Originalarbeiten - OUP 10/2013

High-Heels und die Form der Lendenlordose
Eine Pilotkasuistik zur Abschätzung von Einflussgrößen auf Veränderungen des Lordosewinkels bei statischem und dynamischem Assessment

Die sagittale Wirbelsäulenform wurde mit Hilfe der videorasterstereografischen Rückenoberflächenrekonstruktion ermittelt (Formetric, Diers International, Schlangenbad, Deutschland). Die statische Erfassung der Wirbelsäulenform erfolgte mit dem Aufnahme-Modus 4D-Average, bei dem atemabhängige Oberkörperbewegungen herausgerechnet wurden (10 Bilder pro Sekunde, 5 Sekunden Aufnahmedauer).

Unabhängig von der Stellung im Raum – körpereigenes Koordinatensystem bestehend aus der x-Achse, der Verbindungslinie zwischen den Lumbalgrübchen und der y-Achse, Verbindung zwischen Vertebra prominens (VP) und der Dimple-Mitte (DM), also der Mitte zwischen den Lumbalgrübchen (Abb. 2) – konnte die Rückenoberfläche hochauflösend (10 Pkt./cm²) und mit geringem Punktfindungsfehler (< 0,2 mm) rekonstruiert werden [9].

Unter der Hautoberfläche liegende knöcherne Strukturen konnten mittels der regionalen Flächenkrümmungen (konkav, konvex, sattelförmig) und der Flächenneutralen (Senkrechte auf der jeweiligen Flächenkrümmung an jedem Punkt) automatisch detektiert werden. Über geometrische Triangulationen und Kurvendiskussionsalgorithmen konnten Wirbelsäulenformkennziffern für die Sagittal-, Frontal- und Coronalebene parametrisiert werden (Abb. 2).

Als Out-Come Variable wurde der Lordosewinkel analysiert. Die Reliabilität der Wirbelsäulenformanalyse im freien bipedalen Stand wurde überprüft. Für den Lordosewinkel wurde ein Koeffizient (ICC) von 0,99 ermittelt [10].

In der aktuellen Version des Formetric-Systems (4D-Motion) war es möglich, ruhige Bewegungen des Achsenskeletts in ihrer Kinematik zu verfolgen. Das Messprinzip blieb unverändert, es wurden jedoch über den Messzeitraum von 5 Sekunden 250 Bilder der Rückenoberfläche aufgezeichnet (50 Bilder/s) (Abb. 3).

Testablauf

Es gab 3 Untersuchungstage mit variierenden Kontrollschuhen, bzw. Geschwindigkeiten:

  • 1. High-Heel vs. Ballettschuh (Kontrollbedingung) bei 2 km/h Laufbandgeschwindigkeit,
  • 2. High-Heel vs. Turnschuh (Kontrollbedingung) bei 2 km/h Laufbandgeschwindigkeit,
  • 3. High-Heel vs. Turnschuh (Kontrollbedingung) bei 3 km/h Laufbandgeschwindigkeit.

Die Testung fand in einem halbdunklen Raum statt, damit die videorasterstereografische Rekonstruktion bei möglichst kontrastreichen Lichtverhältnissen stattfinden konnte. Initial wurde eine statische Wirbelsäulenvermessung durchgeführt, um zu prüfen, ob bei der Probandin messtechnisch relevante Oberflächenstrukturen (Vertebra prominens, Dimples) zweifelsfrei automatisch – ohne Marker zu setzen – korrekt bestimmt werden konnten.

Dann erfolgte eine Laufbandgewöhnungsphase von 5 Minuten unter der Baseline-Bedingung (Kontrollschuh), wobei die Laufbandbedienung von der Probandin selbstständig erbracht wurde (Systemstart und Geschwindigkeitssteigerung). Am Ende dieser Habitualisierung wurde das Projektionsraster des Messsystems gestartet, damit die Probandin sich auch an die veränderte räumliche Orientierung mit den Projektionslinien an der Wand vor sich gewöhnen konnte. Es wurde darauf geachtet, dass die Probandin nach vorne sah, sodass die Wirbelsäulenform nicht durch eine Blickrichtung auf den Boden, bzw. die Laufbandkonsole beeinflusst wurde.

