Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018

Kinematische Knieendoprothetik

Die Wiederherstellung der natürlichen Spannung des Kniegelenks bei 0° Flexion erfolgt nach folgendem Algorithmus:

  • 1. Entfernung aller Osteophyten
  • 2. Durchführung der femoralen und tibialen Schnitte
  • 3. Streckung des Kniegelenks bis 0° mit Probekomponenten
  • 4. Anpassung des proximalen Tibiaschnitts und der Dicke der tibialen Komponente bis die varisch-valgische Abweichung sowie die Innen- und Außenrotation minimal sind [15].

Die Wiederherstellung der natürlichen Spannung des Kniegelenks in 90° Flexion erfolgt nach folgendem Algorithmus:

  • 1. Beugung des Kniegelenks bis 90° bei der Eröffnung des Kniegelenks
  • 2. Messung des Abstands vom Vorderrand der Tibia zur distalen, medialen Femurkondyle
  • 3. Durchführung der femoralen und tibialen Schnitte
  • 4. Anpassung des Slopes und der Dicke der tibialen Komponente, bis die Innen- und Außenrotation der Tibia bei 90° Flexion ca. 14° erreicht und bis der Abstand vom Vorderrand der Tibia zur distalen, medialen Femurkondyle mit Probekomponenten dem Abstand gleicht, der bei der Eröffnung des Kniegelenks gemessen wurde (Abb. 4) [15].

Die Wiederherstellung der natürlichen Orientierung der Gelenklinie und der Beinachse sowie der natürlichen Spannung des Kniegelenks durch die kinematische Knieendoprothetik könnte begründen, warum 2 Studien zeigen konnten, dass Patienten mit kinematischer Knieendoprothetik geringeren Schmerz, eine bessere Funktion, einen höheren Bewegungsumfang und ein sich „normaler“ anfühlendes Knie hatten als Patienten mit mechanischer Knieendoprothetik [4, 21].

Technik der kinematischen Ausrichtung der femoralen Komponente

Die kinematische Ausrichtung positioniert die femorale Komponente in der Orientierung und Höhe der natürlichen distalen (0°) und hinteren (90°) Gelenklinie. Als Erstes wird der Abstand vom Vorderrand der Tibia zur distalen, medialen Femurkondyle bei 90° Flexion gemessen (Abb. 4). Der gemessene Wert wird um 2 mm subtrahiert, wenn eine Knorpelglatze am distalen medialen Femurkondylus besteht. Sobald das Kniegelenk freipräpariert ist, wird der Knorpelverlust an den distalen Femurkondylen beurteilt. Falls ein partieller Knorpelverlust besteht, wird mit einer Ringkurette der Knorpel vollständig entfernt. Die Flexion-Extension der femoralen Komponente wird durch das 8–10 cm tiefe Einbringen eines Führungsstabes in das Femur bestimmt. Das Femur wird hierfür parallel zu seiner Vorderseite und senkrecht zur distalen Gelenkfläche aufgebohrt (Abb. 5). Varus-Valgus und proximal-distale Translation werden durch distale Referenzierung bestimmt. Hierbei werden bei vorhandener medialer Knorpelglatze in einem varischen Knie distal-medial und bei vorhandener lateraler Knorpelglatze in einem valgischen Knie distal-lateral 2 mm weniger reseziert. Innen- und Außenrotation sowie antero-posteriore Translation werden durch posteriore Referenzierung bestimmt. Eine posteriore Rotationslehre wird mit 0° an die hinteren Femurkondylen angelegt (Abb. 6). Die Position des Schneideblocks bedarf selten einer Anpassung, da in den meisten varischen oder valgischen Kniegelenken selten ein höher gradiger Knorpeldefekt besteht. So gut wie nie muss Knochenverlust im Bereich von 0–90° Flexion korrigiert werden [15, 20].

Die intraoperative Bestätigung, dass die femorale Komponente kinematisch eingesetzt und dass die natürliche Gelenklinie wiederhergestellt wurden, bedarf eines weiteren chirurgischen Schritts. Dieser Schritt bestätigt, dass die Dicke der Knochenresektate der distalen und posterioren Femurkondylen – nach Kompensation für Knorpelverlust und Dicke des Sägeblatts – der Dicke der Kondylen der femoralen Komponente entsprechen (Abb. 6). Weder die mechanische Achse des Femurs noch der intramedulläre Kanal, die transepikondyläre Achse oder die Whiteside-Linie werden für die kinematische Ausrichtung der femoralen Komponente zur Orientierung herangezogen [6, 7, 9].

Technik der kinematischen Ausrichtung der tibialen Komponente

Die kinematische Knieendoprothetik positioniert die tibiale Komponente in natürlicher Innen-Außenrotation, Flexion-Extension und proximal-distaler Translation sowie natürlichem Varus-Valgus (Abb. 7 und 8) [15, 23].

Als Erstes wird die Innen-Außenrotation der tibialen Komponente bestimmt. Die Achse der elliptischen Form der lateralen tibialen Gelenkfläche wird identifiziert und eingezeichnet (Abb. 7). Mithilfe einer Schablone werden dann 2 Bohrlöcher parallel zur gezeichneten Achse in das mediale, tibiale Plateau gebohrt. Nach der Tibiaresektion wird die antero-posteriore Achse der tibialen Komponente parallel zu diesen Bohrlöchern ausgerichtet. Im Gegenteil zur mechanischen Knieendoprothetik wird bei der kinematischen Knieendoprothetik die mediale Grenze oder das mediale Drittel der Tuberositas tibiae nicht zur Orientierung genützt, da die Ausrichtung der tibialen Komponente anhand der medialen Grenze oder anhand des mittleren Drittels der Tuberositas tibiae die tibiale Komponente in 70 % bzw. 86 % der Patienten um mindestens 5° abweichend von der Flexions-Extensions-Ebene implantiert hätte [11].

Die Reproduzierbarkeit der innen- und außenrotatorischen Ausrichtung mittels Achse der elliptisch geformten lateralen tibialen Gelenkfläche wurde in 77 Patienten, die mit kinematischer Knieendoprothetik behandelt wurden, untersucht. Die Untersuchung zeigte, dass die antero-posteriore Achse der tibialen Komponente um 1° (Standardabweichung 5,4°) von der Flexions-Extensions-Ebene des Kniegelenks innenrotiert war [22].

Als Nächstes wird eine extramedulläre, tibiale Sägelehre am Sprunggelenk fixiert und eine Resektionssichel in den Sägeschlitz eingebracht (Abb. 8). Varus-Valgus der tibialen Komponente wird durch Änderung des Schiebers am Sprunggelenk eingestellt, bis der Sägeschlitz parallel zur Gelenkfläche ist. Visuell wird Knochen- und Knorpelverlust kompensiert. Der Slope der tibialen Komponente wird durch Änderung des Sägeschlitzes eingestellt, bis die Resektionssichel parallel zum Slope der medialen Gelenkfläche ist.

Unter Schutz des hinteren Kreuzbands wird eine konservative Tibia-Resektion durchgeführt. Die Resektion sollte so konservativ wie möglich sein, um die anschließende Balancierung mit möglicher weiterer Tibia-Resektion zu ermöglichen.

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