Übersichtsarbeiten - OUP 05/2023

Interventionelle Maßnahmen beim Therapieren eines CRPS
Welche Therapie ist evidenzbasiert?

Martin Legat

Zusammenfassung:
Ein CRPS kann sich nach einem Trauma an den distalen Extremitäten entwickeln. Initial ist nach einer entsprechenden Diagnostik die Therapie des CRPS von funktionellen Maßnahmen, insbesondere in der Physio- und Ergotherapie, geprägt. Beispielsweise zeigt eine spezifische Therapie, wie die Spiegeltherapie, gute Effekte. Medikamentös haben bei akuter Symptomatik Steroide oder Bisphosphonate ihren Platz. Insbesondere bei nicht ausreichender Wirksamkeit muss rechtzeitig eine intensive Evaluierung psychischer Co-Morbiditäten und deren Therapie angestrebt werden. Bei einem weiteren, nicht zufrieden stellenden Behandlungsergebnis, muss dann an invasive Maßnahmen gedacht werden.
Injektionen am sympathischen Grenzstrang, sog. Sympathikusblockaden, haben nach wie vor ihren Platz in der Therapie, insbesondere bei gesichert sympathisch unterhaltenen Schmerzen. Weitere invasive Maßnahmen sind die rückenmarksnahe Elektrostimulation (SCS) bei ansonsten persistierenden Schmerzen. Die Spinalganglienstimulation (DRG) zeigt in neueren Studien hier gleichwertige oder überlegene Ergebnisse. Die periphere Neurostimulation zeigt in Case Reports beeindruckende Ergebnisse, ausreichende evaluierende Studien fehlen hier jedoch. Die intrathekale Gabe von Baclofen ist CRPS-Syndromen mit fokaler Dystonie vorbehalten.

Schlüsselwörter:
Sympathikusblockaden, Spinal Cord Stimulation, DRG-Stimulation

Zitierweise:
Legat M: Interventionelle Maßnahmen beim Therapieren eines CRPS. Welche Therapie ist
evidenzbasiert?
OUP 2023; 12: 188–192
DOI 10.53180/oup.2023.0188-0192

Summary: Initial the therapy of a CRPS is based on functional procedures like physiotherapy. In the acute phase medication with steroids and bisphosphonats got their place. If the syndrome prolongs psychological, comorbidities had to be evaluated and treated. Additionally invasive procedures can be proved.
Sympathetic blocks and spinal cord stimulation are possibilities. The stimulation of the dorsal root ganglion shows even better results in newer studies than the SCS. Neurostimulation of peripheral nerves is only proved in case reports. The application of Baclofen intrathecal is recommended in cases of CRPS with dystonia.

Keywords: Sympathetic blocks, spinal cord stimulation, DRG-stimulation

Citation: Legat M: Interventions in the therapy of CRPS. Which therapy is evidence based?
OUP 2023; 12: 188–192. DOI 10.53180/oup.2023.0188-0192

Schmerz Zentrum Zofingen, Schweiz

Einleitung

Ein CRPS (Complex Regional Pain Syndrom) kann nach einem Trauma der distalen Extremitäten eintreten. Dabei korreliert häufig der Schmerz nicht mit dem Ausmaß des Traumas. Neben der Schmerzsymptomatik treten häufig trophische Störungen auf. Bei der Diagnostik stehen primär klinische Aspekte wie die Budapestkriterien im Vordergrund. Die Bildgebung mittels MRI und Skelettszintigrafie kann zur Bestätigung der Diagnose herangezogen werden.

Eine noch nicht abgeschlossene europaweite Studie zeigt, dass für die Patientinnen und Patienten primär die Schmerzreduktion im Vordergrund steht. Eine Funktionsverbesserung ist eher sekundär. Einig ist man sich, dass eine multidisziplinäre Schmerztherapie (Abb. 1) den Erfolg einer Behandlung eines CRPS wesentlich beeinflusst. Dabei sollten zunächst vorsichtige Bewegungstherapie, unterstützt durch Analgetika und aktive Mitarbeit der Patientin/des Patienten im Vordergrund stehen. Später treten neuro- und gelenkrehabilitative Verfahren in den Vordergrund. In einer 3. Stufe sollten die funktionellen Störungen im Rahmen eines biopsychosozialen Konzeptes behandelt werden.

