Originalarbeiten - OUP 07-08/2014

Implantatfreie, anatomische MPFL-Plastik
Klinisches Outcome und Patientensicherheit nach einem mittleren Follow-up von 23 MonatenClinical outcome and patient safety with a mean follow-up of 23 months

L.V. von Engelhardt1,2, T. Fuchs1,2, M. Lahner3, J. Jerosch1

Zusammenfassung: Zur Rekonstruktion des medialen patellofemoralen Ligaments (MPFL) werden eine
Vielzahl an Techniken beschrieben, die typischerweise recht unterschiedliche Verankerungsmaterialien verwenden. Als Komplikationen werden Implantatlockerungen und/oder Frakturen mit oder ohne Luxationsrezidiv, ein chronisches anteriores bzw. ein antero-mediales Schmerzsyndrom und/oder ein anhaltendes Bewegungsdefizit beschrieben. Neben Problemen mit der Tunnelplatzierung wird eine fehlerhafte Transplantatspannung als Ursache diskutiert. Unsere Technik der implantatfreien, anatomischen Rekonstruktion erlaubt
eine einfache intraoperative Austestung der Graftspannung beim Durchbewegen des Gelenks. Hierdurch hoffen wir, das Risiko einer Überspannung mit den entsprechenden Komplikationen zu reduzieren. In dieser Studie wurden 16 fortlaufende Patienten im Mittel 23 Monate postoperativ untersucht. Neben einer standardisierten klinischen Untersuchung wurde der Kujala-Score sowie ein Fragebogen zur Patientenzufriedenheit und zu den Möglichkeiten einer Rückkehr in den Sport verwendet. Der Kujala-Score zeigte eine signifikante Verbesserung mit guten Ergebnissen im Vergleich zur
Literatur. Auch die Häufigkeit von Komplikationen war vergleichsweise niedrig. Entsprechend dieser Ergebnisse war auch die Patientenzufriedenheit in unserem Kollektiv als hoch anzusehen, sodass z.B. alle Patienten in die gleiche Sportart und, sofern dies zuvor kompetitiv betrieben wurde, auch in den gleichen Wettkampfsport zurückkehren konnten.

Schlüsselwörter: Patella, Luxation, mediales patellofemorales Ligament, vorderer Knieschmerz

Zitierweise
von Engelhardt LV, Fuchs T, Lahner M, Jerosch J: Implantatfreie, anatomische MPFL-Plastik. Klinisches Outcome und Patientensicherheit nach einem mittleren Follow-up von 23 Monaten.
OUP 2014; 7: 346–351 DOI 10.3238/oup.2014.0346–0351

Abstract: For the reconstruction of the medial patellofemoral ligament (MPFL) a large number of procedures have been described which typically use diverse anchoring materials. Frequently described complications are implant loosening with or without fractures, recurrent luxation, and a chronic anterior or antero-medial pain syndrome, with or without lasting deficits in knee motion. Besides difficulties with correct tunnel placement, an incorrect graft tensioning is discussed as a reason for these complications. Our technique of an implant-free, anatomical reconstruction allows a simple intra-operative testing of the graft tensioning while the knee is moved. Using this technique, we expect to reduce the risks of an overconstraint of the graft with its corresponding complications. In this study, 16 consecutive patients were evaluated after a mean post-operative follow-up of 23 months. Besides a standardized clinical examination, the
Kujala score and a questionnaire were used to evaluate patient satisfaction as well as the patients’ return to sports. The Kujala score showed a significant improvement with good results compared to the literature. Complications were also noted with a relatively low incidence. According to these results, a correspondingly high level of patient satisfaction was noticed, so that all patients were able to return to the same type of sport, and if it was done before, to the same competitive sport.

Keywords: patella, dislocation, medial patellofemoral ligament, anterior knee pain.

