Übersichtsarbeiten - OUP 05/2020

Interventionelle Schmerztherapie in der Behandlung chronischer Schmerzen
Ein „no go“ oder Option in der Komplexbehandlung?

Wie in diesem Artikel gezeigt wurde, existieren mit den Verfahren der interventionellen Schmerztherapie also sichere Therapieoptionen, die im Stande sind, Schmerzen für einen Zeitraum von bis zu einigen Wochen signifikant zu lindern. Damit steht einer, eventuell auch seriellen Anwendung in der Therapie chronischer Schmerzen eigentlich nichts im Weg. Diese Aussage hätte Gültigkeit, wenn man die Pathogenese einer chronischen Schmerzerkrankung außer Acht ließe. Für die erfolgreiche Behandlung chronischer Schmerzen ist es jedoch unerlässlich, die gesamte Pathophysiologie des chronischen Schmerzes zu beachten. Diese besagt nach gängiger Lehrmeinung, dass nicht nur morphologische Veränderungen, sondern auch psychosoziale und funktionelle Faktoren bei der Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms eine erhebliche Rolle spielen. Zusammengefasst wird dies im „Biopsychosozialen Modell“. Häufig findet man bei chronischen Schmerzpatienten dysfunktionale Bewältigungsstrategien, wie beispielsweise Vermeidung körperlicher Aktivität [12], welche dann wiederum zu funktionellen Problemen und damit zur Schmerzunterhaltung im Sinne eines circulus vitiosus führt. Beschrieben wird dies im sogenannten „Angst-Vermeidungs-Konzept“ [19].

Im Gegensatz zu den behandelnden Schmerztherapeuten, haben die betroffenen Patienten zudem häufig eine sehr somatische Sichtweise auf ihre Schmerzerkrankung mit externaler Heilungserwartung und kaum ausgeprägter Selbstwirksamkeitserwartung. In einer solchen Konstellation kann der Einsatz eines interventionellen Therapieverfahrens mit einer vorrübergehenden Schmerzlinderung dazu führen, dass die somatische Sichtweise des Patienten gestärkt wird und die Inaktivität beibehalten wird. Beides widerspricht diametral den Zielen einer Multimodalen Schmerztherapie und kann letztendlich zur weiteren Schmerzchronifizierung beitragen. So sieht man in der Praxis nicht selten Patienten, bei denen ganze Serien interventioneller Verfahren ohne nachhaltigen Erfolg durchgeführt wurden.

Andererseits leiden Schmerzpatienten häufig auch unter einer großen Unsicherheit. Eine Dissertation am DRK Schmerzzentrum Mainz zeigte eine große Anzahl konsultierter Fachärzte vor der Erstvorstellung in einer spezialisierten Schmerzklinik [20]. Häufig bekommen Patienten dabei unterschiedliche Erklärungsmodelle ihrer Schmerzerkrankung präsentiert. Zusätzlich steigt die Zahl der Patienten, die sich im Internet durch teilweise unseriöse Quellen über ihre Schmerzerkrankung informieren. Mit dieser erlebten Unsicherheit wird dem Schmerzpatienten dann im Rahmen der multimodalen Schmerztherapie ein neues Modell präsentiert, welches häufig einen ganz anderen Ansatz als bisher verfolgt und teilweise den morphologischen Veränderungen eine untergeordnete Rolle zuweist. Dies kann nach eigenen Beobachtungen die Unsicherheit weiter verstärken. Der Einsatz interventioneller Verfahren im Rahmen einer multimodalen Therapie kann hier sinnvoll sein, um dem Patienten, eingebettet in ein edukatives Konzept, das Ausmaß des Einflusses der morphologischen Veränderungen zu verdeutlichen. Das interventionelle Verfahren zeigt dem Patienten dabei, dass unter anderem auch eine morphologische Komponente seiner Schmerzerkrankung existiert und dass diese auch vorrübergehend „ausgeschaltet“ werden kann. Der edukative Ansatz stellt aber sicher, dass der Patient lernt, dass es sich dabei eben nur um eine Komponente unter mehreren handelt. Dadurch kann das Vertrauen in das multimodale Therapiekonzept und die Behandler gestärkt und damit die Compliance positiv beeinflusst werden. Aus der Sichtweise eines salutogenetischen Konzeptes nach Antonovsky wird die Schmerzerkrankung dadurch verstehbarer und handhabbarer.

