Übersichtsarbeiten - OUP 04/2022

Hüftdysplasie beim Sportler
Aktuelle Entwicklungen in der Diagnostik und Therapie

In den letzten Jahren haben sich zudem neuere klinische Tests etabliert, die eine genauere Differenzierung zwischen stabilen und instabilen Hüften erlauben sollen. Dies ist vor allem in der Beurteilung sogenannter Borderline-Hüften notwendig, um eine adäquate Therapieentscheidung treffen zu können. Hierzu zählen unter anderem der „Anteriore-Apprehension-Test“ [49], der „Abduktion-Extension-Außenrotations-Test“ [9] und der „Prone-Apprehension-Relocation-Test“ [53] (Abb. 1). Für Letzteren konnte ganz aktuell eine sehr gute Korrelation mit modernen radiologischen Instabilitätsparametern gezeigt werden (Abb. 1) [14].

Bildgebung

Röntgen

Die röntgenologische Diagnostik sollte eine zentrierte Beckenübersichtaufnahme sowie eine axiale Aufnahme des proximalen Femurs (Lauenstein, 45°-DUNN etc.) umfassen. Ergänzend kann eine Faux-Profil Aufnahme durchgeführt werden. Die Beckenübersichtsaufnahme sollte dabei folgende Kriterien erfüllen, um als neutral gedreht und gekippt zu gelten: 3 cm Abstand zwischen der Steißbeinspitze und der Oberkante der Symphyse sowie symmetrische Foramen obturatorum [7, 50]. Gemäß aktueller S2k-Leitlinnie Koxarthrose (AWMF-Registernummer: 033–001) sollte bei Frauen auf den Gonadenschutz verzichtet und dieser bei Männern distal der Symphyse platziert werden [38]. Die Beckenübersichtsaufnahme und die Faux-Profil-Aufnahme sind die beiden wichtigsten Aufnahmen zur Charakterisierung der Hüftpfannen-Morphologie. Der LCE-Winkel ist dabei das am häufigsten verwendete Maß zur Charakterisierung von Dysplasien, sollte aber nicht zur alleinigen Diagnose genutzt werden. Der Normbereich des LCE-Winkels liegt zwischen 25° und 40° [58]. Der von Wiberg beschriebene LCE-Winkel wird bis zum lateralen Rand der azetabulären Tragfläche (der Sourcil; franz.: Augenbraue) gemessen [61]. Hierbei ist auf eine exakte Messung zu achten, da ein zu lateral angelegter LCE-Winkel fälschlicherweise höhere Werte ergeben und die Therapieentscheidung maßgeblich beeinflussen kann [18, 68] (Abb. 2). Die laterale Femurkopfüberdachung kann auch durch den Femurkopfextrusionsindex beurteilt werden, wobei Werte von mehr als 20–25 % auf eine Dysplasie hinweisen (Abb. 2) [66].

Der Tönnis-Winkel oder Acetabulum-Index ist ein Maß für die Neigung der lasttragenden Fläche des Azetabulums von der medialen zur lateralen Begrenzung der Sourcil. Der Normalwert des Tönnis-Winkels liegt typischerweise zwischen 0° und 10°, mit Grenzwerten zwischen 10° und 15° [58]. Studien haben jedoch gezeigt, dass bei Patienten mit einem Tönnis-Winkel von mehr als 8° ein deutlich erhöhtes Arthrose-Risiko besteht [66]. Zudem ist ein erhöhter Tönnis-Winkel mit einer generalisierten Gelenkhypermobilität assoziiert [64]. Eine nach oben geneigte laterale Sourcil kann mehr als nur eine knöcherne strukturelle Instabilität anzeigen. Relativ neuere Indizes zur Beurteilung einer potentiellen Instabilität stellen der Femoro-Epiphyseal-Acetabular-Roof (FEAR)-Index und der Gothic-Arch-Angle (GAA) dar [65, 71] (Abb. 3). Beide Parameter korrelieren signifikant mit radiologischen Instabilitätsscores. So muss bei einem GAA > 90° von einer instabilen Hüfte ausgegangen werden [71]. Zudem konnte ganz aktuell gezeigt werden, dass ein FEAR-Index von mehr als –1,3° mit einer dysplastischen Hüfte vergesellschaftet ist [52]. Diese Parameter können vor allem bei Borderline-Hüften hilfreich sein, um eine korrekte Therapieentscheidung (Arthroskopie vs. knöcherne Pfannenkorrektur) treffen zu können (Abb. 3).