Citation
von Engelhardt LV, Fuchs T, Lahner M, Jerosch J: Implant-free, anatomical MPFL plastic: Clinical outcome and patient safety with a mean follow-up of 23 months.
OUP 2014; 7: 346–351 DOI 10.3238/oup.2014.0346–0351

Einleitung

In der Literatur wird die Patellaluxation mit einer Inzidenz von 5,8/100.000 als eine häufige Kniegelenkverletzung beschrieben [10, 16]. Die patellofemorale Stabilität des Kniegelenks wird von statischen und passiven Faktoren beeinflusst. Zu den statischen Faktoren gehören Genum valgum, Trochleadysplasie, Patella alta und/oder auch ein erhöhter Abstand zwischen Tuberositas tibiae und Trochlear groove (TT-TG). Der wichtigste passive Stabilisator ist das mediale patellofemorale Ligament (MPFL), das bei Beugegraden zwischen 0 und 45° angespannt ist [2, 14]. Eine Ruptur des MPFL oder eine Elongation kann demnach maßgeblich eine patellofemorale Instabilität verursachen [3, 15, 27].

Es existieren zahlreiche minimalinvasive Techniken zur Rekonstruktion des MPFL [1, 5, 6, 11, 20, 21, 22, 25, 30]. Größtenteils werden in der Literatur Rekonstruktionen mittels synthetischer Verankerungsmaterialien wie z.B. Knochenanker oder Interferenzschrauben beschrieben. Entsprechend der Literatur können hierbei implantatspezifische Komplikationen wie eine Implantatlockerung bzw. ein Implantatversagen, aber auch Frakturen mit/oder ohne Luxationsrezidiv auftreten [4, 9, 12]. Zudem wird ein chronisches anteriores bzw. ein anterio-mediales Schmerzsyndrom und/oder eine Gelenksteife mit einem Bewegungsdefizit als eine typische Komplikation der MPFL-Rekonstruktion beschrieben [2, 13, 28, 37, 38]. Neben Problemen mit der Platzierung der femoralen Bohrtunnel wird eine fehlerhafte Transplantatspannung als Ursache diskutiert [32, 39].

Mit unserer Technik einer anatomischen, implantatfreien MPFL-Rekonstruktion wird, bis auf die armierenden Fäden, die Einbringung von Fremdmaterialien vollständig vermieden, was in diesem eher jungen Patientengut sicherlich von Vorteil ist. Vor der dauerhaften Transplantatfixierung erlaubt unsere Methode eine Austestung und Einstellung der Graftspannung unter Durchbewegung des Gelenks. Möglicherweise lässt sich so das Risiko einer Überspannung mit den Folgen eines anterioren oder anterio-medialen Knieschmerzes, eines Bewegungsdefizits, eines Transplantatversagens oder von Frakturen reduzieren. Bei den Frakturen werden zumeist Querfrakturen der Kniescheibe beschrieben, sodass hier neben einer Überspannung auch horizontale Knochenbohrungen von Bedeutung sein könnten [7, 18, 24, 26, 40]. Bei der von uns beschriebenen Technik werden horizontale Bohrungen an der Patella vermieden, sodass hiermit dem Auftreten von Frakturen möglicherweise zusätzlich vorgebeugt wird.

In dieser Follow-up-Studie soll die Frage geklärt werden, ob sich die Ergebnisse unserer Methode hinsichtlich dem klinischen Outcome unterscheiden und ob sich hiermit die Patientensicherheit erhöhen lässt.

Material und Methode

Patienten

Diese Studie umfasst 16 fortlaufende Patienten, die aufgrund einer Instabilität der Patella mit stattgehabten Luxationsereignissen in der Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin im Johanna-Etienne-Krankenhaus mit einer MPFL-Rekonstruktion operiert wurden. Alle Patienten wurden mit derselben Technik operiert. Es wurden keine bilateralen MPFL-Rekonstruktionen durchgeführt. Patienten die aufgrund weiterer Pathologien, wie höhergradigen Trochleadysplasien, einem erweiterten TT-TG-Abstand, Rotationsfehlern, einer Patella alta oder ausgeprägten Genua valga, in unserer Klinik mit weitergehenden oder alternativen operativen Maßnahmen versorgt wurden, wurden bei dieser Studie ausgeschlossen.

