Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018

Individualisierte chirurgische Konzepte zur Behandlung von periazetabulären Knochentumoren

Die retrospektive Aufarbeitung eigener Patienten aus der Zeit vor der Einführung von Resektionsschablonen macht die Ungenauigkeit der Freihand-Resektion von Tumoren am Becken deutlich. Im Jahre 1977 begannen wir damit, ossäre Defekte nach Resektion von Beckentumoren mit individuell hergestellten Endoprothesen zu rekonstruieren. Die Form, Größe und Fixation dieser Prothesen am verbliebenen Knochen wurden zu diesem Zeitpunkt noch anhand von nativen Röntgenaufnahmen des Beckenskeletts in mehreren Ebenen geplant. Zwischen 1977 und 1987 wurden entsprechend dieser Methode 12 konsekutive Patienten (7 Frauen und 5 Männer) mit einem Durchschnittsalter von 44 Jahren (7–67 Jahren) chirurgisch versorgt. Davon litten 8 Patienten an einem primär malignen Knochentumor (5 Chrondrosarkome, 2 Ewing-Sarkome, 1 Osteosarkom), ein Patient an einem pleomorphen Sarkom und 3 weitere an Knochenmetastasen eines primären Karzinoms (1 Nierenzellkarzinom, 2 Schilddrüsenkarzinome). Die funktionellen sowie onkologischen Ergebnisse dieser Behandlung waren desaströs – mit einem intraläsionalen Resektionsstatus in 8 von 12 Fällen. In 5 Fällen kam es zu einem Lokalrezidiv und in 4 Fällen war eine externe Hemipelvektomie im weiteren Verlauf notwendig. Die Gesamt-Überlebensrate der Patienten nach Kaplan-Meier lag bei 25 % (95 % Konfidenz-Intervall 6,4 bis 50,1) nach 5 Jahren, 16,4 % (95 % KI 2,9 bis 41,3) nach 10 Jahren und 8,3 % (95 % KI 0,7 bis 30,1) nach 20 Jahren. Lediglich ein Patient ist heute noch am Leben ohne Krankheitszeichen (no evidence of disease, NED, 9 dead of disease, DOD, 2 dead of other causes, DOC) (Abb. 1).

Um die Genauigkeit der Resektion von tumortragenden Abschnitten am Beckenskelett zu erhöhen, wurden schon früh erhebliche Anstrengungen unternommen. So beschrieben Caius Burri [1] und Hans-Dieter Tonner [10] schon 1979 erste Fälle, bei denen vor Tumorresektion eine 3-dimensionale Planung am Modell erfolgte und daran die endoprothetische Versorgung ausgerichtet wurde. Die hierzu verwendeten Modelle mussten damals von den behandelnden Chirurgen aus z.B. Karton und Gips hergestellt werden, bevor individualisierte Prothesen bei den entsprechenden Firmen in Auftrag gegeben werden konnten [1]. Die Genauigkeit der Beckenmodellierung war entsprechend den damals üblichen computertomografischen Schichtdicken von 1,5 cm im Vergleich zu heutigen Standards relativ schlecht [1]. Parallel zum Fortschritt in Techniken bildgebender Verfahren wie der CT und damit verfeinerter Schichtbildgebung erhöhte sich auch die Genauigkeit der angefertigten Beckenmodelle (Abb. 2).

Ab 1988 verwendeten wir standardmäßig CAD/CAM (Computer assisted design/computer assisted manufacturing) -Techniken zur Fertigung von Beckenmodellen, Instrumenten und Implantaten [4]. Hierzu wurden radiologische Einzelschichten per Computertomogramm akquiriert und in einen DICOM-Datensatz überführt, der wiederum einer CNC-Fräsmaschine als Grundlage zur gezielten Führung des Fräskopfs und somit zur Formgebung eines Beckenmodells aus Polyurethan diente. Durch diese Modelle war es dem behandelnden Chirurgen möglich, die Resektionsgrenzen einzuzeichnen. Anhand der Markierungen wiederum konnte der Resektionsdefekt durch die Firma simuliert und Resektionsschablonen und Prothesen speziell an den Defekt angepasst werden [9] (Abb. 3). Bis Ende der 2000er Jahre hatte sich der Fertigungsprozess nur hinsichtlich einiger weniger Details verändert. Durch die Einführung von Dünnschicht-CTs konnte die Genauigkeit der Beckenmodelle, der Osteotomie und der chirurgischen Rekonstruktion des Defekts wesentlich erhöht werden. Eigene Langzeit-Studien bestätigen den erfolgreichen klinischen Einsatz dieser Technik [6] (Abb. 4).

