Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Innenbandverletzungen bei Patienten mit vorderer Kreuzbandruptur
Besonderheiten und BehandlungskonzepteSpecific features and treatment concepts

Fabian Blanke1, Stephan Vogt1, Geert Pagenstert2

Zusammenfassung: Die begleitende MCL-Verletzung ist eine häufige Pathologie bei Patienten mit VKB-
Ruptur. Die VKB-Rekonstruktion gilt als Standard bei sportlich aktiven Patienten mit MCL/VKB-Verletzung. Sowohl die frühe als auch die späte VKB-Rekonstruktion zeigten gute Langzeit-Ergebnisse betreffend der VKB- und MCL-Funktionalität, die direkt posttraumatische VKB-Rekonstruktion birgt allerdings ein erhöhtes Risiko für eine Arthrofibrose. Die
Behandlung der begleitenden MCL-Verletzung ist weiterhin umstritten. Zumindest für die begleitende erstgradige MCL-Verletzung ist die konservative Behandlung akzeptierter Standard. Die Behandlung der zweit- und drittgradigen MCL-Verletzung wird kontrovers diskutiert, nicht allein wegen unterschiedlicher Behandlungsergebnisse, sondern auch wegen heterogener Klassifikationen. Die Berücksichtigung einer AMRI kann hier gegebenenfalls die Entscheidung zwischen operativen und konservativen Maßnahmen erleichtern. Chronische MCL-Verletzungen sollten vorrangig rekonstruktiv-augmentierend mittels Auto-/Allograft therapiert werden.

Schlüsselwörter: MCL, VKB, Behandlungskonzept, AMRI

Zitierweise
Blanke F, Vogt S, Pagenstert G: Innenbandverletzungen bei Patienten mit vorderer Kreuzbandruptur. Besonderheiten und Behandlungskonzepte.
OUP 2017; 7/8: 380–384 DOI 10.3238/oup.2017.0380–0384

Summary: Concomitant MCL lesion is a common injury

pattern in patients with ACL rupture. ACL reconstruction is mandatory in athletes with ACL/MCL injury. Both early and late reconstruction of ACL showed good functional results with regained coronal and sagittal stability, however posttraumatic ACL reconstruction means higher risk of arthofibrosis. Treatment of concomitant MCL lesion remains
unclear. At least for concomitant grade I MCL lesion conservative treatment is accepted. However, treatment of concomitant MCL lesion grade II and III is inconsistent, both because of different outcome results and heterogeneity of classifications. AMRI seems to be a crucial factor for the decision between surgical and non-surgical treatment of concomitant MCL lesions and should be considered in the treatment decision. In patients with chronic MCL lesions MCL/PMC reconstruction with auto-/allograft might be given priority.

Keywords: MCL, ACL, treatment, concept, AMRI

Citation
Blanke F, Vogt S, Pagenstert G: MCL lesions in patients with rupture of the anterior cruciate ligament. Specific features and treatment concepts.
OUP 2017; 7/8: 380–384 DOI 10.3238/oup.2017.0380–0384

Hintergrund

Das Innenband (MCL) und das vordere Kreuzband (VKB) sind die am häufigsten verletzten Bandstrukturen im Kniegelenk [1]. Die anteromediale Knieverletzung mit Ruptur des VKBs und begleitender Läsion des MCLs ist häufig, insbesondere bei sportlich aktiven Patienten. Während die operative Therapie des VKBs allgemein akzeptiert ist, um Patienten eine schnelle Rückkehr zu sportlichen Aktivitäten zu ermöglichen, wird die Behandlung der begleitenden MCL-Läsion kontrovers diskutiert [2, 3, 4, 5]. Klar ist, dass eine nicht adäquate Therapie zu einer persistierenden Knie-Instabilität führen kann [4, 5, 6, 7, 8, 9]. Ursächlich hierfür ist höchstwahrscheinlich eine oftmals vorliegende kombinierte Rotationsinstabilität (Anteromediale Rotationsinstabilität, AMRI), welche in vielen Fällen übersehen oder nicht in die Therapieplanung mit einbezogen wird [2, 5, 10]. Zudem ist die Unterscheidung zwischen chronischer und akuter Innenbandverletzung bei der Wahl der Behandlungsstrategie entscheidend, um ein zufriedenstellendes Therapieergebnis zu erreichen [11, 12]. Neben der konservativen Therapie sollten sowohl operativ-reparierende, als auch operativ-rekonstruktive Maßnahmen zum Einsatz kommen.

Innenbandverletzung

Die medialen Kniestrukturen sind komplex aufgebaut und werden grundlegend in einen oberflächlichen und tiefen Anteil aufgeteilt [5, 6, 9]. Der oberflächliche Anteil ist durch das superficiale Innenband (sMCL) repräsentiert, welches flächig verläuft und aus insgesamt 3 Schichten besteht [5]. Dieser Innenbandanteil stabilisiert das Kniegelenk gegen Valguskräfte, insbesondere in 30° Flexion. Der tiefe Innenbandanteil wird durch das hintere Schrägband (posterior oblique ligament, POL) und die hintere innere Kapselecke (posteromedial corner, PMC) gebildet und stabilisiert das Kniegelenk hauptsächlich in Streckstellung [5, 11, 12]. Alle Verletzungsklassifikationen orientieren sich am Ausmaß der Schädigung dieser Anteile. Die gebräuchlichste Klassifikation ist hierbei am ehesten nach Fetto und Marshall, welche in 3 Grade unterteilt wird und dabei die anatomischen Strukturen mit klinischer Konsequenz berücksichtigt [5]. Grundsätzlich können alle Innenbandverletzungen, solange knöcherne Ausrisse oder höhergradige Banddislokationen ausgeschlossen wurden, zunächst konservativ behandelt werden [2, 6]. Hierzu wird meist eine Orthese für 6 Wochen angelegt, wobei bei höhergradigen MCL-Verletzungen die Beugung und Streckung limitiert wird, um das Band zu schützen und die Heilung zu optimieren. Ein gängiges Schema ist hierbei die Immobilisation des Kniegelenks in 20° Flexion für 2 Wochen, gefolgt von einer Erweiterung des Bewegungsausmaßes im 2-Wochen-Rhythmus (F/E: 60°-20°-0° bzw. 80°-10°-0°) [13]. Sollte es hierdurch zu keiner suffizienten Heilung kommen, bieten sich operative Therapieverfahren an. In akuten oder subakuten Fällen können hierbei die verschiedenen Bandanteile des MCLs repariert bzw. nicht augmentierend rekonstruiert werden [14]. Bei chronischen MCL-Verletzungen ist dieses Vorgehen allerdings oft nicht ausreichend.

Unterschiede zwischen
isolierter und begleitender
Innenbandverletzung

Domäne der isolierten MCL-Verletzung ist die konservative Therapie [5, 6, 9]. Insbesondere bei Begrenzung der Läsion auf den oberflächlichen Anteil des MCLs können konsequente orthetische Maßnahmen zu sehr guten Erfolgen führen [5, 6, 13]. Aber auch bei Beteiligung des tiefen Anteils des MCLs können konservative Maßnahmen zu einer Wiedererlangung der medialen Stabilität führen [9–12, 13]. Bei verbleibenden Instabilitäten oder aber bei chronischen Instabilitäten sind jedoch oft nur noch operative Maßnahmen mittels rekonstruktiven Techniken (OP nach Hughston) oder rekonstruktiv-augmentierenden Techniken (OP nach LaPrade) zielführend [3, 13].

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