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Universität Witten/Herdecke unter der Nummer 101/2013 genehmigt. Alle Patienten unterzeichneten eine Einwilligungserklärung zur Teilnahme an dieser Studie. Das Alter zum Zeitpunkt der Operation lag im Mittel bei 20 Jahren (Range 13–38) und zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bei 22 Jahren (Range 15–40). 11 Teilnehmer waren männlich und 5 weiblich. Der BMI lag im Mittel bei 22 (Range 18,3–25,2). Es wurden 7 rechte und 9 linke Kniegelenke operiert und nachuntersucht. Ein Patient wurde bereits 15 Tage nach der Erstluxation operiert. Bei den anderen 15 Patienten erfolgte die OP nach wiederholten Luxationen. Entsprechend der Anamnese war die Erstluxation bei allen Patienten traumatisch. Die Anzahl der Luxationen zwischen der Erstluxation und der Operation betrug im Mittel 18,7 (Range 15–67). Die Zeit zwischen Erstluxation und Operation betrug im Mittel 32,7 Monate (0,5 bis ca. 256). Die Zeit zwischen der Operation und der Nachuntersuchung betrug im Mittel 23 Monate (Range 11–40 Monate).

Operationstechnik

Als erster Schritt der Operation erfolgt die Sehnentransplantatentnahme und die Aufbereitung des Graft. Nach der Darstellung der medialen Patellakante wird ein 2 cm langer, V-förmiger Knochenkanal gebohrt. Hierbei wird einmal vom superomedialen Pol und einmal von der Mitte der medialen Facette aufeinander zugebohrt. Beide Bohrungen verlaufen möglichst vertikal, der Bohrkanal wird möglichst klein gehalten und orientiert sich daher an der gemessenen Dicke des Graft. Es folgt das spannungsfreie Durchziehen der an den Enden armierten Gracillissehne durch den nahezu vertikal verlaufenden Knochenkanal (Abb. 1).

Die femorale Insertionsstelle wird unter streng seitlicher Bildwandlerkontrolle aufgesucht. In diesem Bereich erfolgen eine ca. 1 cm lange Inzision und die Präparation auf die Femurkortikalis. Nach Bildwandler-gestützter Vorbohrung des Kirschnerdrahts in Richtung Gegenkortikalis erfolgt das Aufbohren des blind endenden Knochenkanals. Über das Ende des gebohrten Knochenkanals erfolgt dann die Passage von 2r divergierend verlaufenden Ösendrähten durch den lateralen Femurkortex (Abb. 2 und 3). Die beiden freien Enden des Gracilistransplantats werden zum anatomischen femoralen Insertionspunkt geführt und jeweils in die Fadenösen eingeführt (Abb. 3). Durch Zug am lateralen Ende der Ösendrähte werden die beiden Graftenden in den Knochenkanal eingeführt und im Weiteren die Armierungen durch den lateralen Femurkortex durchgezogen.

Im letzten Schritt werden die Fadenpaare auf dem lateralen Kortex zusammengeführt und in ca. 30° Flexionsstellung des Kniegelenks auf der lateralen Femurseite verknüpft. In dieser Stellung ist die Anspannung des MPFL am größten [2, 14]. Vor der endgültigen Verknotung erfolgt eine temporäre Fixierung bspw. mit einem Nadelhalter zur Beurteilung und ggf. auch zur Einstellung der Spannung unter Durchbewegung des Gelenks. Vor der endgültigen Verknotung der Fadenenden erfolgt eine temporäre Fixierung, z.B. mit einem Nadelhalter. Hiermit kann die Transplantatspannung unter Durchbewegung des Kniegelenks beurteilt und ggf. eingestellt werden. Abschließend erfolgt die dauerhafte Verknüpfung.