Interventionelle Behandlungen sind therapieresistenten Fällen vorbehalten. Gerade deshalb sollte für diese Verfahren, wenn sie angewendet werden, eine gründliche wissenschaftliche Basis der Methoden vorliegen. Diese soll im folgenden Artikel dargestellt werden.

Interventionelle Therapien

Bei Therapieresistenz sind grundsätzlich interventionelle Therapien denkbar. Hier stehen im Vordergrund die Injektionen am sympathischen Grenzstrang. Für die oberen Extremitäten ist das Ganglion Stellatum und für die unteren Extremitäten der Grenzstrang in Höhe LWK 3 der Zielbereich.

Mittlerweile hat sich zervikal die Injektion unter Sonografie etabliert. Diese bietet gegenüber einer fluoroskopiegesteuerten Injektion den Vorteil, dass Blutgefäße rechtzeitig erkannt werden. Eine versehentliche Punktion, insbesondere der Arteria vertebralis, kann so rechtzeitig vermieden werden. Diese läuft in Höhe C7 weitgehend frei, auf Höhe C6 ist dies zu ca. 10 % der Fall. Auch Punktionen der Arterie und Vena thyroidea inferior sind bei einem ventro-lateralem Zugang unter Fluoroskopie oder einem ventralen Zugang, Landmark orientiert am Tuberculum Chassaignac, als Komplikation bekannt. Insbesondere bei Injektionen in Höhe des zervikalen Grenzstranges von links kann auch versehentlich der Oesophagus getroffen werden. Sonografisch erfolgt der Zugang von dorso-lateral in Höhe von C7 (Abb. 2). Im Gegensatz zu den darüber liegenden Processus transversi, ist bei C7 nur ein dorsales Tuberkel vorhanden. Damit ist diese Interventionshöhe gut zu identifizieren. Dabei wird über das Tuberkel gegangen, die Arteria vertebralis vermieden und im Bereich der Faszie des Muskulus longus coli dann ein Lokalanästhetikum oder ein Opioid (GLOA) appliziert.

Im Bereich des lumbalen Grenzstranges erfolgt eine typische Injektion für die untere Extremität auf Höhe des Wirbelkörpers LWK3. Da die Wirbelkörper hier regelmäßig in einer Tiefe über 10 cm gefunden werden, ist eine Injektion unter Fluoroskopie zu bevorzugen. Dabei wird in einem Oblique-view von ca. 25–30° unter einem cranio-caudalen Strahlengang der Target-point so gewählt, dass dieser in der maximalen Konkavität des Wirbelkörpers direkt unter dem Processus transversus zu liegen kommt. Eine Punktion ist dann gut im Target-point möglich, es wird die Nadel bis in das vordere Drittel des Wirbelkörpers (Abb. 4) vorgeführt. Es erfolgt anschließend die Applikation von Kontrastmittel (Abb. 3). Gewünscht ist, dass sich dieses wirbelkörpernah verteilt, ein Abfluss in den Muskulus psoas sollte vermieden werden.

Entscheidend für ein positives Ergebnis ist eine prä- und postinjectionem durchgeführte Temperaturmessung an den jeweiligen Extremitäten. Es sollte zu einer Temperaturerhöhung von mindesten 2–3 Grad kommen.

Wissenschaftlich gesehen wird der Erfolg der Sympathikusblockade mittlerweile kritischer beurteilt als dies in früheren Jahren der Fall war. Noch vor ca. 10 Jahren wurden teilweise Injektionsserien mit 8–10 Injektionen empfohlen. Neuere wissenschaftliche Ergebnisse zeigen eine doch reduzierte Wirksamkeit der Grenzstrangblockaden. Eventuell ist dies auch von der Technik abhängig. In einer Studie zeigte de Oliveira [1], dass ein thorakaler Sympathikusblock, der an das 2., teilweise 3. thorakale sympathische Ganglion adressiert war, gegenüber einer Sham-Gruppe keine Verbesserung nach einem Monat, jedoch nach 12 Monaten aufweist. R. Aleanakian et al. [2] wiesen in einer Studie 2020 nach, dass Stellatumblockaden unter Sonografie sicher sind. Es bestehe eine Effektivität bei sympathisch unterstützten neuropathischen Schmerzen. Dabei sei es wesentlich, dass nach der ersten Blockade eine Schmerzreduktion vorhanden sei, denn dies sei ein Prädiktor für die Wirksamkeit einer Injektionsserie. Dagegen zeigte eine frühere Metaanalyse aus dem Jahr 2013 von Stanton [3], in die 12 Studien inkludiert wurden, dass betreffend Sympathikusblockaden mit Lokalanästhetikum zu anderen Therapien kein zusätzlicher Effekt vorhanden sei. Auch seien diese Injektionen anderen Therapien nicht überlegen.

