Übersichtsarbeiten - OUP 02/2015

Indikationen und klinische Anwendung der 3-fachen Beckenosteotomie nach Tönnis/Kalchschmidt

Die Indikationen zur Durchführung der 3FBO sind einerseits die schmerzhafte Hüftdysplasie mit einem CE-Winkel < 25°. Wir führen die 3FBO auch in ausgewählten Fällen bei Kindern ab 6 Jahren durch, wenn die Korrektur der Hüftdysplasie über eine Azetabuloplastik nicht hinreichend möglich sein sollte. Weiterhin ist bei Kindern mit einem Morbus Perthes und offener Y-Fuge die 3FBO gut durchführbar [5, 6]. Zusätzlich sind auch andere Pfannenpathologien wie die Retroversion der Pfanne mit sekundärem Pincer-Impingement gut zu behandeln. Nach oben hin verfolgen wir keine feste Altersgrenze. Aufgrund der mittlerweile längeren Standzeiten der Hüft-Endoprothesen muss die Indikation ab dem 45. Lebensjahr mit dem Patienten besonders gründlich abgewogen werden. Jenseits des 50. Lebensjahres stellt aufgrund der Knochenqualität und der langsameren Knochenheilung ein derartiger Eingriff eine Ausnahmeindikation dar.

Bei Dysplasiecoxarthrosen muss die Indikationsstellung gut abgewogen werden. Gerade bei jüngeren normalgewichtigen Patienten unter 40 Jahren besteht trotz einer beginnenden oder auch mittelgradigen Dysplasiecoxarthrose oft keine gute Alternative zum Gelenkerhalt über eine 3FBO. Gerade bei schlanken Patienten können auch hier sehr gute Ergebnisse erzielt werden [7]. Bei der Kombination einer Dysplasiecoxarthrose mit Adipositas und/oder schlechter Ausgangsfunktion muss jedoch vor vermehrt schlechten Ergebnissen gewarnt werden.

Für die Indikationsstellung benötigen wir eine Beckenübersichtsaufnahme (Abb. 2), die wir regelhaft im Liegen anfertigen. Hier kann bei Beachtung der Beckenkippung, die erheblichen Einfluss auf die Darstellung der Pfanne haben kann, die Hüftpfanne schon sehr gut beurteilt werden. Es wird routinemäßig der CE-Winkel bestimmt. Weiterhin ist die Durchführung einer Rippstein-II-Aufnahme sinnvoll. Diese kann ebenfalls bei korrekter Lagerung gute Hinweise auf eine femorale Rotationsproblematik geben. Bei der Anamneseerhebung geben die Patienten häufig belastungsabhängige Leistenschmerzen an. Längere Gehstrecken werden gemieden. Sportliche Belastungen sind häufig auch nicht mehr gut möglich. Nicht selten werden auch Schmerzen im Verlauf des M. glutaeus medius beschrieben.