Dennoch bietet auch dieses Vorgehen durchaus noch viel Raum für Verbesserungspotenzial. Der Herstellungsprozess der Schablonen und Prothesen war relativ zeitaufwendig und von der Akquirierung der CT-Daten bis zur Lieferung vergingen nicht selten mehr als 8 Wochen. Dies bedeutete bei bestimmten Tumorentitäten eine deutliche Verzögerung des Therapiebeginns. Die eigentliche Schwachstelle der hier dargestellten Produktionskette war jedoch die Festlegung der Resektionsgrenzen am Modell durch den Chirurgen. Dies erforderte vom Chirurgen die geistige Umsetzung der virtuellen CT- bzw. MRT-Daten auf das Modell. Trotz metikulöser Planung und Einsatz der speziell gefertigten Resektionsschablonen kam es daher dennoch in einigen Fällen zu onkologisch inkorrekten Resektionsgrenzen [6]. Da die zur Resektion verwendeten Schablonen aus Metall waren und per Gussverfahren und später per Handarbeit an den Defekt angepasst wurden, waren diese oft recht groß, inakkurat und bedurften in einigen Fällen einer großflächige Ablösung der Weichgewebe vom Beckenskelett. Eine mimimalinvasive Operationstechnik war daher in den meisten Fällen nur bedingt möglich [9]. Dies war neben der großen Oberfläche der Prothese und der im Vergleich zu Standardoperationen verlängerten Operationszeit ein weiterer Grund für die hohe Zahl an periprothetischen Infekten.

Beckentumor-Chirurgie
up to date

Aufgrund der sich ständig verbessernden Möglichkeiten der radiologischen Datengenerierung, der 3-dimensionalen Bildverarbeitung, der Einführung des 3D-Drucks sowie der zunehmend guten Zusammenarbeit zwischen Softwareherstellern und Prothesenfirmen konnten bis heute bereits einige der benannten Probleme behoben werden. Die heutzutage erhältlichen Software-Pakete (z.B. Mimics Innovation Suite, Materialise N.V., Leuven, Belgium) machen es möglich, standardisiert erhobene CT- bzw. MRT-Daten in kürzester Zeit entweder durch den Chirurgen selbst oder durch die entsprechende Firma 3-dimensional und in sehr hoher Auflösung zu rekonstruieren. Hierbei werden nicht nur die 3-dimensionale Form des Beckens, die Lage und die Dimensionen des Tumors sichtbar, sondern auch die Knochenqualität und -dicke bildmorphologisch dargestellt [7]. Die Tumorresektionsgrenzen können durch eine Überlagerung von CT- und MRT-Daten virtuell mit einem hohen Genauigkeitsgrad geplant werden. Vom Chirurgen wird somit nicht mehr verlangt, sich die Lage des Tumors am Beckenmodell vorstellen zu müssen, was in der Vergangenheit nicht selten der Grund für nicht-adäquate Resektionsgrenzen war. Aufgrund der hohen Auflösung und bildmorphologischen Umsetzung sowie des technischen Fortschritts im 3D-Druck (Entwicklung neuer additiver Herstellungsverfahren wie dem „Selective Laser Sintering“ SLS) können polymere Resektionsschablonen (z.B. aus Polyamid, Nylon) gefertigt werden, die eine intraoperative Anpassung an auch kleinste knöcherne Landmarken ermöglichen. Somit entfällt die früher notwendige relativ großflächige Ablösung der Weichteile vom knöchernen Becken und eine minimal-invasive Tumorentfernung wird möglich. Eine weitere Neuerung ist die Analyse der Knochendicke wodurch mit speziell-angefertigten polymeren Bohrschablonen Schrauben in der exakt präoperativ geplanten Dicke und Länge eingebracht werden können (Abb. 5). Die Patienten-spezifischen Prothesen müssen nicht mehr in zeitaufwendigen Gussverfahren hergestellt werden. Vielmehr werden Sie – wie auch die polymeren Schablonen – durch „Selective Laser Sintering“ erzeugt. In diesem Verfahren wird Metallpulver auf eine Platte aufgebracht, auf der dann ein Laser die Formen der Prothese Schicht für Schicht erzeugt. Hierdurch können Produktionszeit eingespart und Prothesenteile erzeugt werden, die eine hohe Porosität aufweisen, um ein Einwachsen osteogener Elemente zu beschleunigen und das Gewicht der Prothese zu reduzieren [5]. Zuletzt kann der behandelnde Chirurg eine interne Qualitätskontrolle durchführen, indem ein sog. Overlay des postoperativen referenzierten Röntgenbilds mit der präoperativen Planung erzeugt wird (Abb. 6).

Was bringt die Zukunft?

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