Neurostimulation

Hier soll zunächst die rückenmarksnahe Elektrostimulation (SCS = Spinal Cord Stimulation) betrachtet werden. Diese Art der Neurostimulation wird seit einigen Jahren auch für ansonsten therapieresistente Patientinnen und Patienten mit CRPS an der unteren Extremität empfohlen. Vorab ausgeschlossen sein sollte eine gravierende psychologische Erkrankung, eine weitere Voraussetzung für eine endgültige Implantation ist eine sogenannte positive Probestimulation. Hinsichtlich der Wirkweise wird davon ausgegangen, dass eine Stimulation über den Hintersträngen des Rückenmarks stattfindet und damit hemmende Systeme aktiviert werden. Optimal ist eine Platzierung der Elektroden im Bereich des thorakalen Rückenmarks. Dabei werden die Elektroden auf den Rückenmarkshautsack aufgelegt (Abb. 5, 6). In der Regel erfolgt die Implantation von 2 parallelen Elektroden mit jeweils mindestens 8 Kontakten, es sind bis zu 16 Kontakte/Elektroden möglich.

Wie bereits erwähnt, findet die Stimulation über die sog. Hinterstrangbahnen, hier den Fasciculus gracilis und den Fasciculus cuneatus, statt. Dabei liegen die Bahnen für die sacralen Segmente nahe der Mittellinie, für den cervicalen Bereich lateral. Für die unteren Extremitäten wird eine Positionierung in Höhe Th7–Th10 bevorzugt.

Mittlerweile haben sich in der Software deutliche Verbesserungen ergeben, sodass unterschiedliche Bereiche durch besondere Applikationen angesteuert werden können. Etabliert hat sich die sogenannte High-Frequency-Technik, wobei mit Frequenzen im Bereich bis 10.000 Hz gearbeitet wird im Gegensatz zur üblichen tonischen Stimulation von ca. 50–80 Hz. Ein Vorteil bietet dabei, dass keinerlei Parästhesien mehr erzeugt werden müssen, sodass diese teilweise unangenehmen Empfindungen für die Patientin/den Patienten entfallen. Eine weitere Technologie ist die sog. Burst-Applikation. Dabei erfolgt die Stimulation in kurzen Sequenzen mit tonischer Frequenz, welche von Pausen unterbrochen wird. Hier wird davon ausgegangen, dass nicht nur das laterale System der Schmerzrezeption sondern auch das mediale System der affektiven Schmerzkomponente mitbehandelt wird.

Hinsichtlich der Evidenz konnten erstmals Kemler at al. im Jahr 2000 [4] zeigen, dass ein analgetischer Effekt der SCS in einer selektionierten CRPS-Patientengruppe, welche bei den üblichen Therapiemethoden resistent war, auftrat. Der Effekt der SCS hielt 2 Jahre an, allerdings war bei einer Nachuntersuchung in den Jahren 2006 bzw. 2008 keinerlei Unterschied mehr zu einer Behandlungsgruppe mit Physiotherapie alleine vorhanden. Neueren Datums ist ein Review von Eugene Visnjevac at al. [5] von 2016. Hier wurden 16 Studien untersucht, es zeigte sich eine Level 1B+-Evidenz für die Schmerzreduktion sowie den Quality of Life. Für die Verbesserung der Funktion konnte keinerlei Evidenz nachgewiesen werden.

