Originalarbeiten - OUP 10/2013

High-Heels und die Form der Lendenlordose
Eine Pilotkasuistik zur Abschätzung von Einflussgrößen auf Veränderungen des Lordosewinkels bei statischem und dynamischem Assessment

Unsere Ergebnisse bilden vorläufig 3 unterschiedliche Aspekte ab:

  • Einerseits wurde verdeutlicht, dass wiederholte Messungen unter gleichen Bedingungen zu annähernd identischen Ergebnissen bei der videorasterstereografischen Erfassung des Lordosewinkels führten (0–2° Variation).
  • Andererseits konnte festgestellt werden, dass es unter dynamischen Bedingungen – im Vergleich zur statischen Erfassung – zu einer systematischen Entlordosierung im Sinne einer Aufrichtung der lumbalen Wirbelsäule von 4,9° ± 2,3° bis 9,8° ± 1,9° kam, was durch die muskuläre Aktivierung beim Gehen erklärt werden kann.
  • In der Hauptsache konnte jedoch ein High-Heel-Effekt beobachtet werden. In der vorliegenden Pilotstudie wurde einmal eine High-Heel-assoziierte Lordosierung unter statischen Bedingungen gefunden (4,0°), ohne dass sich ein vergleichbarer Effekt in der dynamischen Testung ergab (–0,1°). Auf der anderen Seite zeigte sich bei der Probandin mit einer a priori deutlicher ausgeprägten Lordose (VP1: 43°) eine High-Heel-assoziierte Lordosierung von 2,0–5,4°, während sich hier unter statischen Bedingungen kein systematischer Effekt im Sinne einer Lordosierung durch das Tragen hoher Absätze zeigen ließ.

Die Literaturbefundlage ist uneinheitlich: Ein flacheres Becken bzw. eine vermehrte Lordosierung durch das Tragen von hochhackigen Schuhen konnte mehrfach beobachtet werden [2, 5, 11], manchmal aber auch nur bei jüngeren Frauen, während bei Älteren das Gegenteil zu beobachten war [3]. Allerdings wurde auch häufig gar keine systematische Tendenz ermittelt [4, 12]. Ein dynamisches Assessment kam nur selten zum Einsatz [3].

Wenn die vorliegenden Einzelfallanalysen – bei sämtlichen immanenten Limitierungen – als erste Indikatoren herangezogen werden dürfen, dann erscheint die videorasterstereografische Erfassung der menschlichen Haltung (Lordosierung) im dynamischen Vollzug (ruhiges Gehen) zu reproduzierbaren Ergebnissen zu führen (Tab. 1). Gleiche Bedingungen führten zu annähernd identischen Winkelangaben für die lumbale Wirbelsäulenschwingung, in der Dynamik genauso wie dies in der als hoch reliabel ausgewiesenen statischen Wirbelsäulenformanalyse gezeigt werden konnte [10].

Inhaltlich bedeutsam erscheint der augenfällige, systematische Unterschied der Lordosierung unter dynamischen respektive statischen Bedingungen. Die muskuläre Aktivierung scheint deutliche Effekte auf die Form der Lendenlordose zu haben, die umso ausgeprägter waren, je größer der Lordosewinkel a priori war. Wir fanden eine lumbale Aufrichtung während des Gehens von etwa 10° bei einem Lordosewinkel im freien bipedalen Stand von 43° und etwa 5° Aufrichtung während des Gehens bei einem Lordosewinkel von a priori 30° (Tab. 1, Tab. 2). Die hier gemachten Beobachtungen stützen die Forderung nach einem Assessment sowohl unter statischen als auch unter dynamischen Bedingungen, wenn lordosierende Effekte hochhackiger Schuhe untersucht werden sollen [8].

Der interindividuell variierende Lordosewinkel könnte eine konfundierende Variable sein, die Auswirkungen auf zentrale Tendenzen bei der Erfassung von High-Heel-Effekten hat. In der vorliegenden Analyse erwies sich die statische Testung als eher sensitiv für eine a priori flachere Lordose (4,0° High-Heel–Effekt bei 30° Lordosewinkel) (Tab. 2), während die dynamische Testung eher Effekte bei einer a priori ausgeprägteren Lordose (43°) aufgedeckt hatte (5,4° High-Heel-Effekt) (Tab. 1).

Der Effekt unter dynamischen Bedingungen schien darüber hinaus geschwindigkeitsabhängig zu sein (2,8° bei 2 km/h und 5,4° bei 3 km/h) (Tab. 1). Außerdem war das zu beobachtende Abrollverhalten (Vorfuß-Gang bei fehlender Dämpfung vs. Fersen-Abrollen bei Sohlendämpfung) von Bedeutung (ohne Dämpfung 2,0° Lordosierung vs. 2,8° Lordosierung mit Dämpfung im Kontrollschuh) (Tab. 1). Die komplett fehlende Dämpfung der getesteten Ballettschuhe entspricht dem Barfußgehen. Für Barfußlaufen ist ein Abrollverhalten bekannt, das als Vorfuß- bzw. Mittelfußaufsetzen beschrieben wurde und sich deutlich vom Laufen mit dämpfenden Sohlen abgrenzt [13]. Für den überstreckten Fußaufsatz in High-Heels muss ebenfalls ein Vorfuß- bzw. Mittelfußaufsetzen erwartet werden, sodass die Bedingungen eventuell nicht ausreichend stark kontrastieren könnten.

Schlussfolgerungen

Es wird festgehalten, dass die Erfassung des Lordosewinkels mithilfe biomechanischer Rückenoberflächenrekonstruktionsverfahren als reproduzierbar qualifiziert werden dürfte: das Formetric-System in dieser Untersuchung, sowie die Medi-Mouse in jüngst veröffentlichten Studien [8]. Die Videorasterstereografie erlaubt zudem eine dynamische Testung, die als hilfreiche Erweiterung der sonst üblichen statischen Assessment-Verfahren betrachtet werden muss. Nicht nur, weil sich deutliche und systematische Unterschiede zwischen statischem und dynamischen Lordosewinkel ergeben haben, sondern auch, weil der Einfluss einer interindividuell variierenden Wirbelsäulenform gegebenenfalls durch eine statische oder dynamische Testung sensitiver aufgedeckt werden könnte.

Diese Voruntersuchung war geeignet, ein Design für eine Folgestudie (RCT) zu verfeinern. Eine verstärkte Lordosierung durch das Tragen hochhackiger Schuhe wird als systematischer Effekt für wahrscheinlich gehalten, wenn konfundierende (Stör-) Effekte kovarianzanalytisch und methodisch kontrolliert werden können.

 

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Jan Schröder

Universität Hamburg

Bewegungswissenschaft
Abteilung Sportmedizin

Mollerstraße 2, 20148 Hamburg

jan.schroeder@uni-hamburg.de

Literatur

1. Liebig EM, Kothe R, Mannion AF et al.: The clinical significance of the lumbar lordosis: relationship between lumbar spinal curvature and low back pain [conference abstract]. Eur Spine J 2000; 9: 286

2. Bendix T, Sorenson SS, Klaussen K: Lumbar curve, trunk muscles, and the line of gravity with different heel heights. Spine 1984; 9: 223–227

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