Postoperative
Nachbehandlung

In den ersten 2 postoperativen Wochen wird eine Teilbelastung empfohlen. Es sollte schon am ersten Tag eine isometrische Beübung des Quadrizepsmuskels erfolgen. Das Kniegelenk wird in den ersten 6 postoperativen Wochen mit anliegender Knieschiene mobilisiert. Die Knieschiene ist in den ersten 2 Wochen auf eine maximale Flexion von 30°, in der 3. und 4. Woche auf eine Flexion von 60° und in der 5. und 6. Woche auf eine Flexion von 90° eingestellt. Eine Motorschienenbehandlung erfolgt täglich.

Objektive und subjektive
Evaluation

Kujala-Anterior-Knee-Pain-Score

Der Kujala-Anterior-Knee-Pain-Score umfasst 13 Fragen zur Bewegung, Schmerz, Schwellung und Muskelatrophie. Der Kujala-Score wurde zur Diagnostik des vorderen Knieschmerzes konzipiert und hat sich insbesondere bei der Evaluation der patellofemoralen Instabilität etabliert [23].

Befragung der Patienten

Alle Patienten wurden zu ihren sportlichen Aktivitäten befragt. Hierbei wurde evaluiert, welche Patienten regelmäßig Sport betrieben und ob dies kompetitiv erfolgt. Auch wurde erfragt, ob und in welchem Zeitraum der Sport im postoperativen Verlauf wieder möglich war. Bei den kompetitiven Sportlern wurde erhoben, ob eine Rückkehr in die zuvor ausgeübte Wettkampfklasse gelang. Zudem wurden die Patienten befragt, ob sie sich in Anbetracht der Ergebnisse nochmals für diese Operation entscheiden würden.

Komplikationen

Nach einer Auswertung der Literatur erachteten wir es als sinnvoll, die folgenden typischerweise auftretenden Komplikationen, bei den in diese Studie eingeschlossenen Patienten zu evaluieren: Beugedefizit, vorderer Knieschmerz, Frakturen und Luxationsrezidive.

Statistische Auswertung

Die statistische Auswertung erfolgte mit dem Softwareprogramm Excel (Microsoft 2010) und Graph pad prism 3.0 (Graph pad Software, La Jolla, CA). Der Wilcoxon Test für gepaarte Werte wurde verwendet, um verschiedene Scoring-Ergebnisse zu vergleichen. Die angegebenen p-Werte wurden stets zweiseitig berechnet.

Ergebnisse

Befragung

15 der 16 Patienten waren vor der Operation sportlich aktiv, davon betrieben 8 in ihrer Freizeit kompetitiven Sport. Bis auf einen Patienten waren alle Patienten nach der Operation wieder sportlich aktiv, wobei die kompetitiven Sportler (8 von 15) in die zuvor ausgeübte Wettkampfklasse zurückgekehrt sind. Bei dem einen Patienten, der nicht in seinen Sport zurückkehrte, erfolgte dies aufgrund eines Interessenverlusts und nicht wegen möglicherweise vorhandenen Beschwerden. Bei den anderen 15 Patienten lag der durchschnittliche Zeitraum von der Operation bis zur Rückkehr zur vollen sportlichen Aktivität im Mittel bei 12 Wochen (Range 3–20 Wochen). Alle Patienten würden sich in Anbetracht des Ergebnisses noch einmal für die Operation entscheiden.

Komplikationen

Bei keinem der Patienten wurde anamnestisch ein Luxationsrezidiv festgestellt. Ebenfalls konnte in den postoperativen Röntgenkontrollen und im weiteren klinischen Verlauf keine intra- oder postoperative Fraktur festgestellt werden. Bei 3 Patienten wurde ein vorderer Knieschmerz über der Kniescheibe angegeben. Dieser trat jedoch nur nach längerer Belastung auf, z.B. beim Joggen über mehrere Kilometer. Hier war die Therapie der Wahl die fortgeführte Krankengymnastik. Es erfolgte dennoch eine Rückkehr in den Sport, wobei 2 Patienten zum Fußball und einer zum Schwimmsport zurückkehrte. Eine Folgeoperation war nicht notwendig. Ein Beugedefizit von ca. 15°–25° wurde zum Zeitpunkt der Nachuntersuchung bei dem Schwimmsportler festgestellt. Aufgrund der nur geringfügigen, belastungsabhängig bei längeren Laufstrecken auftretenden Beschwerden, erfolgte die Behandlung mittels Krankengymnastik.

