Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Hüftdysplasie beim Sportler
Aktuelle Entwicklungen in der Diagnostik und Therapie

Alexander Zimmerer, Christian Sobau

Zusammenfassung:
Die azetabuläre Dysplasie ist eine Pathomorphologie des Hüftgelenks, die mit Hüftschmerzen, Instabilität und Arthrose in Verbindung gebracht wird. Anatomisch gesehen handelt es sich bei der Dysplasie um eine dreidimensionale, volumetrische und flächenbezogene Minderüberdachung, die anhand des Ausmaßes und der Lokalisation der Minderüberdachung charakterisiert wird. Die Borderline-Dysplasie wurde auf unterschiedliche Weise klassifiziert, was die Behandlung erschwert. Bei einer symptomatischen Dysplasie wird die Überdachung durch eine knöcherne Korrektur der Pfannenposition behoben. Um intraartikuläre Pathologien zu therapieren, hat die gleichzeitige oder zweizeitige Hüftarthroskopie erhebliche Vorteile. Eine knöcherne Korrektur der Pfannenposition scheint den natürlichen Verlauf der Dysplasie bei nicht-arthrotischen Patienten zu verändern und die Wahrscheinlichkeit einer Hüftarthrose und einer Hüfttotalendoprothese zu verringern. Zudem kann eine Steigerung der sportlichen Aktivität erreicht werden.

Schlüsselwörter:
Hüftdysplasie, Hüftgelenk, Hüftgelenkerhaltende Chirurgie

Zitierweise:
Zimmerer A, Sobau C: Hüftdysplasie beim Sportler.
Aktuelle Entwicklungen in der Diagnostik und Therapie.
OUP 2022; 11: 150–155
DOI 10.53180/oup.2022.0150-0155

Summary: Acetabular dysplasia is a pathomorphology of the hip joint that is linked to hip pain, instability, and osteoarthritis. Anatomically, dysplasia refers to a 3-dimensional volumetric and surface area-based coverage insufficiency that is characterized based on the magnitude and location of undercoverage. Borderline dysplasia has been classified in a variety of ways, which makes management difficult. Coverage is addressed by periacetabular osteotomy in symptomatic dysplasia. In order to address intra-articular disease, concurrent simultaneous or staged hip arthroscopy has substantial advantages. PAO appears to change the natural course of dysplasia in non-arthritic patients, lowering the likelihood of hip arthritis and total hip arthroplasty. In addition, an increase in sporting activities can be achieved.

Keywords: Dysplasia of the hip, hip joint, hip joint preserving surgery

Citation: Zimmerer A, Sobau C: Hip dysplasia in athletes. Current developments in diagnostics and therapy.
OUP 2022; 11: 150–155; DOI 10.53180/oup.2022.0150-0155

A. Zimmerer: ARCUS Kliniken, Pforzheim & Universitätsklinik Greifswald, Zentrum für Orthopädie und orthopädische Chirurgie

C. Sobau: ARCUS Kliniken, Pforzheim

Hintergrund

Die azetabuläre Hüftdysplasie stellt eine dreidimensionale strukturelle Pathomorphologie des Hüftgelenkes dar, die mit Schmerzen, Instabilität und erhöhtem Arthroserisiko einhergeht. Das breite Spektrum der Dysplasie bezieht sich anatomisch auf eine zu kleine und steile Hüftpfanne mit unzureichender Überdachung des Femurkopfes und kann anhand des Ausmaßes und der Lage der verminderten Überdachung weiter unterteilt werden [2]. Patienten mit einer symptomatischen azetabulären Hüftdysplasie sind dabei in aller Regel jung, sportlich aktiv und größtenteils weiblichen Geschlechts [48].

Analog zur Warwick-Vereinbarung für das femoroazetabuläre Impingement-Syndrom (FAIS) [15], ist eine adäquate Beurteilung und Interpretation der Symptome, der körperlichen Untersuchung und der Bildgebung notwendig. Die Definition der Dysplasie ist dabei nach wie vor heterogen, insbesondere im Hinblick auf ihre milde Variante, die häufig als „Borderline“-Dysplasie bezeichnet wird [41]. Klassischerweise wird die Hüftdysplasie anhand des Lateralen-Centrum-Erker (LCE)-Winkels klassifiziert, wobei dies einer zu oberflächlichen und dichotomen Betrachtung eines dreidimensionalen Problems entspricht. Der natürliche Verlauf der Dysplasie führt aufgrund einer pathologischen Druckerhöhung und einer Überlastung des lateralen Knorpel-Labrum-Komplexes zu chondrolabralen Schädigungen, welche ein erhöhtes Risiko für eine verfrühte Hüftarthrose und folglich Reduktion der sportlichen Aktivität mit sich bringt [24, 66]. Bei symptomatischen Patienten wird daher eine dreidimensionale knöcherne Korrektur der Pfannenposition mittels Beckenosteotomie empfohlen. Bei Hüftgelenken ohne relevante degenerative Veränderungen (Tönnis < 2) kann das Risiko einer Arthroseentwicklung verringert und die sportliche Aktivität gesteigert werden [12, 44, 55, 63, 66]. Das Ziel dieses Beitrages ist es, aktuelle Erkenntnisse bezüglich der Diagnostik und Therapie der azetabulären Hüftdysplasie darzustellen.

