Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Innenbandverletzungen bei Patienten mit vorderer Kreuzbandruptur
Besonderheiten und BehandlungskonzepteSpecific features and treatment concepts

Grundlegender Unterschied bei der isolierten MCL-Verletzung im Vergleich zur begleitenden MCL-Verletzung bei VKB-Ruptur ist die fehlende Verletzung des zentralen Pfeilers (VKB). Somit muss eine operative Rekonstruktion des VKBs nicht mit in die Therapie einbezogen werden und es kommt klinisch höchstens zur Vergrößerung des medialen Rotationsausmaßes (isolierte Rotationsinstabilität), aber es liegt keine kombinierte Rotationsinstabilität vor [10, 11, 12]. Im Falle einer Kombinationsverletzung von MCL und VKB kann diese kombinierte Rotationsinstabilität jedoch vorkommen (AMRI), welche diagnostisch und prognostisch große Bedeutung zu besitzen scheint und die Situation klinisch sowie therapeutisch deutlich erschwert [14]. In der klinischen Praxis kann eine AMRI insbesondere mittels Slocum-Drawer-Test diagnostiziert werden [10, 14]. Hierbei wird am Kniegelenk das Vorhandensein einer vermehrten anterioren Translation des Tibiaplateaus in 90° Flexion und Außenrotation geprüft. Zudem weist jegliche anteriore Subluxation des Tibiaplateaus während des Valgusstress-Tests in 30° Flexion auf eine kombinierte Rotationsinstabilität hin. Isolierte Innenbandverletzung zeigen lediglich mediale Instabilitäten während des Valgusstress-Tests in 30° bzw. 0° Flexion. Bei höhergradigen Bandverletzungen kann zusätzlich die Außenrotation im Seitenvergleich vermehrt sein (isolierte Rotationsinstabilität), zu einer vermehrten anterioren Translation kommt es hingegen in keiner Bewegungsphase [10, 11, 12, 13].

Operative vs. konservative
Behandlung bei begleitender
Innenbandverletzung

Bezüglich der begleitenden Innenbandverletzung bei VKB-Ruptur herrscht keine Einigkeit über den Einsatz von konservativen und operativen Therapiemaßnahmen [2, 5, 6]. Trotzdem scheint der Einsatz von konservativen Therapiemaßnahmen bei Grad-I-Läsionen (gemäß Fetto/Marshall [5]) angemessen, da es sich um eine limitierte Verletzung der medialen Strukturen mit erhaltener Bandstabilität handelt [20, 25, 27]. Im Gegensatz dazu ist die Therapie von Läsionen Grad II und Grad III uneinheitlich, da in der Literatur von unterschiedlichen Behandlungsergebnissen berichtet wird. [15, 18, 19, 21, 22, 23, 28]. Grund hierfür sind nicht nur unterschiedliche Klassifikationssysteme der MCL-Läsion, sondern auch bisher fehlende klinische Untersuchungsparameter, die das Ausmaß der Verletzung anzeigen und so die Entscheidung zwischen operativer oder konservativer Therapie erleichtern könnten. Die AMRI könnte nun jedoch solch ein klinischer Parameter sein. In einer aktuellen Studie wurde die AMRI bei der Auswahl zwischen konservativer und operativer Therapie des MCLs berücksichtigt, was zu sehr guten Ergebnissen führte [10, 14].