Kujala-Score

In unserer Studie lag der präoperative Wert im Median bei 60,6 Punkten. Postoperativ wurde nach mittlerem Follow-up von 18 Monaten ein Median von 95,3 Punkten festgestellt. Dieser mittlere Anstieg im Kujala-Score von durchschnittlich 34,7 Punkten war hochsignifikant (p = 0,0001).

Diskussion

Zahlreiche biomechanische Studien belegen, dass das MPFL der wichtigste passive Stabilisator der Kniescheibe ist [2, 15, 35, 37]. Hierbei ist das MPFL für die Patellaführung während der ersten 30° Knieflexion verantwortlich [2, 14]. Das MPFL ist die einzige Struktur, die in strecknahen Kniepositionen der lateralisierenden Kraft des Quadriceps entgegenwirken kann, da hierbei die Trochlea als stabilisierende Komponente fehlt [35, 37]. In den vergangenen Jahren wurde der Rekonstruktion des MPFL zur Behandlung der patellofemoralen Instabilität eine zunehmende Bedeutung beigemessen. Vor allem Techniken mit autologen Sehnentransplantaten haben zu besseren Ergebnissen bei der patellofemoralen Instabilität geführt [30]. Nachdem die Patienten mit einem mittleren Alter von 17 Jahren ein vergleichsweise junges Patientengut darstellen [16], sollte gerade hier der Einsatz von Fremdmaterialien nicht nur aus Kostengründen so weit als möglich vermieden werden. Bei Patienten mit offenen Wachstumsfugen sind OP-Methoden von besonderem Interesse, die – wie unsere Technik – Schäden an der Wachstumsfuge vergleichsweise sicher vermeidet [20].

Zur Evaluierung des klinischen Outcomes unserer Methode und zum Vergleich der Ergebnisse zu anderen Studien wurde der Kujala-Score erhoben. In vorangegangenen Studien lag der präoperative Score im Durchschnitt bei 50,6 (Range 45–70,8) Punkten. Der durchschnittliche Anstieg lag bei 38,5 (Range 18,4–40) Punkten, wobei der postoperative Score im Durchschnitt bei 89,1 (Range 83–96) Punkten lag [28, 29, 30, 33, 34]. In unserer Studie stieg der Kujala-Score um durchschnittlich 34,7 Punkte von einem präoperativen Median von 60,6 auf 95,3 Punkte postoperativ (p = 0,0001). Mit diesem Ergebnis liegen wir im Vergleich zu den genannten vorangegangenen Studien im oberen Range. Diese Ergebnisse im klinischen Outcome passen zu den Ergebnissen unserer Befragung, wonach alle Patienten im weiteren Verlauf in ihren jeweils zuvor ausgeübten Sport zurückkehren konnten. Auch die subjektive Bewertung, in der alle Patienten sich auch nochmals für diese OP entscheiden würden, entspricht den vergleichsweise guten Ergebnissen im Scoring nach Kujala.

