor, ein Metatarsus primus varus ab einem Intermetatarsalwinkel von 11°. Bei einer moderaten Hallux-Deformität liegt ein Hallux-valgus-Winkel zwischen 31–40° und ein Intermetatarsalwinkel ½ von 16–20° vor. Bei einer schweren Hallux-valgus-Deformität liegt der Hallux-valgus-Winkel > 40° und der Intermetatarsalwinkel > 20° vor.

Konservative Behandlung

Die konservative Behandlung einer Hallux-valgus-Deformität besteht im Wesentlichen aus einer Anpassung des Schuhs an die veränderte Form des Fußes bzw. die Auswahl von weitem Schuhwerk mit weichem Oberleder. Darüber hinaus können Silikonpolster akute Druckbeschwerden lindern.

Eine Korrektur oder partielle Reduktion der Fehlstellung ist durch nicht-operative Maßnahmen nach wie vor nicht belegt [10]. Zusammenfassend sollten Patienten einerseits über die Möglichkeit einer symptomatischen konservativen Behandlung informiert, andererseits darauf hingewiesen werden, dass ohne Operation mit einer Progredienz der Fehlstellung zu rechnen ist.

Präoperative Diagnostik

Die präoperative Diagnostik besteht aus einer klinischen Untersuchung sowie in einer Röntgenaufnahme des belasteten Fußes in 2 Ebenen im Stand. Die Entscheidung zur operativen Korrektur sollte aber vor allem unter Berücksichtigung der subjektiven Beeinträchtigung getroffen werden. Von Hurn wurde 2014 darauf hingewiesen, dass die mit der Hallux-valgus-Deformität assoziierte Schmerzintensität nicht signifikant mit dem Ausprägungsgrad gemessen anhand des Hallux-valgus-Winkels korreliert [16]. Auch aus forensischen Gründen empfiehlt sich deshalb eine präoperative Dokumentation der subjektiven Beeinträchtigung z.B. durch Erhebung eines Scores mit entsprechender subjektiver Komponente. (z.B. EFAS-Score, MOXFAQ, AOFAS-Score etc.)

Leitlinie

Im April 2014 wurde eine aktualisierte Leitlinie „Hallux valgus“ unter Beteiligung der Deutschen Assoziation für Fuß und Sprunggelenk (D.A.F.), der DGOOC und der DGU veröffentlicht [41]. Die Leitlinie empfiehlt eine operative Therapie bei symptomatischem Hallux valgus zur Verbesserung der Schmerzsituation im Vergleich zu einer Einlagenversorgung oder einem Abwarten (Level I). Auf Basis eines Expertenkonsensus wurde ein Entscheidungsalgorithmus zur Auswahl der operativen Korrektur des Metatarsus primus varus dargestellt (Abb. 2). Die Interpretation des Entscheidungsalgorithmus bereitet prima Vista einige Schwierigkeiten aufgrund der zahlreichen Optionen. Zusammenfassend kann im Umkehrschluss zu den dargestellten Optionen festgehalten werden, dass

eine Korrektur einer milden Hallux-valgus-Deformität durch eine TMT-1-Arthrodese,

eine Korrektur einer schweren Hallux-valgus-Deformität durch eine distale Korrekturosteotomie

durch die Leitlinie nicht „abgedeckt“ ist.

Es muss in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen Leitlinien und Richtlinien hingewiesen werden. Während Richtlinien rechtsverbindlich sind und die „Nichteinhaltung“ juristisch sanktioniert werden kann, haben Leitlinien den Charakter von „Empfehlungen“, von denen im Einzelfall durchaus abgewichen werden kann. Eine schriftliche Dokumentation der Begründung einer Abweichung ist, obwohl juristisch nicht zwingend erforderlich, sicher generell zu empfehlen.

Die Korrektur einer schweren Hallux-valgus-Deformität durch eine distale Osteotomie geht mit dem Risiko einer unzureichenden Korrektur oder dem Risiko einer Verkippung des Mittelfußköpfchens durch exzessive Verschiebung des Köpfchens gegenüber dem Schaft einher.

Als häufigstes Argument für eine Korrektur einer milden Hallux-valgus-Deformität mit nur geringgradig erhöhtem Intermetatarsalwinkel durch eine TMT-Arthrodese (modifizierte Lapidus-Arthrodese) kommt sicher eine „Instabilität“ des ersten Strahls in Betracht.

Instabilität erstes
Tarsometatarsalgelenk

Die Diagnostik einer Instabilität des ersten Tarsometatarsalgelenks und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für eine operative Therapie werden weiterhin kontrovers diskutiert.

Die Diagnose einer Instabilität wird meist klinisch, also anhand des Untersuchungsbefunds gestellt. Dabei wird der zentrale Vorfuß mit einer Hand stabilisiert und der erste Strahl, respektive das erste Mittefußköpfchen, mit der anderen Hand noch dorsal und plantar bewegt. Sind mehr als 1 cm Distanz zwischen den Endpositionen möglich, wird eine Instabilität des ersten Tarsometatarsalgelenks unterstellt (Abb. 3).

Von Coughlin und Shurnas wurde auf die Bedeutung der Position des oberen Sprunggelenks bei dieser klinischen Untersuchung hingewiesen. Das OSG muss sich in Neutralposition befinden. In Spitzfußstellung, bei verminderter Spannung auf der funktionellen Kette von Wadenmuskulatur, Achillessehnen und Plantaraponeurose, ist mit falsch positiven Ergebnissen zu rechnen. Die Untersuchungen von Coughlin und Shurnas belegen weiterhin, dass eine intakte Plantaraponeurose ein wesentlicher Stabilisator des ersten Strahls ist [7].

Von Singh et al. wurde aktuell darauf hingewiesen, dass unter physiologischen Bedingungen die Bewegungsachse des ersten Tarsometatarsalgelenks ca. 45° gegenüber der Sagittalen geneigt ist, weshalb die Stabilitätsprüfung des ersten Strahls in diagonaler Bewegungsrichtung erfolgen sollte [38].

In einer 3D-Analyse von Computertomografien des Fußes unter Belastungssimulation konnte belegt werden, dass bei Hallux-valgus-Deformität nicht nur eine erhöhte Beweglichkeit im ersten Tarsometatarsalgelenk vorliegt, sondern, dass Veränderungen in sämtlichen Gelenken des ersten Strahls gemessen werden können, also auch in der Naviculo-Cuneiformen-Gelenklinie und im Talonaviculargelenk [20]. Die klinischen Implikationen dieser Untersuchungen sind aber noch nicht klar.

Es muss betont werden, dass bei der Diskussion über die Instabilität des ersten Strahls 2 verschiedene Patientengruppen unterschieden werden sollten:

Patienten mit einem ausgeprägten Metatarsus primus varus gegenüber

Patienten mit nur gering erhöhtem Intermetatarsalwinkel.

Bei ausgeprägtem Metatarsus primus varus kann eine Subluxation des ersten Mittelfußköpfchens nach medial unterstellt werden, sodass der Windlass-Mechanismus sein Widerlager bei der dynamischen Stabilisierung des ersten Strahls in der Abrollbewegung verliert. In diesen Fällen wäre eine Stabilisierung des ersten Strahls, allein durch die Reposition des ersten Mittelfußköpfchens möglich, unabhängig vom durchgeführten Verfahren. Eine Lapidus-Arthrodese ist dann zwar eine Behandlungsoption aber hinsichtlich des stabilisierenden Effekts mit anderen Verfahren vergleichbar, was von Coughlin und Jones empirisch belegt wurde [8].

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