Übersichtsarbeiten - OUP 06/2021

Hüftendoprothetik bei entzündlich rheumatischer Gelenkdestruktion

Tobias Schmidt, Andreas Niemeier, Wolfgang Rüther

Zusammenfassung:
Das Hüftgelenk ist ein häufig betroffenes Gelenk bei Rheumatoider Arthritis. Auch wenn das Hüftgelenk selten den Ort der Primärmanifestation darstellt, so ist es im Verlauf fast immer betroffen und führt unbehandelt zu einer progressiven Gelenkdestruktion mit Ausbildung einer Sekundärarthrose. Trotz der in den letzten Jahren stark verbesserten medikamentösen Therapieoptionen, insbesondere durch die Einführung der Biologika, ist der endoprothetische Gelenkersatz bei Rheumakranken weiterhin ein häufig durchgeführter Eingriff. Aufgrund der spezifischen Pathologie der rheumatoiden Gelenkdestruktion stellt die hüftendoprothetische Versorgung den Operateur vor besondere Herausforderungen. Dies betrifft sowohl die präoperative Vorbereitung, die Operationsdurchführung als auch die Nachbehandlung. Unter Beachtung dieser Besonderheiten sind die Ergebnisse des endoprothetischen Gelenkersatzes bei rheumatischen Erkrankungen jedoch gut und führen häufig zu einer deutlichen Verbesserung der Mobilität und der Lebensqualität.

Schlüsselwörter:
Rheumatoide Arthritis, Protrusio acetabuli, Osteopenie, Usuren, Komplikationen

Zitierweise:
Schmidt T, Niemeier A, Rüther W: Hüftendoprothetik bei entzündlich rheumatischer Gelenk-
destruktion.
OUP 2021; 10: 264–271
DOI 10.3238/oup.2021.0264–0271

Summary: The hip is a frequently affected joint in rheumatoid arthritis. Although the hip is rarely the site of primary manifestation, it is almost always affected during the course of the disease and, if left untreated, leads to progressive joint destruction with the development of secondary osteoarthritis. Despite greatly improved drug therapy options in recent years, especially with the introduction of biologic agents, total hip replacement continues to be a frequently performed procedure in rheumatoid patients. Due to the specific pathology of rheumatoid joint destruction, hip arthroplasty presents special challenges to the surgeon. This concerns the preoperative preparation, the surgical procedure as well as the postoperative treatment. However, taking these special features into account, the results of total hip replacement in rheumatic diseases are good and often lead to a significant improvement in mobility and quality of life.

Keywords: Total hip replacement, protrusio acetabuli, Osteopenia, bone erosion, complications

Citation: Schmidt T, Niemeier A, Rüther W: Total hip arthroplasty in rheumatoid arthritis.
OUP 2021; 10: 264–271. DOI 10.3238/oup.2021.0264–0271

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Krankenhaus Reinbek St. Adolf-Stift

Einführung

Entzündliche Gelenkerkrankungen führen unbehandelt zu einer Gelenkdestruktion und Ausbildung einer Sekundärarthrose. Die häufigste chronisch-entzündliche Gelenkerkrankung ist die Rheumatoide Arthritis (RA), gefolgt von den Spondyloarthritiden (SpA), die nach Neudefinition in die axiale (axSpA) und periphere Spondylarthritis unterteilt wird [1]. Hierzu zählt auch die Psoriasisarthritis. Bei allen entzündlich rheumatischen Gelenkerkrankungen ist die Hüfte ein häufig betroffenes Gelenk, so finden sich bei 30 % von RA Patienten nach 15 Jahren Krankheitsdauer radiologische Veränderungen [2]. Bei der juvenilen Rheumatoiden Arthritis findet sich nach etwa 10 Jahren Krankheitsdauer bei 30–50 % der Patienten eine Beteiligung der Hüfte [3–5].

