Arzt und Recht - OUP 01/2014

Honorarärzte in der Arztpraxis – Pflicht zur (Nach-)Zahlung von Sozialversicherung?

Dieser Begründung können folgende Argumente entgegengehalten werden:

  • Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit des Honorararztes betrifft allein die Frage, ob diese Tätigkeit selbstständig oder nichtselbstständig ist, nicht jedoch die Frage der Rechtswidrigkeit dieser Tätigkeit. Das Landessozialgericht hat jedoch die Nichtselbstständigkeit mit der angeblichen Rechtswidrigkeit der Selbstständigkeit begründet. Dies ist in anderen Verfahren zu klären.
  • Die Tradition vermag Rechtsgrundsätze nur in absoluten Ausnahmefällen zu begründen.
  • Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung betrifft auch nicht die Frage, ob die Tätigkeit berufsrechtswidrig ist. Das Landessozialgericht begründete die sozialversicherungsrechtliche Abhängigkeit mit einem angeblich berufsrechtlich bestehenden absoluten Niederlassungsgebot. Berufsrechtliche Fragen sind aber ebenfalls in anderen Verfahren zu klären. Im Übrigen ist die Bindung der Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit an die Niederlassung gemäß § 17 Abs. 1 der Musterberufsordnung auf die Tätigkeit „außerhalb von Krankenhäusern“ beschränkt. Diese Bindung gilt zudem nicht, „soweit gesetzliche Vorschriften etwas anderes zulassen“. Die Berufsordnung differenziert hierbei gerade nicht nach der vertraglichen Gestaltung der Tätigkeit. Die Erreichbarkeit des Honorararztes ist über das Krankenhaus gewährleistet.
  • Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung einer honorarärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus betrifft nicht die Frage, ob das Krankenhaus durch Honorarärzte seinen Versorgungsauftrag erfüllen kann. Das Landessozialgericht hat jedoch die Abhängigkeit mit der angeblichen Nichterfüllung dieses Auftrages durch selbstständige Tätigkeit begründet. Im Übrigen kann die jederzeitige Verfügbarkeit ärztlichen Personals auch durch eine lückenlose Verpflichtung sorgfältig ausgesuchter, selbstständiger Honorarärzte gewährleistet werden.
  • Die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung einer honorarärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus betrifft nicht die Frage, ob das Krankenhaus die Leistungen von Honorarärzten abrechnen kann. Das Landessozialgericht hat jedoch die sozialversicherungsrechtliche Abhängigkeit mit der angeblichen Nicht-Abrechenbarkeit von Leistungen begründet, die von Selbstständigen erbracht werden. Abrechnungsfragen sind aber ebenfalls in anderen Verfahren zu klären. Auch die angebliche Nicht-Abrechenbarkeit durch das Krankenhaus würde die Selbstständigkeit des Honorararztes nicht ausschließen. Bei alledem setzt sich das Landessozialgericht mehrfach über den klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers hinweg: In der Gesetzbegründung zu § 2 Abs. 1 KHEntgG beispielsweise differenziert der Gesetzgeber gerade nicht zwischen „fest angestellt“ und „angestellt“, sondern stellt „nicht fest angestellte“ Ärzte mit „niedergelassenen“ Ärzten gleich. Die Erbringung und Vergütung von allgemeinen Krankenhausleistungen soll ausdrücklich nicht vom Status des Arztes im Krankenhaus abhängen, sondern sämtliche („sonstige“) Vertragsbeziehungen einbeziehen. Es sollen „flexible Möglichkeiten“ der Zusammenarbeit ermöglicht werden12.

Das Landessozialgericht hat in der Sache nicht mehr Klarheit, sondern durch Eröffnung von weiteren Kriegsschauplätzen mehr Unklarheit geschaffen. Insbesondere hat das Landessozialgericht sich der sozialversicherungsrechtlichen Entscheidung entzogen, auf welche Merkmale es bei der Abgrenzung selbstständiger oder nichtselbstständiger Tätigkeit von Honorarärzten entscheidend ankommt.