Bezü glich der neueren Technik mit High-Frequency-Stimulation sind die Ergebnisse der SENZA-RCT-Studie von Kapural [6] wegweisend. Dabei konnte die HF-10-Therapie eine Überlegenheit gegenüber der traditionellen tonischen SCS zeigen. Lamer et al. [7] untersuchten 2019 in einer Metaanalyse vorhandene Literatur auf Vergleiche zwischen SCS und Medikamententherapie. Sie fanden unter 12 Studien, dass die Spinal Cord Stimulation eine bessere Schmerzreduktion brachte. Insbesondere die neuen Techniken mit High-Frequency- und Burst-Stimulation waren mit einer höheren Rate an Pain-relief kombiniert. Ebenso galt dies für die DRG-Stimulation. Hier wird gezielt das Dorsal-Root-Ganglion, eine subdurale intraspinale Nervenstruktur, welches primär sensorische Neuronen beinhaltet, stimuliert. Grundlagenmedizinische Untersuchungen haben gezeigt, dass bei chronischen Schmerzen das DRG eine Veränderung der Membranfunktion zeigt, was es für eine selektive Stimulation empfänglich macht. Dadurch können Schmerzen im Bereich des Fußes, aber auch im Bereich der Hand behandelt werden. Insbesondere die umgebende Liquor-Flüssigkeit macht geringere Energien möglich, sodass im Gegensatz zur klassischen SCS keinerlei Parästhesien ausgelöst werden müssen. In der Accurate-Studie [8] wurde die DRG-Stimulation mit der SCS-Stimulation verglichen. Es zeigte sich im primären Outcome betreffend die Schmerzreduktion nach der sog. Trial-Phase und 3 Monate nach Implantation mit 81,2 % die DRG-Stimulation gegenüber 50,7 % der SCS-Stimulation überlegen. Auch in den sekundären und tertiären Endpunkten der Studie zeigte sich eine Überlegenheit der DRG-Stimulation bezüglich des funktionellen Status, der Patientinnen-/Patientenzufriedenheit und der Reduktion von Positionseffekten. Außerdem konnte nach 12 Monaten keinerlei Habituation, d.h. Nachlassen der Wirkung bei der DRG-Stimulation im Gegensatz zur klassischen SCS gefunden werden [9, 10]. Während bei den unteren Extremitäten die Nervenwurzeln L3 (Abb. 7, 8) und 4 für das Kniegelenk sowie L5 für den Fuß stimuliert werden, zeigt für die obere Extremität die Stimulation von C8 die besten Ergebnisse (Abb. 9).

Intrathekale
Baclofen-Applikation

Diese Anwendung ist Patientinnen und Patienten mit Dystonie bei CRPS vorbehalten. Studien zeigen eine gute Beeinflussung der Dystonie [11].

Periphere Nervenstimulation (PNS)

Eine weitere Möglichkeit ist die periphere Stimulation von Nerven um, insbesondere bei einem CRPS II, hier neuropathische Schmerzen zu beeinflussen. So kann bspw. bei einer Verletzung des Ramus superficialis des Nervus radialis eine Stimulation im Bereich des mittleren Oberarms durchgeführt werden (Abb. 10). Der Vorteil dieses Systems ist, dass die Elektrode komplett mit Empfänger für die elektrischen Pulse perkutan eingebracht werden kann. Der eigentliche IPG kann dann in einer Armmanschette getragen werden. Es ist keine ständige Stimulation vorgesehen, die Patientin/der Patient kann diese stundenweise durchführen. Die Studienlage stellt sich momentan noch dürftig dar, es liegen lediglich Case Reports vor [12].

Resümee

Bei therapieresistenten CRPS-Verläufen bietet sich, unter strengen Kautelen, immer noch die Sympathikusblockade an. Es sollte darauf Wert gelegt werden, dass das Ergebnis der Erstinjektion positiv ist, um eine Serie einleiten zu können. Bei negativem Outcome sollten weitere Injektionen unterbleiben. Hinsichtlich der Neurostimulation haben sich mit den neueren Techniken der High-Frequency- und der Burst-Stimulation auch im Bereich des Rückenmarkes neue Optionen ergeben. Mit der DRG-Stimulation ist eine selektive Neuromodulation der entsprechenden Nervenversorgung möglich. Ob die periphere Neurostimulation, außer in Case Reports, auch in einer RCT-Studie positive Resultate liefert, ist zu überprüfen.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Martin Legat

Schmerz Zentrum Zofingen

Hintere Hauptgasse 9

CH-4800 Zofingen

martin.legat@schmerzzentrum.ch

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