Anamnese und klinische
Untersuchung

Patienten mit einer azetabulären Hüftdysplasie stellen sich typischerweise mit schleichend eintretenden Schmerzen im Bereich der Leiste, der seitlichen Hüfte oder des Gesäßes vor, die vor allem während oder nach sportlicher Aktivität auftreten [43]. Sportlich hochaktive Patienten werden dabei deutlich früher symptomatisch als sportlich inaktive Patienten [37]. Ähnlich anderer intraartikulärer Pathologien wie z.B. dem FAI-Syndrom sind lage- und bewegungsabhängige Schmerzen bei längerem Sitzen oder tiefer Beugung mit Rotation häufig. Aktivitätsbedingte seitliche und dorsale Hüftschmerzen beim Gehen können sich mit zunehmender Belastung manifestieren und können als „Abduktorermüdung“ bezeichnet werden [43]. Zu den beobachtbaren Ganganomalien gehören Hinken und der Trendelenburg-Gang. Diese Symptome sind größtenteils auf eine strukturelle Instabilität zurückzuführen, die aufgrund einer unzureichenden Überdachung resultiert und eine konsekutive Überlastung der hüftgelenkstabilisierenden Muskulatur bedingt. Hüftbeugersymptome und eine Coxa saltans interna können aufgrund einer Instabilität des vorderen Hüftkopfes bei anteriorer Minderüberdachung auftreten. Die anteriore Dysplasie äußert sich typischerweise durch anteriore Hüft- und Leistenschmerzen, während sich die posteriore Dysplasie durch anteriore und/oder posteriore Hüftschmerzen äußert – häufig werden als Begleitdiagnosen Iliosakralfunktionsstörungen, Piriformis-Syndrom, Ischias-Syndrome und Schmerzen im unteren Rückenbereich gestellt. Die laterale Dysplasie äußert sich durch tiefe laterale Schmerzen [2].

Eine adäquate systematische körperliche Untersuchung sollte Inspektion (einschließlich des Gangbildes), Palpation, Bewegung (in Rücken-, Seiten- und Bauchlage), Kraft- und spezielle Tests umfassen. Zu den spezifischen Bereichen, die abzutasten sind und deren Schmerzhaftigkeit zu dokumentieren ist, gehören die Trochanterfacetten, die Glutealsehnen/-muskeln, der Beckenkamm, der Leistenkanal, die Schambeinfuge, das Schambein, der Rectus abdominis, das Iliosakralgelenk, Dornfortsätze der unteren Lendenwirbelsäule (LWS), der Ischiofemoralraum (seitlich des Sitzbeins), Sitzbeinhöcker, Adductor longus, Quadrizepsmuskel und Iliotibialband. Der Bewegungsumfang der Hüfte und des Kniegelenkes sollte gemessen und mit der kontralateralen Seite verglichen werden. Die Hüftrotation sollte dabei sowohl in Rücken- als auch in Bauchlage gemessen werden. Die Innenrotation der Hüfte wird eher durch die Femurtorsion, die Hüftbeugung eher durch eine CAM-Morphologie beeinflusst [6, 27]. Zu den speziellen Test gehören der Log-Roll-Test, Hip-Dial-Test, Flexion-Abduktion-Außenrotationstest (FABER), Adduktoren-Squeeze-Test, anteriorer- oder posteriorer Impinegementtest, Ober-Test und Testungen des Iliopsoas. Ein Großteil der dysplastischen Patienten weist häufig ein positives anteriores oder posteriores Impingement-Zeichen auf [48]. Ein positiver Impingement-Test deutet dabei auf eine intraartikuläre Ursache der Schmerzen hin, ist aber nicht zwingend mit einem FAI-Syndrom gleichzusetzen. Zudem sollte obligat eine Überprüfung einer Hyperlaxizität erfolgen, wofür sich die Anwendung des Beighton-Scores etabliert hat [5]. Ein Wert > 4/9 deutet hier auf eine generalisierte Hypermobilität hin.

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