Im speziellen wurde bei Vorliegen einer AMRI 6 Wochen posttraumatisch und somit nach Fehlschlagen einer konservativen Therapie, die begleitende MCL-Verletzung gleichzeitig mit der VKB-Ruptur operativ versorgt. Dies war bei Patienten mit Grad-III-MCL-Läsionen immer der Fall, da dieser Verletzungstyp eine komplette MCL-Ruptur (sMCL, PMC) bedeutet und bei zusätzlich bestehender VKB-Ruptur eine AMRI obligatorisch ist. Umgekehrt konnte bei Grad-I-MCL-Läsionen nie eine AMRI nachgewiesen werden, sodass hier die begleitende MCL-Läsion konservativ behandelt wurde. Therapeutisch bedeutend war die AMRI somit insbesondere bei den Grad-II-MCL-Läsionen. Hier zeigten sich sowohl Patienten mit als auch ohne klinischen Nachweis einer AMRI. Bei Patienten ohne AMRI (Typ IIa) wurde die begleitende MCL-Läsion konservativ, bei Patienten mit AMRI (Typ IIb) operativ behandelt. Dieses MCL-Grading bzw. dieser Behandlungsalgorithmus konnte bei allen Patienten erfolgreich angewandt werden (Tab. 1, Abb. 1). Augmentierende Verfahren wurden zur MCL-Stabilisation nicht verwendet, sondern lediglich eine Raffung des sMCL, sowie fakultativ die Rekonstruktion der posteromedialen Ecke in der Technik nach Hughston durchgeführt. Chronische MCL-Verletzungen wurden in dieser Studie allerdings nicht berücksichtigt [14].

Der Zeitpunkt der VKB-Rekonstruktion bei kombinierten MCL/VKB-Verletzungen wird weiterhin kontrovers diskutiert. Aufgrund des Arthrofibrose-Risikos wird grundsätzlich eine spät-elektive VKB-Rekonstruktion (ab 6 Wochen posttraumatisch) favorisiert [2, 3, 23]. Es besteht hierbei die Annahme dass ein instabiles MCL die Einheilung der VKB-Plastik negativ beeinflussen kann [31, 34, 35]. Auf der anderen Seite ist das VKB bekannter Weise ein sekundärer Stabilisator des MCLs und es gibt nicht wenige Autoren, die die Meinung vertreten, dass ein rupturiertes VKB die Heilung des MCLs verschlechtern kann [3, 13, 17, 18, 21, 36, 37]. Dieses Konzept würde eine frühe VKB-Plastik bei Patienten mit begleitender MCL-Läsion implizieren [37, 38]. Mit dieser Behandlungsstrategie würde man jedoch einen möglichen Zweiteingriff in Kauf nehmen, falls das MCL nach der VKB-Plastik nicht spontan ausheilt. Bei direkter, operativer Mitbehandlung der begleitenden MCL-Läsion würde man der spontanen Ausheilung des MCLs keine Möglichkeit geben. Eine Ausheilung der begleitenden MCL-Läsion ist jedoch auch ohne frühe VKB-Rekonstruktion möglich, was in mehreren Studien belegt wurde [2, 15, 21, 24, 26]. Eine spät-elektive Versorgung scheint bei der kombinierten MCL/VKB-Läsion somit am sinnvollsten und sollte bei der Therapieplanung berücksichtigt werden.

Sonderfall „chronische
Innenband-Verletzungen“

Chronische MCL bzw. MCL/VKB-Läsionen stellen einen Sonderfall bei diesem Verletzungsmuster dar und bedürfen einer speziellen Behandlungsstrategie. Gerade bei Vorliegen einer chronischen Situation haben Studien schlechtere Ergebnisse bei nicht-augmentierenden OP-Verfahren bezüglich der Innenbandverletzung gezeigt [11, 12, 13, 41, 42]. In diesen Fällen können die oben beschriebenen Therapiestrategien nicht erfolgsversprechend angewandt werden. Vielmehr sollten MCL-Rekonstruktionen mittels Auto/-Allograft eingesetzt werden, um zufriedenstellende Ergebnisse erzielen zu können [11, 12, 13]. Hierbei wird der oberflächliche (sMCL) und auch tiefe Anteil des Innenbands (POL, PMC) durch ein Sehnengraft verstärkt bzw. ersetzt. Nur mit diesen operativen Techniken ist es möglich, das mediale Kniekompartiment auch in einer solch schwierigen Situation suffizient zu stabilisieren (Abb. 2).

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