Die klinische Untersuchung zeigt dann häufig ein leicht hinkendes Gangbild. Das Trendelenburgzeichen ist auf der betroffenen Seite je nach Dauer der Symptomatik positiv. Bei der Untersuchung der Beweglichkeit zeigen viele Patienten eher einen uneingeschränkten bzw. sehr guten Bewegungsumfang. Dies ist sicherlich in der verminderten Gelenkführung bei der Dysplasie zu sehen, sodass mehr Freiheitsgrade bestehen. Nur selten findet sich eine Bewegungseinschränkung. Diese kommt bei einer Dysplasiecoxarthrose vor, oder wenn zusätzlich ein Impingement oder eine femorale Fehlrotation bestehen. Wir führen als klinischen Test den Dysplasie-Test nach Kalchschmidt [8] durch. Dieser besteht aus einer forcierten Außenrotation der Hüfte bei gestrecktem Hüftgelenk in Bauchlage. Bei symptomatischen Hüftdysplasien geben die Betroffenen Leistenschmerzen unter dem Manöver an. Dieser Test ist in der Regel bei Patienten mit einer symptomatischen Hüftdysplasie positiv. Sollte eine verminderte Innendrehfähigkeit bestehen, streben wir den Ausschluss einer verminderten femoralen Antetorsion an. Da diese auch eine präarthrotische Deformität darstellt, führen wir hier eine gleichzeitige intertrochantäre Korrektur durch [9]. Wenn bei der Anamnese, der klinischen Untersuchung und der konventionellen Bildgebung eine Unplausibilität besteht, führen wir eine weitere Diagnostik durch, um andere bzw. konkurrierende Pathologien auszuschließen. Diese besteht je nach dem klinischen Bild in einem MRT/Arthro-MRT oder einem 3D-CT. Vor einer Operation fertigen wir heute routinemäßig eine Strahlen sparende EOS-Standaufnahme in 2 Ebenen an (Abb. 3). Diese gibt uns eine klare Auskunft über den Beckenstand und die Beckenkippung unter Belastung. Für uns ist dies eine sehr wichtige Information für die intraoperative Korrektur der Pfanne.

Bezüglich der Komplikationsraten sind einerseits die Thrombose und auch die Wundinfektion zu nennen. Im Zuge der heute verfügbaren Prophylaxe ist die Thromboserate von ursprünglich 2 % [10] deutlich zurückgegangen. Mittlerweile können wir in den letzten Jahren auf Jahrgänge zurückblicken, die ohne symptomatische Thrombose waren. In einer 10-Jahres-Nachuntersuchung ergab sich bei 2361 operierten 3FBOs (Abb. 4) eine Lungenembolierate von 0,3 %. Alle Fälle blieben ohne nachhaltige Folgen für die Patienten. Die Rate der postoperativen Wundinfektionen liegt bei 0,8 %. Etwa 15 % der Patienten beklagen postoperativ ein Taubheitsgefühl am lateralen Oberschenkel im Versorgungsgebiet des Nervus cut. fem. lateralis. Pseudarthrosen sind gerade bei der kombiniert durchgeführten Osteosynthese am Scham- und Darmbein selten. Die Rate liegt bei 5 %. Das Risiko für eine Fußheberschwäche auf dem Boden einer peroneal betonten Ischiadikusparese liegt bei 1,8 %. Bei sehr schweren Dysplasien kann es aufgrund des weiten Schwenkwegs zu einer Beinverlängerung von mehr als 1 cm kommen. Ggf. muss dann, gerade wenn das zu operierende Bein präoperativ bereits länger sein sollte, mit dem Patienten über eine zusätzliche subtrochantäre Verkürzung gesprochen werden.

Zur präoperativen Vorbereitung empfehlen wir den Patienten eine Eigenblutspende. Trotz des routinemäßigen intraoperativen Einsatzes eines Cell-Savers entsteht in ca. 50 % der Fälle eine postoperative transfusionspflichtige Anämie. Hormonelle Kontrazeptive sollen mindestens einen Zyklus vor der OP abgesetzt werden. Dies betrifft auch die Gestagenpräparate, da gerade die neueren Präparate eine erhöhte Thromboserate zeigen. Auf die präoperative Einnahme von Blut verdünnenden Medikamenten wie ASS soll verzichtet werden. Patienten, die diese zur Sekundärprophylaxe einnehmen, sollten eher nicht einem derartigen Eingriff zugeführt werden.

Die Patienten erhalten eine spezielle Schmerztherapie. In der Regel wird ein PDK mit einer Selbstbedienungspumpe mit einem Schutz vor Überdosierung angelegt. Sollte kein PDK gewünscht oder möglich sein, kann auch eine sehr gute Analgesie mit einer intravenösen Schmerzpumpe erreicht werden. Nach ca. 5 Tagen kann die Schmerzmedikation auf orale Medikamente umgestellt werden. Bis zur Entlassung sind in der Regel keine Schmerzmittel mehr notwendig.

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