Obwohl der LCE-Winkel ein Maß für die laterale (oder globale) Femurkopfüberdachung darstellt, bleibt die anteriore und posteriore Überdachung hierbei weitgehend unberücksichtigt. Eine Möglichkeit zur Beurteilung der anterioren Überdachung stellt der Anteriore-Centrum-Erker (ACE) -Winkel dar, der analog zum LCE-Winkel in der Faux-Profil-Aufnahme gemessen wird. Ein großer Nachteil der Faux-Profil-Aufnahme liegt allerdings in der schwierigen Positionierung des Patienten während der Röntgenaufnahme [35]. Dies kann zu großen Schwankungen und geringer Zuverlässigkeit bei der ACE-Winkel-Messung führen [34].

Eine weitere Messgröße für die anteriore Überdachung ist der Anteriore-Wall-Index (AWI). Der AWI quantifiziert röntgenologisch die anteriore Überdachung des Femurkopfes durch die Pfanne [51] (Abb. 4). Der mittlere AWI normaler Hüften liegt bei 0,41 (0,30–0,51) bei dysplastischen Hüften bei 0,28 (0,06–0,52). Analog zum AWI quantifiziert der Posteriore-Wall-Index (PWI) röntgenologisch die posteriore Überdachung [51]. Der mittlere PWI normaler Hüften liegt hier bei 0,91 (0,81–1,14) bei dysplastischen Hüften bei 0,81 (0,35–1,04). Basierend auf diesen Parametern wurde in den letzten Jahren mit der sogenannten Ottawa-Klassifikation eine neuere Einteilung dysplastischer Hüften vorgeschlagen. Hierbei wird zwischen einem anterioren, posterioren oder globalen (lateralen) azetabulärem Defizit unterschieden (Abb. 4) [2, 62].

Eine weitere Möglichkeit die azetabuläre Version anhand einer Beckenübersicht zu beurteilen, liegt in der Evaluation des sogenannten Cross-Over-Sign (COS), des Posterior-Wall-Sign (PWS) und des Ischial-Spine-Sign. Bei einem positiven COS überkreuzt der vordere Pfannenrand den hinteren, wobei hier eine fokale von einer globalen Überkreuzung unterschieden werden muss [25, 70]. Das PWS ist definiert als mediale Projektion der Pfannenhinterwand zum Zentrum des Hüftkopfes [46]. Das Ischial-spine-Sign beschreibt die Projektion der Spina Ischiadica in die Eingangsebene des Beckens [11, 26]. Finden sich alle 3 Zeichen, so muss von einer relevanten Retroversion der Pfanne ausgegangen werden [60].

Zusätzlich zu den beschriebenen statischen Messungen ist in den letzten Jahren, getriggert durch Fortschritte in der Hüft-Endoprothetik, auch in der hüftgelenkerhaltenden Chirurgie das spinopelvine Alignement in den Fokus gerückt. So wird auch hier zunehmend die Pelvic-Inzidenz in lateralen Aufnahmen bestimmt, um die Beckenkippung und die Sakralneigung zu charakterisieren. Eine erhöhte oder erniedrigte Pelvic-Inzidenz kann durch reaktiver Änderung der Lendenlordose und konsekutiv der Beckenkippung zu einer anterioren oder posterioren Minderüberdachung führen [23, 45, 54]. Welche Auswirkungen diese Erkenntnisse allerdings auf die Therapieplanung und -ergebnisse haben, bleibt aktuell noch abzuwarten.

Computertromografie

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