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Therapie der entzündlich rheumatischen Krankheiten durch effizientere Medikation erheblich verbessert. Sie soll möglichst früh beginnen („window of opportunity“) und von Anfang an zielgerichtet sein („hit hard and early“). Therapieziel ist eine schnelle Remission und geringe Krankheitsaktivität („treat to target“). Entscheidend für den Fortschritt waren Biologika (synthetische krankheitsmodifizierende Antirheumatika sDMARDs), die seit ca. 2000 verwendet werden. Die Palette der Medikamente wurde inzwischen erweitert durch biosimilar Biologika (bsDMARDs) und durch die intrazellulär wirksamen Januskinase-Inhibitoren (JAK-Inhibitoren).

Die aktuelle Literatur stellt dar, dass bei insgesamt steigenden Raten von Hüftgelenkersatzoperationen in der Allgemeinbevölkerung der Anteil von Patienten mit entzündlich rheumatischen Krankheiten rückläufig ist [6]. So gibt eine aktuelle Metaanalyse einen Rückgang der Inzidenz des endoprothetischen Hüftgelenkersatzes von Patienten mit Rheumatoider Arthritis (RA) um 40 % an, wenn man die Inzidenzen in den Jahren vor 2000 und den Zeitraum 2010–2019 vergleicht [7]. Auch wenn sich dieser Trend in der Zukunft noch verstärken könnte, so ist doch damit zu rechnen, dass eine erhebliche Zahl von RA Patienten eine fortgeschrittene Erkrankung erleidet, die einen endoprothetischen Hüftgelenkersatz notwendig machen, um Mobilität und Lebensqualität zu erhalten. Die Pathogenese der entzündlich rheumatischen Gelenkdestruktion an der Hüfte unterscheidet sich deutlich von der der idiopathischen Coxarthrose. Ihre Kenntnis ist für ein gutes Operationsergebnis vonnöten. Im Folgenden sollen diese Besonderheiten sowie die aktuellen Ergebnisse des endoprothetischen Gelenkersatzes an der Hüfte bei der Rheumatoiden Arthritis dargestellt werden.

Pathogenese der entzündlich rheumatischen Gelenkdestruktion an der Hüfte

Die axiale Spondyloarthritis zeigt periphere Gelenkbeteiligungen, die von einer frühen und sich rasch entwickelnden Sekundärarthose gekennzeichnet sind. Ihre operative Behandlung orientiert sich im Wesentlichen an den Kriterien der Arthrosechirurgie. Besonderes Kennzeichen ist die ausgeprägte osteoblastäre Reaktion mit ummauernden Osteophyten (Abb. 1), die sich klinisch in einer Gelenksteife zu erkennen gibt und bei der endoprothetischen Chirurgie zu berücksichtigen ist. Zur Ossifikationsdiathese gehört hier auch die Neigung zu ektopen Ossifikationen. Die sich primär peripher manifestierende Spondyloarthritis (Psoriasis-Arthritis) entspricht in ihrem Verlauf und ihren orthopädisch-chirurgischen Behandlungsnotwendigkeiten eher der Rheumatoiden Arthritis. Im Folgenden sei deshalb insbesondere auf die Rheumatoide Arthritis und ihre Besonderheiten eingegangen.

Die entzündlich Rheumatische Arthritis ist von einer Infiltration von Entzündungszellen in die Synovialis gekennzeichnet, die hypertrophiert und unbehandelt persistiert [8]. Zu den rekrutierten Entzündungszellen gehören sowohl Zellen des nativen Immunsystems (Makrophagen und Neutrophile) als auch des adaptierenden Immunsystems (B-Zellen, T-Zellen), die über Chemokine und Zytokine den Gelenkknorpel schädigen und im Verlauf zerstören. Die Aggression der Synovialitis richtet sich auf den Knochen (Usur) und auf den Knorpel durch überwachsende Synovialis (Pannus) bzw. chemische Alteration des Knorpels durch Zytokine. Im Gegensatz zu degenerativen Gelenkerkrankungen, die im Wesentlichen auf langsamen Degradationsprozessen der Knorpelmatrix beruhen, führt eine entzündlich rheumatische Synovialitis zu einer relativ raschen Degradation der Knorpelmatrix [9] und zur Zerstörung des gesamten Gelenkes (Abb. 2).

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