Arzt und Recht - OUP 01/2014

Honorarärzte in der Arztpraxis – Pflicht zur (Nach-)Zahlung von Sozialversicherung?

Das Bundessozialgericht, auf dessen Entscheidungen die Sozialgerichte in erster Linie schauen, knüpft die „Nichtselbstständigkeit“ – genauso wie das Bundesarbeitsgericht – im Grundsatz daran, ob der Betreffende bei seiner Tätigkeit „in die Organisation des Auftraggebers eingegliedert“ und „persönlich abhängig“ ist2.

Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass die Parteien in der Regel wie auch in dem oben beschriebenen Musterfall die Selbstständigkeit im Honorarvertrag vereinbaren, um damit im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit alle Zweifel zu beseitigen. Dies sieht das Bundessozialgericht jedoch anders. Es spricht lediglich von einer Indizwirkung des Honorarvertrages. Selbst wenn die Parteien ausdrücklich vereinbaren, kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu wollen, sei dies lediglich ein Indiz für die Selbstständigkeit. Diese Indizwirkung bestehe auch nur dann, wenn der Vertragstext dem festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhalten nicht offensichtlich widerspricht und durch weitere Aspekte gestützt wird.

Gelegentlich wird argumentiert, dass es ein Indiz für die Nichtselbstständigkeit sei, wenn die konkrete Aufgabenstellung bei Abschluss des Honorarvertrages noch nicht bekannt und die Formulierung im Honorarvertrag entsprechend ist. Die Tätigkeit des Anästhesisten im Rahmen der Operationen bedarf jedoch nach Stimmen in der Rechtsprechung keiner weiteren Konkretisierung (s.u.). Anders als z.B. die Tätigkeit des Operateurs, bei dem mit der bloßen Bezeichnung des Fachgebietes noch nicht klar wird, welche Tätigkeit er zu verrichten hat, sei dies bei der Fachrichtung Anästhesie deutlicher. Die Festlegung im Honorarvertrag des Anästhesisten, auf dem „Berufsfeld eines Facharztes für Anästhesiologie“ Leistungen zu erbringen, dürfte demnach keine weitere Arbeitsanweisung erfordern.

Letztendlich kommt es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts somit auf die tatsächlichen Umstände im Einzelfall an. Dies führte in der Vergangenheit zu der bereits erwähnten Vielfalt von Abgrenzungskriterien, die zur Beurteilung herangezogen wurden und werden. Keines dieser Kriterien kann allein die Abhängigkeit oder Selbstständigkeit begründen. Im Rahmen einer sachgerechten Gewichtung kommt es letztendlich darauf an, welche Kriterien im Gesamtbild überwiegen. Die wesentlichen Kriterien werden in den folgenden Absätzen (soweit möglich) gebündelt dargestellt.

Abwägungskriterien

Eingliederung in die Organisation

Die oben bereits für die Nichtselbstständigkeit angeführte Eingliederung in die Organisation des Auftraggebers wird davon abhängig gemacht, ob nach folgenden Aspekten eine Weisungsgebundenheit vorliegt:

  • Hinsichtlich dem Ort der Tätigkeit wird eine entsprechende Weisungsgebundenheit darin gesehen, dass der Honorararzt seine ärztlichen Leistungen in der Regel ausschließlich in den Räumlichkeiten des Auftraggebers erbringt, weil der Auftraggeber damit die für ein Arbeitsverhältnis typischen Entscheidungen zu treffen bzw. getroffen habe3 und der Honorararzt seine Tätigkeit nicht im Wesentlichen frei gestalten könne4.
  • Darüber hinaus wird eine entsprechende Weisungsgebundenheit darin gesehen, dass zeitliche Vorgaben einzuhalten sind. Im Falle des anästhesiologischen Honorararztes liegt diese Annahme bei der Übernahme von Diensten im Krankenhaus näher, als bei operationsweisen Einsätzen mit vereinbartem Operationsbeginn.
  • Inhaltlich kollidiert die Weisungsgebundenheit im Falle des Honorararztes jedenfalls in fachlichen Fragen mit der in § 1 Abs. 2 Bundesärzteordnung gesetzlich garantierten Therapiefreiheit. Bei einer Tätigkeit in der Arztpraxis eines fachfremden Kollegen (z.B. Tätigkeit eines Anästhesisten als Honorararzt in der Arztpraxis eines Orthopäden) ist eine inhaltliche Weisungsgebundenheit des Honorararztes schon wegen der Fachfremdheit nicht denkbar. Sie ist allenfalls im Krankenhaus – gemittelt durch den Chefarzt der Abteilung – (allerdings nur schwer) vorstellbar.