In der Literatur werden verschiedene Komplikationen einer MPFL-Rekonstruktion beschrieben. Zu den häufigeren Komplikationen zählen Rezidivluxationen, Patellafrakturen, ein anteriorer Knieschmerz und eine Kniesteife [4, 9, 24, 31, 36, 40]. In dieser Studie kam es in 3 Fällen zu Komplikationen, die jeweils nicht als schwerwiegend einzuordnen sind. Bei diesen 3 Fällen wurde während der Nachuntersuchung ein belastungsabhängiger anteriorer Knieschmerz berichtet, wobei bei einem dieser 3 Patienten zusätzlich ein geringfügiges Beugedefizit festgestellt wurde. In der Literatur werden für den vorderen Knieschmerz und/oder ein anhaltendes Bewegungsdefizit Häufigkeiten von 30 bis sogar 50 % angegeben [1, 19, 32, 39]. In einer Langzeituntersuchung von Nomura zeigten 2 von 22 Patienten (9,1 %) auch nach ca. 10 Jahren eine anhaltende Kniesteife [29]. In einer anderen Studie von Christiansen und Jacobsen trat bei 4 von 44 Patienten (9,1 %) und in einer weiteren Nachuntersuchung von Nomura et al. bei 2 von 12 Patienten (16,7 %) ein anteriorer Knieschmerz auf [7, 28]. Deutlich höhere Komplikationsraten zeigen hingegen die Studien von Hinton et al. sowie Ahmad et al., wonach nach durchschnittlich 2 Jahren 30–50 % der Patienten einen chronischen, anhaltenden anterioren Knieschmerz aufweisen [1, 19]. Hinsichtlich der Häufigkeit des Auftretens eines vorderen Knieschmerzes und eines Bewegungsdefizits liegen die Ergebnisse unserer OP-Methode somit vergleichsweise gut innerhalb der Streuweite vorangegangener Studien. Zudem ist anzumerken, dass in unserem Patientenkollektiv ein vorderer Knieschmerz nur nach längerer Belastung, z.B. dem Joggen über mehrere Kilometer, beklagt wurde und eine Rückkehr in den Sport dennoch in allen Fällen möglich war. Fithian und Gupta assoziierten den Bewegungsverlust mit einer Entzündung und Narbenbildung im Bereich des Transplantats [17]. Andere Autoren sehen eine Fehlplatzierung des Tunnels als ursächlich für Bewegungsdefizite an [37, 39]. Thaunat und Erasmus gehen hingegen davon aus, dass der Bewegungsverlust mit einer Überspannung des eingebrachten Transplantats zusammenhängt [39]. Durch unsere OP-Technik mit einer Austestung der individuellen Anspannung in Funktion kann das Risiko einer Überspannung des Transplantats vorgebeugt werden. Des Weiteren wird bei unserer Technik die gesamte Länge der Gracilissehne genutzt, sodass das ausgetestete Konstrukt weniger rigide erscheint. Möglicherweise lässt sich hiermit die verminderte Häufigkeit eines vorderen Knieschmerzes und/oder eines Bewegungsdefizits im Vergleich zur Literatur erklären.

In unserer Studie fand sich in den postoperativen Röntgenkontrollen und den klinischen Untersuchungen kein Anhalt für eine Fraktur. In der Literatur werden Patellafrakturen hingegen nicht selten beschrieben. Die meisten Frakturen verlaufen hierbei quer durch die Patella [7, 24, 26, 33, 40]. So berichteten Gomes et al. und auch Lippacher et al. von Querfrakturen der Patella nach MPFL-Rekonstruktion mit Anlage eines horizontal verlaufenden Tunnels [18, 24]. Christiansen et al. berichteten von einer Patellafraktur nach Bohrung zweier quer verlaufender Knochentunnel [7]. In einer weiteren Studie von Mikashima et al. fanden sich in 2 von 12 Fällen (17 %) Querfrakturen nach Bohrung eines quer verlaufenden Tunnels [26]. Anders als bei den sonst üblichen Querfrakturen beschrieben Thaunat et al. 3 Fälle mit quer verlaufenden Abrissfrakturen an der medialen Patellakante. Hierbei brach der Knochen zwischen 2 quer angelegten Tunneln aus der medialen Patellakante aus [40]. Nach Analyse mehrerer Studien [18, 24, 40] und 2 eigener Fallberichte vermuteten Dhinsa et al., dass die Positionierung und Größe der Bohrungen eine wichtige Rolle bei der Prädilektion von Frakturen spielen können [8]. Zusammenfassend ist anhand dieser Studien zu vermuten, dass horizontal angelegte Knochenbohrungen zu entsprechenden Querfrakturen der Patella prädisponieren bzw. einen Risikofaktor hierfür darstellen. Dies erscheint in Anbetracht der über die Patellar- und Quadrizepssehne in Längsrichtung an der Patella wirkenden Zugkräfte auch logisch. Daher erscheint der bei unserer Methode verwendete nahezu vertikal verlaufende Knochentunnel sinnvoll. Möglicherweise könnte dies bereits das Ausbleiben von Frakturen in unserem Patientengut erklären.

