Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2012

Hüftsonografie nach GRAF bei Säuglingen: Checklisten helfen, Fehler zu vermeiden
Hip ultrasound with GRAF method in newborns:
Checklists help to avoid mistakes

Das diagnostische Endprodukt dieser sonografischen Rasterfahndung ist nicht ein bestimmter Alpha-Winkel, sondern ein Hüfttyp: Dadurch werden inhärente methodische Schwächen (Intra-/Interobserver-Varianz) kompensiert; auch die therapeutische Konsequenz („sonografiegesteuerte“ Therapie) ist nicht winkel-, sondern typenbezogen (Tab. 2).

Auch wenn statistisch nur bei ca. 1% aller Neugeborenen mit einer schwerwiegenden Hüftreifungsstörung mit sonografischer Instabilität oder gar schon Dezentrierung zu rechnen ist, muss gerade diese „Negativauslese“ schnellstmöglich korrekt diagnostiziert und ohne Zeitverzögerung einer adäquaten (phasengerechten) biomechanischen Therapie (Tab. 2) zugeführt werden. Alle Hüftgelenke, die eine biomechanische Behandlung gemäß Tab. 2 erhalten haben und erfolgreich bis zum Typ 1 ausbehandelt wurden, müssen bis zum Wachstumsende regelmäßig kontrolliert werden („Meilensteinröntgen“), um potenzielle sekundäre Verschlechterungen (sekundäre/endogene Dysplasien) herauszufiltern. Deren Häufigkeit liegt bei 10–30% der Therapiefälle.

Analyse der Entscheidungspraxis der QS-Kommissionen der KVen

Vor Einführung der „Prüfung der Auflage zur Aufrechterhaltung der fachlichen Befähigung von sonografischen Untersuchungen der Säuglingshüfte im B-Mode-Verfahren gemäß § 7a der Ultraschall-Vereinbarung“ zum 01.04.2005 haben die Mitglieder der QS-Kommission der KV Westfalen-Lippe (KVWL) in Anlehnung an die Vorgaben der KBV Kriterien zur Beurteilung der Bild- und Befunddokumentation erarbeitet. Diese wurden in Form eines „Fehlerkatalogs“ tabellarisch den Qualitätsstufen I–III (regelrecht, eingeschränkt, unzureichend) zugeordnet.

Die ersten Ergebnisse zwischen April 2006 und August 2007 waren desaströs: Nur 6,2% der Ärzte konnten eine sachgerechte Qualität nachweisen. 93,8% wurden als nicht sachgerecht beurteilt. 85,7% hätten ihre Abrechnungsfähigkeit verloren.

Alle Betroffenen waren aufgebracht, ließen ihrem Zorn freien Lauf und suchten die Fehler vornehmlich in der „Realitätsferne“ und „Pedanterie“ der Kommissionsmitglieder. Die zahlenmäßig erfasste Fehleranalyse der KVWL zeigte neben Flüchtigkeits- und methodischtechnischen Fehlern insbesondere erheblich defizitäre Kenntnisse bei der anatomischen Identifizierung und der Brauchbarkeitsprüfung. Da viele systemische Fehler begangen wurden (die Häufigsten: Abbildungsverhältnis nicht 1,7 : 1, Ausstelllinie falsch angelegt, Brauchbarkeitskriterien nicht erfüllt etc.) hat die KV Informationsveranstaltungen durchgeführt, die mit zusätzlich wohlwollender Bewertung der Messtechnik von Stufe III in Stufe II deutlich bessere Prüfergebnisse ergaben. Zumindest konnte der Abrechnungswiderruf auf 49,0% gesenkt werden. Gleichwohl ist die nicht sachgerechte Beurteilung mit zurzeit 62% immer noch zu hoch. Eine hervorragende Untersuchungsmethode kann aber nur dann flächendeckend erfolgreich sein, wenn alle Anwender sie fehlerfrei praktizieren.