Am Ende der Gewöhnungsphase wurde die dynamische Baseline-Testung – ohne explizite Ankündigung – gestartet (5 Sekunden Messwertaufnahme). Die Messung war beendet, wenn der Projektor am Ende der 5-Sekunden-Phase automatisch abgeschaltet wurde. Die Probandin löste den Nothalt aus, das Band kam geordnet zum Stoppen. Die Analyse der 250 aufgezeichneten Bilder nahm etwa 30 Sekunden in Anspruch. Direkt im Anschluss folgte eine statische Wirbelsäulenvermessung. Der Gesamtablauf wurde sodann noch 2mal mit jeweils erneuter Habitualisierung für die Interventionsbedingungen (Kontrollschuh vs. High-Heel) wiederholt.

Die Untersuchungstermine 1–3 fanden jeweils im Abstand von 2–3 Tagen statt. Der Gesamtzeitaufwand für die Probandin lag pro Untersuchungstermin bei rund 30 Minuten.

Nach Abschluss der Evaluation wurden die Effekte der Bedingung 3 (Turnschuh vs. High-Heel bei 3 km/h) an einer weiteren Probandin im Hinblick auf eine Reproduzierbarkeit der Effekte überprüft.

Statistische Methoden

Die Daten wurden deskriptiv-tabellarisch aufbereitet. Der mittlere Lordosewinkel aus der dynamischen Erfassung der Wirbelsäulenform wurde als Median aus der angegebenen Variationsbreite (Abb. 3) ermittelt.

Ergebnisse

In der ersten Evaluationsstufe wurde die Lordosierung beim Tragen von Schuhen mit hohen Absätzen gegen Ballett-Schuhe getestet. Veränderungen von der Baseline-Testung zur Interventionstestung waren in der dynamischen Erhebungssituation (2 km/h) eher gering (Baseline vs. Ballett-Schuh: 0,7° und Baseline vs. High-Heel: 2,0°). Beim statischen Assessment ergab sich überhaupt keine Differenz zwischen der Baseline-Testung und den Interventionen (Tab. 1: Tag 1).

In der zweiten Evaluationsstufe wurde die Lordosierung in der Gegenüberstellung von High-Heels und Turnschuhen untersucht, wobei sich in der dynamischen Testung (2 km/h) zwischen der Baseline-Testung und der Turnschuh-Bedingung ein nur geringfügiger Unterschied (0,3°) ergab, während die Lordose unter der High-Heel-Bedingung im Vergleich zur Baseline-Bedingung deutlicher ausgeprägt war (2,8°). Für den Vergleich unter statischen Bedingungen zwischen Baseline und Turnschuh, bzw. High-Heel wurden identische Differenzen von 2,0° ermittelt (Tab. 1: Tag 2).

In der letzten Evaluationsstufe wurde die Lordosierung wiederum für die Turnschuh- und High-Heel-Bedingung getestet, jedoch mit gesteigerter Laufbandgeschwindigkeit (3 km/h). In der Dynamik wurde wiederum eine geringe Differenz zwischen Baseline- und Turnschuh-Bedingung ermittelt (0,6°). Der Unterschied war zwischen dynamischer Baseline- und High-Heel-Bedingung mit 5,4° deutlich ausgeprägter. Auch unter statischen Bedingungen ergab sich im Vergleich der Baseline- und der High-Heel-Bedingung eine Differenz von 2,0°, während sich der Kontrollschuh nicht von der Baseline-Testung unterschied (Tab. 1: Tag 3).

Darüber hinaus ergaben sich systematische Unterschiede in der Ausprägung der Lordose bei dynamischem und statischem Assessment (Differenz dyn-stat): 9,8° ± 1,9° gemittelt über alle Messwertpaare der Zeitpunkte und Bedingungen (Tab. 1).

VP2 absolvierte das Testprotokoll mit 3 km/h und Turnschuhen als Kontrollbedingung in der Alternativabfolge Turnschuh (Baseline), High-Heel, Turnschuh (Kontrolle). In Relation zu VP1 hatte VP2 a priori eine deutlich flachere Lordose: VP2 30° vs. VP1 43° (Tab. 1, Tab. 2). Bei VP2 fand sich im Mittel eine deutlich weniger ausgeprägte Differenz zwischen den statisch und dynamisch erfassten Lordosewinkeln: 4,9° ± 2,3°. Unterschiede in der Lordosierung unter dynamischen Erhebungsbedingungen (3 km/h) waren nur minimal: 0,6° für Baseline vs. Turnschuh und –0,1° für Baseline vs. High-Heel. Unterschiede im statischen Assessment waren ausgeprägter: 1,0° für Baseline vs. Turnschuh und 4,0° für Baseline vs. High-Heel (Tab. 2).

Diskussion

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4