Arzt und Recht - OUP 02/2013

Honorarabrechnung/Wirtschaftlichkeitsprüfung: Fristen als Notanker?

Nach alledem handelt es sich nach Auffassung des BSG bei der Frist nach § 87b Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V a.F. um eine bloße Ordnungsfrist, um deren Einhaltung die KV pflichtgemäß besorgt sein muss, die aber keine Ausschlussfrist in dem Sinne darstellt, dass bei ihrem Verstreichen das alte RLV weitergilt. Eine bewusste Nichtbeachtung der Frist stelle eine Rechtsverletzung dar, die der für die KV zuständigen Aufsichtsbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Rechtsaufsicht Veranlassung zum Einschreiten gäbe.

Fortgelten des „

alten

“ RLV nur bis zur Zuweisung des „neuen“ RLV

Das Sozialgericht hat nach Auffassung des BSG zu Unrecht angenommen, dass bei verspäteter Zuweisung das bisherige RLV für das gesamte (Folge-)Quartal fortgilt. Hiergegen spreche schon der Wortlaut des § 87b Abs. 5 Satz 4 SGB V a.F.: Danach gilt das bisherige RLV „vorläufig“ fort. Dieses Einschubs hätte es nicht bedurft, wenn die Fortgeltung der bisherigen Regelung das gesamte (weitere) Quartal erfassen sollte.

§ 87b Abs. 5 Satz 5 SGB V könne nicht in dem Sinne verstanden werden, dass ausschließlich höhere RLV zu einem späteren Zeitpunkt zugewiesen werden dürfen. Die Annahme, dass der Gesetzgeber einem (verspätet) zugewiesenen RLV nur für den Fall Rechtsfolgen beimessen wollte, dass sich ein höheres RLV ergeben hätte, sei unter anderem deswegen fernliegend, weil dies zulasten der übrigen Vertragsärzte ginge.

Ausschlussfrist für Wirtschaftlichkeitsprüfungen (BSG, B 6 KA 45/11 R)

Zum Sachverhalt (verkürzte und vereinfachte

Darstellung

)

Im Revisionsverfahren ist die Rechtmäßigkeit eines Arzneikostenregresses für das Quartal II/2001 umstritten. Die Klägerin, eine an der hausärztlichen Versorgung teilnehmende Gemeinschaftspraxis überschritt bei den Kosten für die verordneten Arzneimittel den Durchschnitt der Vergleichsgruppe (gewichtet) um 66 %. Auf den Widerspruch der Klägerin reduzierte der beklagte Berufungsausschuss den Regress auf 6.430,00 E.

Das Sozialgericht hat den Bescheid des Berufungsausschusses und somit den gesamten Regress mit der Begründung aufgehoben, der am 16.11.2005 bekannt gegebene Bescheid des Prüfungsausschusses habe die vierjährige Ausschlussfrist für den Erlass von Regressbescheiden im Rahmen der vertragsärztlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht gewahrt. Dieses Urteil hat wiederum das Landessozialgericht auf die Berufung der AOK aufgehoben, da die Ausschlussfrist durch eine Mitteilung des Prüfungsausschusses über die beabsichtigte Durchführung eines Prüfverfahrens gehemmt worden sei.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, ein die Ausschlussfrist hemmender Prüfantrag der Krankenkassen müsse hinreichend deutlich machen, dass die Krankenkasse ihre Rechte auch gegenüber den Prüfgremien durchsetzen wolle. Die bloße Mitteilung des Prüfungsausschusses, er werde sich mit der Wirtschaftlichkeit der Verordnungsweise einer bestimmten Praxis in einem bestimmten Zeitraum befassen, stehe dem nicht gleich.

Aus den Gründen (verkürzte und vereinfachte Darstellung)

Die Revision der Klägerin ist nach Auffassung des BSG begründet. Die Ausschlussfrist für den Erlass von Bescheiden über Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnung von Arzneimitteln sei abgelaufen gewesen.

Vierjährige Ausschlussfrist für

Arzneikostenregresse

Der Senat hat in den Urteilen vom 5.5.2010 (SozR 4–2500 § 106 Nr. 28) und vom 18.8.2010 (SozR 4–2500 § 106 Nr. 29) für den hier betroffenen Bereich von Arzneikostenregressen klargestellt, dass solche Regresse einer 4-jährigen Ausschlussfrist unterliegen und dass diese Ausschlussfrist mit Ablauf des Quartals beginnt, dem die (potenziell) in Regress genommenen Verordnungen zuzurechnen sind.

Grundsatz:

Hemmung

der Ausschlussfrist nur durch Prüfantrag

Der dem angefochtenen Bescheid des Berufungsausschusses zugrunde liegende Bescheid des Prüfungsausschusses stammt vom 15.11.2005 und hat die Frist dementsprechend nicht gewahrt. Die formelle Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Berufungsausschusses hängt deshalb allein davon ab, ob die Frist vor ihrem Ablauf durch die Mitteilung des Prüfungsausschusses über die beabsichtigte Durchführung eines Prüfverfahrens gehemmt worden ist.

Nach Auffassung des BSG bestehen Zweifel, ob das Schreiben der Geschäftsstelle des „Prüfungsausschusses“ der gemeinsamen Prüfeinrichtungen der Krankenkassen und der KV als Prüfantrag zu werten ist. In diesem Schreiben teilt der Referatsleiter der Prüfeinrichtungen der Klägerin mit, es werde hinsichtlich des Quartals II/2001 um Kenntnisnahme gebeten, dass „Ihre Arzneimittelverordnungen bezüglich des vorgenannten Quartals einer Wirtschaftlichkeitsprüfung unterzogen werden“. Die Einleitung des Prüfverfahrens besage selbstverständlich noch nicht, dass Unwirtschaftlichkeit vorliege; die Klägerin habe Gelegenheit, auf Praxisbesonderheiten hinzuweisen. Diesem Schreiben lag die Arzneikostenstatistik der Klägerin sowie deren Honorarabrechnung bei. Irgendein Hinweis darauf, dass Prüfanträge der Krankenkassen bzw. der Krankenkassenverbände in Bezug auf die klägerische Praxis zugrunde gelegen haben oder vorausgegangen sind, ist dem Schreiben nicht zu entnehmen.

Das BSG kommt auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass die Mitteilung der für die Entscheidung über einen Arzneikostenregress zuständigen Behörde (Prüfungsausschusses nach altem Recht bzw. Prüfungsstelle nach Inkrafttreten des GKV-WSG) über die Einleitung eines Prüfverfahrens die vierjährige Ausschlussfrist nicht wahrt und auch nicht geeignet ist, die Frist in entsprechender Anwendung des § 204 Abs. 1 Nr. 12 BGB bzw. des § 45 Abs. 3 SGB I zu hemmen.

Es bedürfe eines konkreten, auf eine bestimmte Praxis gerichteten Begehrens einer Krankenkasse oder von Krankenkassenverbänden. Das könne auch in der Weise formuliert werden, dass zwischen den Verbänden und der KV eine Abstimmung erfolgt, welche Praxen geprüft werden sollen. Unverzichtbar sei aber, dass die Krankenkassen von sich aus tätig geworden sind und die betroffene Praxis informiert ist, dass die Krankenkassen auf eine Prüfung der Verordnungsweise bestehen. Die bloße Mitteilung des Prüfungsausschusses über eine beabsichtigte Prüfung für sich genommen stehe einem Prüfantrag der Krankenkassen nicht gleich.

SEITE: 1 | 2 | 3