Unternehmerisches Risiko

Als ein wesentliches Merkmal der persönlichen Unabhängigkeit wird das unternehmerische Risiko diskutiert. Dieses manifestiere sich in der Freiheit bei der Annahme oder Ablehnung von Aufträgen sowie eigenem Kapitaleinsatz:

  • Häufig – wie auch im Musterfall des Anästhesisten – wird im Honorarvertrag vereinbart, dass hinsichtlich der Einsätze weder ein Anspruch, noch eine Pflicht besteht.
  • Häufig wird auch die Bezahlung nach Zeitaufwand unabhängig von der Patientenzahl und der fehlende Einfluss auf die Patientenzahl thematisiert. Es gibt jedoch sozialgerichtliche Rechtsprechung, die feststellt, dass die Vereinbarung im Vorfeld, für jede Operation „pro Patient“ ein festgelegtes Honorar zu berechnen, der Situation beispielsweise eines anästhesiologischen Honorararztes nicht gerecht wird5.
  • Der Honorararzt muss in der Regel mit mehreren Auftraggebern in Vertragsbeziehungen stehen. Unternehmerisches Potenzial liegt also für ihn wie für jeden selbstständig Berufstätigen darin, bei einem Auftraggeber durch gute Leistung Folgeaufträge zu generieren und die Zahl der Auftraggeber zu erhöhen.
  • Gewicht wird auch dem Umstand beigemessen, ob und in welcher Höhe eigener Kapitaleinsatz erfolgt:
  • Das Bundessozialgericht6 hat ein unternehmerisches Risiko bereits darin gesehen, dass der Auftragnehmer (übertragen: Honorararzt) lediglich seine Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes einsetzt. Eigener relevanter Kapitaleinsatz könnte sich gleichwohl beispielsweise aus der Verpflichtung ergeben, bei Verhinderung auf eigene Kosten einen Ersatz stellen.
  • Oftmals wird darauf abgestellt, ob für genutzte Infrastruktur ein Nutzungsentgelt gezahlt wird. Allerdings hat die Rechtsprechung beispielsweise „Piloten ohne eigenes Flugzeug“ auch ohne Zahlung eines solchen Nutzungsentgelts als selbstständig eingestuft7. Würde der Anästhesist, wie gerade nicht möglich, seinen eigenen „OP“ mitbringen, müsste seine Vergütung deutlich höher ausfallen.

Aktuelle Rechtsprechung

Einige Beispiele aus der aktuellen Rechtsprechung veranschaulichen die Vielzahl der Einzelfallentscheidungen:

Das Hessische Landesarbeitsgericht8 hat entschieden, dass die Tätigkeit eines Facharztes in einem Krankenhaus auch selbstständig auf Honorarbasis erbracht werden kann.

Das Sozialgericht Berlin hat in einem bereits erwähnten Urteil9 festgestellt, dass die Tätigkeit des Anästhesisten bei Operationen keiner weiteren Konkretisierung bedarf. Anders als z.B. die Tätigkeit des Operateurs, bei dem mit der bloßen Bezeichnung des Fachgebietes noch nicht klar wird, welche Tätigkeit er zu verrichten hat, sei dies bei der Fachrichtung Anästhesie deutlicher.

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