Das zweite wichtige Argument für den Einsatz interventioneller Verfahren in der multimodalen Therapie ist der häufig vorliegende Konflikt zwischen dem Ziel der Aktivierung und der dadurch häufig hervorgerufenen Schmerzverstärkung. Die initiale Schmerzverstärkung im Rahmen einer Steigerung der körperlichen Aktivität wird seitens der Patienten häufig als sehr belastend empfunden, stellt das Arzt-Patienten-Verhältnis vor eine schwere Zerreißprobe und kann sich negativ auf die Compliance auswirken. Der vorrübergehende Einsatz von Analgetika kann hier genauso helfen wie die nachgewiesene zeitlich begrenzte Schmerzlinderung durch interventionelle Verfahren. In dem ja zumindest einige Tage bis wenige Wochen anhaltenden Stadium der Schmerzlinderung kann der circulus vitiosus aus schmerzbedingter Inaktivität und dadurch bedingter weiterer Schmerzzunahme effektiv durchbrochen werden. Der Schmerzpatient kann dadurch neues Selbstvertrauen aufbauen und kann nachhaltig für einen aktivierenden Therapieansatz motiviert werden. Dabei können interventionelle Verfahren auch dann eingesetzt werden, wenn beispielsweise zeitgleich Opioide reduziert werden sollen oder wegen internistischer Komorbiditäten andere orale Analgetika nicht zur Verfügung stehen.

Das dritte Argument für die Verwendung interventioneller Verfahren ist die Möglichkeit zur differenzierteren Diagnostik. In Ergänzung zur orthopädisch-manualmedizinischen Untersuchung und zur bildgebenden sowie elektrophysiologischen Diagnostik kann durch den gezielten Einsatz von Facettengelenksblockaden, ISG-Blockaden oder selektiven Nervenwurzelblockaden (Abb. 4, 5) eine genauere Zuordnung der Schmerzen zu einem morphologischen Korrelat nachgewiesen werden oder auch ein solcher Zusammenhang ausgeschlossen werden [11]. Vor allem für die Facettengelenksblockade finden sich in der Literatur Belege für die diagnostische Genauigkeit [7]. Dieses, häufig auch „Stufendiagnostik“ beschriebene Vorgehen, lässt sich sehr gut in die multimodal-nichtoperativen Komplextherapie des Bewegungssystems, aber unter Umständen auch in die Multimodale Schmerztherapie integrieren. Gerade wenn der Einfluss der in der bildgebenden Diagnostik gezeigten morphologischen Veränderungen auf die Schmerzerkrankung unklar ist und vielleicht sogar schon operative Therapieoptionen im Vorfeld diskutiert wurden.

Fazit und Ausblick

Ein wissenschaftlicher Beweis des Vorteils interventioneller Verfahren als Bestandteil einer multimodalen Schmerztherapie oder einer Komplextherapie des Bewegungssystems steht aus. Die hier dargestellte Argumentation soll jedoch verdeutlichen, dass die eingangs erwähnten Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission „Multimodale Schmerztherapie“ der Deutschen Schmerzgesellschaft und der ANOA nachvollziehbar sind. Der Einsatz interventioneller Verfahren wird so auch in den bereits oben erwähnten Leitlinien, insbesondere der Leitlinie zum spezifischen Kreuzschmerz explizit als Therapieoption genannt [2].

So wird auch von den Autoren dieses Beitrags eine klare Empfehlung zur Einbettung interventioneller Verfahren in eine multimodale Schmerztherapie oder Komplexbehandlung des Bewegungssystems gegeben. Voraussetzung ist die zurückhaltende Indikationsstellung, die sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile im interdisziplinären Team und die Beachtung der Handlungsempfehlungen und Kontraindikationen.

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