Wie bereits angedeutet, können fehlerhaft angelegte femorale Bohrungen zu einer Überspannung des Transplantats und somit an der Entstehung von Frakturen beteiligt sein. Dass fehlerhaft angelegte Tunnel nicht allzu selten auftreten, zeigt eine Studie von Servien et al. In dieser Studie wurde die Tunnelposition in den postoperativen Röntgen- und Magnetresonanztomografieaufnahmen ein Jahr nach der MPFL-Rekonstruktion analysiert. Von den Tunneln waren 65 % in guter Position und 35 % der Tunnel zu weit proximal oder anterior positioniert [36]. Die Positionierung des Tunnels hat hierbei nicht nur einen Einfluss auf eine Überspannung mit einem möglicherweise erhöhten Frakturrisiko, auch kann dies zu Schmerzen bei Flexion und/oder einem Beugedefizit führen [31]. So führt ein zu weit anteriorer oder proximal angelegter Femurtunnel zu einer erhöhten Spannung in Flexion sowie erhöhten Drücken im Femoropatellargelenk [37, 39]. Dies kann insbesondere während der Beugung zu Schmerzen führen. Wenn der femorale Tunnel hingegen zu weit posterior platziert ist, kann das Transplantat in Streckung überspannt werden. Auch dies kann mit Schmerzen und/oder einem Streckdefizit einhergehen [31]. Anhand dieser Daten ist es sinnvoll, dass wir die Anlage des femoralen Knochentunnels ausschließlich Bildwandler-gestützt durchführen. Neben der femoralen Bohrkanalplatzierung erachten wir das Erreichen eines ausgewogenen Spannungsverhältnisses bei der Einbringung des Transplantats als wesentlich. Dies erscheint uns bei vielen Methoden der MPFL-Rekonstruktion nicht unbedingt als selbstverständlich bzw. technisch einfach durchführbar. Unsere Technik, die vor der Fixierung eine einfache Testung und Einstellung der Graftspannung unter Durchbewegung des Gelenks erlaubt, ist zum Erzielen eines ausgewogenen Spannungsverhältnisses von praktischem Nutzen. Möglicherweise lässt sich so das Risiko einer Überspannung mit den Folgen eines anterioren oder antero-medialen Knieschmerzes, eines Bewegungsdefizits, eines Transplantatversagens oder von Frakturen reduzieren. Hierbei ist anzumerken, dass sicherlich auch bei einigen anderen Techniken einer MPFL-Rekonstruktion Möglichkeiten zur Prüfung und Einstellung der Transplantatspannung denkbar sind und möglicherweise auch durchgeführt werden.

Zusammenfassend ist unsere Technik einer implantatfreien MPFL-Rekonstruktion ein kostensparendes Verfahren, das ein vergleichsweise gutes klinisches Outcome zeigt. Bei richtiger Positionierung des Tunnels und Beachtung der individuellen Implantatspannung ermöglicht diese Methode eine vergleichsweise niedrige Komplikationsrate.

Interessenkonflikt: Es besteht kein Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass keine Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder mit einer Firma, die ein Konkurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation des Themas ist unabhängig und die Darstellung der Inhalte produktneutral.

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Lars Victor Baron von
Engelhardt

Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin

Johanna-Etienne-Krankenhaus

Am Hasenberg 46

41462 Neuss

l.vonengelhardt@ak-neuss.de

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Fussnoten

1 Abteilung für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss, Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Jörg Jerosch

2 Fakultät für Gesundheit, Private Universität Witten/Herdecke

3 Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum

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