Die Frage nach der Ursache dieser schlechten Prüfergebnisse ist in der Historie zu finden. Die Ultraschall-Richtlinien aus den Jahren 1982 und 1987 sahen vor, dass die Kenntnisse in 3 Kursen erworben werden mussten. Danach konnten Ärzte in einem Kolloquium bei der KV die Abrechnungsfähigkeit sonografischer Leistungen erwerben. Seit 1988 (Kinderärzte und Radiologen) bzw. 1993 (Orthopäden) werden die Kenntnisse und Fähigkeiten sonografischer Untersuchungen im Rahmen der Weiterbildung gelehrt und im Zeugnis zur Facharztanerkennung vom weiterbildungsbefugten Chefarzt attestiert.

In den Facharztprüfungen zeigen sich leider häufig erhebliche Diskrepanzen zwischen den Chefarztzeugnissen und den tatsächlich vorhandenen Kenntnissen. Auch wird die Säuglingssonografie insbesondere bei jenen Kollegen, die den neuen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie anstreben, in der Facharztprüfung nicht mehr geprüft. Nach der Niederlassung wird dann aus wirtschaftlichen Gründen munter geschallt – und viele Kollegen geraten in die Fänge der ärztlichen Gutachterstellen oder fallen nach etwa 2-jähriger Tätigkeit bei der Qualitätssicherung der KVen durch.

Die neue QS-Vereinbarung hat neben einer Vielzahl weiterer Veränderungen auch einen Prüfalgorithmus mit sich gebracht, demzufolge bei bestimmten Bedingungen expressis verbis ein Fortbildungskurs (Refresherkurs) bindend vorgeschrieben ist. Da an vielen zur Weiterbildung befugten Kliniken keine strukturierte Ausbildung mehr erfolgt oder nicht erfolgen kann, sollten die Kenntnisse in den Facharztprüfungen auch nur dann abgefragt werden, wenn ein Zertifikat über eine strukturierte Weiterbildung vorgelegt wird. Nur diese Ärzte sollten auch geprüft werden.

Die KV prüft zur Abrechnungsfähigkeit allerdings noch, ob die in der Vereinbarung vorgeschriebene Anzahl von 200 Kindern (also 400 Hüftgelenken) nachgewiesen werden kann. Ein derartiges Konzept wird derzeit in der Ärztekammer Westfalen-Lippe beraten. Nicht jeder zur Facharztprüfung zugelassene Kollege – wenn er z.B. in der Unfallchirurgie weiterarbeiten möchte – müsste dann die Sonografie der Säuglingshüfte nach Graf beherrschen und der Chefarzt würde nicht genötigt, ein Gefälligkeits-zeugnis auszustellen.

Schlussfolgerungen

Die Analyse der Regressfälle und der operativ zu behandelnden Hüftgelenke sowie die Ergebnisse der Qualitätskom-missionen der KVen bestätigen die Notwendigkeit der strukturieten Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten in einem strukturierten Ausbildungssystem (Grund-, Aufbau- und Abschlusskurs) sowie die Sinnhaftigkeit einer regelmäßigen Rezertifizierung (Refresherkurse). Das Curriculum dieser Kurse wird durch den Ausbildungskatalog nach Graf [1] strukturiert, der einen Mindeststandard darstellt. Sämtliche Details sind in der jeweils aktuellsten Auflage des Graf-Kompendiums nachlesbar.

Die Kenntnis der Literatur kann allerdings die Teilnahme an einem strukturierten Kurssystem nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen. Gleichbedeutend ist in der Ultraschallvereinbarung vom 31.10.2008 der Erwerb der fachlichen Befähigung durch computer-gestützte Fortbildung in Verbindung mit Ultraschallkursen festgeschrieben. Ebenso sollte die technische Ausstattung (Lagerungsschale plus Schallkopfführung) dem „State of the Art“ 2012 entsprechen. Eine unstrukturierte „Ausbildung am Krankenbett“ durch nicht speziell in der Hüftsonografie ausgebildete Kursleiter systematisiert Fehler und zerstört letztlich Hüftgelenke von Säuglingen.

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