Praxishinweis

Klar ist: Auf der sicheren Seite sind die Beteiligten, wenn sie die honorarärztliche Tätigkeit in der Form eines sozialversicherungspflichtigen Anstellungsverhältnisses gestalten. Für diese Sicherheit müssen die sich aus der Sozialversicherungspflicht ergebenden Kosten für den Auftrag- bzw. Arbeitgeber (Praxisinhaber/Krankenhausträger) wie auch für den Honorararzt hingenommen werden.

Für die Praxis ergeben sich aus der Entscheidung des Landessozialgerichts einige Hinweise, die bei der Gestaltung von ärztlicher Tätigkeit auf Honorarbasis beachtet werden sollten, um das Risiko der (Nach-)Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen zu minimieren. Hierbei sollte nicht nur der zugrunde liegende Honorar(arzt)vertrag, sondern auch das tatsächliche Verhalten von Auftraggeber und Honorararzt nach folgenden Grundsätzen gestaltet sein:

  • Es sollte volles Vergütungsausfallrisiko beim Honorararzt bestehen: Recht zur Ablehnung von Aufträgen, einsatzabhängige Vergütung (keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kein Urlaubsanspruch),
  • Der Honorararzt sollte nicht nur für einen Auftraggeber tätig werden bzw. werden dürfen. Hier ist im Honorar(arzt)vertrag zur Sicherheit eine ausdrückliche Genehmigung zu vereinbaren.
  • Nicht nur bei anlassbezogenen Aufträgen (pro Operation), sondern insbesondere bei dienstbezogenen Aufträgen (Vertretung) sollte zumindest ein Mitwirkungsrecht bei der Terminbestimmung bzw. Erstellung der Dienstpläne vereinbart und auch nachweisbar gelebt werden.
  • Der Honorararzt sollte sich (sofern noch nicht geschehen) niederlassen, um in diesem wesentlichen Punkt von dem Sachverhalt abzuweichen, der dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg zugrunde lag. Hilfsweise sollte dem Honorararzt zumindest vom Auftraggeber ein abgrenzbarer Raum zur Verfügung stehen sowie vom Honorararzt zusätzlich ein ggf. häusliches Arbeitszimmer genutzt werden.
  • Es sollte ein Nutzungsentgelt für Räume und Geräte sowie eine Materialerstattung an das Krankenhaus vereinbart und gezahlt werden.

Fazit

Das Musterverfahren des Anästhesisten hat knapp 5 Jahre gedauert. Wie die Revision beim Bundessozialgericht ausgegangen wäre, ist offen. Die vom Landessozialgericht zugelassene Revision zum Bundessozialgericht hat der Anästhesist nicht mehr eingelegt.

Zumindest in Baden-Württemberg hat das Urteil des Landessozialgerichts in erster Linie für nicht niedergelassene (!) Honorarärzte die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ihre Tätigkeit als nichtselbstständig und somit sozialversicherungspflichtig eingestuft wird. Das Urteil könnte auch Signalwirkung über die Landesgrenzen hinaus haben.

Praxisinhaber und Krankenhausträger müssen entscheiden, ob sie wegen des Urteils des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Zukunft von der Beschäftigung selbstständiger Honorarärzten Abstand nehmen oder wegen der fragwürdigen Urteilsbegründung und einer nach wie vor ausstehenden abschließenden Entscheidung des Bundessozialgerichts weiterhin selbstständige Honorarärzte beschäftigen und sozialversicherungsrechtliche Risiken in Kauf nehmen.

In der Regel dürften die Interessen von Praxisinhaber/Krankenhausträger und Honorararzt gleich gerichtet sein: Der Praxisinhaber/Krankenhausträger wünscht sich die Selbstständigkeit des Honorararztes, um keine (Nach-)Zahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen leisten zu müssen. Der Honorararzt wünscht sich die Selbstständigkeit seiner Tätigkeit, um durch die hiermit verbundene Sozialversicherungsfreiheit weiterhin für Auftraggeber eine interessante Alternative zu fest angestellten Ärzten zu bleiben. Letztendlich kann ausschließlich im jeweiligen Einzelfall (juristisch) beurteilt werden, welche sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen zu bedenken sind.

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5