Übersichtsarbeiten - OUP 05/2017

Karl IV, der bekannteste Patient mit einer spinalen Verletzung

Marcela Lippert-Grüner1,2 Stephan Grüner 3

Zusammenfassung: Karl IV. war einer der bedeutsamsten europäischen Herrscher im Mittelalter.
Weitgehend unbekannt ist der Umstand, dass es beinahe gar nicht dazu gekommen wäre, da er mit 34 Jahren eine lebensbedrohliche Verletzung der HWS und des Rückenmarks erlitt, von der er sich aber relativ gut erholte. Dieser Artikel beleuchtet aus medizinhistorischer Sicht die
Verletzung und die Rehabilitation – auch im Vergleich mit heutigen Standards.

Schlüsselwörter: Karl IV, Rehabilitation, spinale Verletzung

Zitierweise
Lippert-Grüner M, Grüner S: Karl IV, der bekannteste Patient mit
einer spinalen Verletzung.
OUP 2017; 5: 289–292 DOI 10.3238/oup.2017.0289–0292

Summary: Charles IV. was one of the most important European ruler in Middle Ages. Quite unknown is the fact, that this almost did not happen based on a life-threatening injury of the cervica spine and spinal cord at the age of 34 years, from which he recovered relatively well. This article illuminates the injury and the rehabilitation from a medical-historical perspective – even in comparison with today‘s standards.

Keywords: Charles IV, rehabilitation, spinal injury

Zitierweise
Lippert-Grüner M, Grüner S: Charles IV, the most famous patient with a spinal injury.
OUP 2017; 5: 289–292 DOI 10.3238/oup.2017.0289–0292

Einleitung

Karl IV. wurde vor 701 Jahren am 14.05.1316 in Prag geboren. Er wurde 1346 zum römisch-deutschen König, 1347 zum König von Böhmen, 1355 im Januar zum König von Italien und im April zum römisch-deutschen Kaiser und später 1365 auch noch zum König von Burgund gekrönt und starb ebenfalls in Prag im Alter von 62 Jahren am 29.11.1378 an einer Pneumonie in Folge einer Schenkelhalsfraktur [1, 2, 3]. Anlässlich des 700. Geburtstags 2016 wurde über die Persönlichkeit von Karl IV. sehr viel geschrieben, so erschien eine weitere kommentierte Übersetzung seiner Autobiografie, deren Entstehungsdatum von dem Übersetzer/Autor mit Herbst 1350 und später angegeben wird [4], und die englische Ausgabe einer medizinisch-anthropologischen Untersuchung 1978 seines Skelettes anlässlich des 600. Todesjahres [4]. Sein Vater Johann von Luxemburg war ebenfalls König von Böhmen, seine Mutter Elisabeth entstammte sowohl dem alten böhmischen Königsgeschlecht der Premysliden als auch dem Haus Habsburg [5]. Er übernahm schon einige Jahre vor seiner offiziellen Krönung zum König von Böhmen die Regierungsgeschäfte, wozu sein Vater durch eine Erblindung nicht mehr im vollen Umfang in der Lage war. In und um Prag gingen der Bau des Veitsdoms, der Bau der Karlsbrücke und auch der Bau der Burg Karlstein in der Nähe von Prag auf Karl IV. zurück, ferner gründete er 1348 die erste und nach ihm benannte Universität nördlich der Alpen [6], gleichzeitig auch die erste deutsche Universität. Zeit seines Lebens war er in Deutschland und Europa auch ein sehr erfolgreicher Machtpolitiker, sein direktes Herrschaftsgebiet aus seinem Stammhaus umfasste die Gebiete des heutigen Tschechien, der Slowakei, Schlesien, Teile von Brandenburg, Luxemburg sowie die Eifel und Teile von Flandern.

Karl IV. als junger Mann aus medizinhistorischer Sicht

Medizinhistorisch interessant ist, dass er ab Herbst 1350 im Alter von 34 Jahren, also als König von Böhmen und römisch-deutscher König, aber noch nicht als König von Italien und deutscher Kaiser, an einer geheimnisvollen Krankheit litt. Bis zu diesem Zeitpunkt beschrieben ihn die historischen Quellen als einen sehr gut gebauten athletischen Mann, der körperlich sehr leistungsfähig war und zu dessen großen Vorlieben der Kampf auf Ritterturnieren (wie auch bei seinem Vater) gehörte. Die sehr gute körperliche Verfassung dieser Befunde haben anthropologische Studien seines gut erhaltenen Skeletts gezeigt [4]. Für ihn war es nicht so einfach, an den Turnieren teilzunehmen, da er sich als König und künftiger Kaiser sehr würdevoll und verantwortungsvoll verhalten musste – auch angesichts seines Ziels der angestrebten Kaiserkrone. 1347 wurde er hierfür in einem Brief des damaligen Papstes Clemens VI. gerügt – anscheinend nicht so wirkungsvoll, da er 3 Jahre später 1350 an dem Turnier aktiv teilnahm.

Seine Verletzung und sein Gesundheitszustand waren in den damaligen europäischen politischen und religiösen Zentren wohl bekannt, im Herbst 1350 bezeichnete Papst Clemens VI. in einem Brief seine Krankheit als „invalitude et discrasia“ (Dyskrasie: Fehlregulation der 4 Säfte in der Humoralpathologie) – eine Bezeichnung, welche nicht offenlegte, um was für eine Erkrankung es sich handelte und diese den Anschein eines internistischen Leidens erweckte. Über Jahrhunderte waren die genaue Art der Erkrankung und deren Ursache nicht bekannt. Es gab einige Hypothesen, als Symptomatik ist eine Lähmung aller 4 Extremitäten aus den Chroniken bekannt. Eine erste Hypothese lautete auf eine Vergiftung. Zunächst wurden wohl auch einige potenzielle Täter verhaftet, aber dann freigelassen, nachdem die damalige zweite Ehefrau von Karl IV, Anna von der Pfalz, zugab, dass sie ihm einen Liebestrank gereicht habe, um ihn noch enger an sich zu binden. Dieser Trank sei ohne ihr Wissen vergiftet gewesen, durch die Unwissenheit sei ihr verziehen und niemand bestraft worden. Anna von der Pfalz wurde 1349 nach dem Tod der ersten Ehefrau Blanca Margarete von Valois 1348 [5] seine zweite von insgesamt 4 Ehefrauen; sie starb 1353. Das Fehlen jeglicher Bestrafungen oder Nennung von Tätern lässt diese Hypothese eher unwahrscheinlich erscheinen.

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