Übersichtsarbeiten - OUP 04/2018

Kinematische Knieendoprothetik

Die intraoperative Bestätigung, dass die tibiale Komponente kinematisch ausgerichtet ist und die natürliche tibiale Gelenklinie wiederhergestellt wurde, erfordert 4 Schritte. Im 1. Schritt gilt es zu bestätigen, dass alle femoralen und tibialen Osteophyten entfernt wurden, damit die Ruhespannung der Bänder wiederhergestellt ist. Im 2. Schritt muss bestätigt werden, dass die antero-posteriore Achse der tibialen Komponente parallel zur Achse der elliptisch geformten lateralen, tibialen Gelenkfläche liegt. Der 3. Schritt ist die Anwendung von Probekomponenten und Streckung des Kniegelenks. In Streckung wird bestätigt, dass das Kniegelenk medial und lateral stabil ist und visuell die natürliche Gelenklinie und Beinachse wiederhergestellt wurde. Der 4. Schritt ist die Flexion des Kniegelenks auf 90°, um zu bestätigen, dass der Abstand vom Vorderrand der Tibia zur distalen, medialen Femurkondyle mit Probekomponenten dem Abstand gleicht, der bei der Eröffnung des Kniegelenks gemessen wurde, und dass der visuell gemessene innen- und außenrotatorische Bewegungsumfang ungefähr 14° beträgt (Abb. 4) [15, 23].

Wenn eine dieser Bedingungen nicht erfüllt ist, sollte der in Abbildung 9 aufgeführte Algorithmus schrittweise angewandt werden. Das grundlegende Prinzip dieses Algorithmus ist die präzise Änderung der Schnittführung der
Tibia und nicht des Femurs [9, 11, 15, 23].

Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen
mechanischer und kinematischer Knieendoprothetik

Eine Multicenter-Studie zeigte, dass die mechanische Knieendoprothetik mit patientenspezifischem und konventionellem Instrumentarium mehr Patienten mit varischer Abweichung von der mechanischen Beinachse hatten als die kinematische Knieendoprothetik mit patientenspezifischem Instrumentarium [25]. Eine Level 1 randomisierte Studie zeigte, dass der mechanische femoro-tibiale Winkel (Differenz 0,3°; p = 0,693) und der anatomische femoro-tibiale Winkel (Differenz 0,8°; p = 0,131) zwischen mechanischer und kinematischer Knieendoprothetik ähnlich waren. In der Patientengruppe, behandelt mit kinematischer Knieendoprothetik, wurde die femorale Komponente im Vergleich zur Patientengruppe, behandelt mit mechanischer Knieendoprothetik, in 2,4° mehr valgus (p < 0,0001) und die tibiale Komponente in 2,3° mehr varus (p < 0,0001) eingesetzt [5].

Zahlreiche Studien schlagen vor, dass die durchschnittlichen 2° Varus (7° varus bis 7° Valgus) der kinematisch implantierten tibialen Komponente keinen Einfluss auf die Langlebigkeit der Prothese haben. Eine Studie über mechanische Knieendoprothetik berichtet, dass ein durchschnittlich 3-gradiger Varus (> 7° varus bis 5° Valgus) mit einer hohen Überlebensrate von 96 % 10 Jahre postoperativ verbunden war [19]. 2 Fallstudien mit je über 200 Patienten, behandelt mit kinematischen Knieendoprothetik, zeigen eine geringe Revisionsrate 3 und 6 Jahre postoperativ sowie eine hohe postoperative Funktion, gemessen mittels Oxford-Knee-Score. Nach 3 und 6 Jahren waren 75 % und 80 % der tibialen Komponenten, 33 % und 31 % der Kniegelenke sowie 6 % und 7 % der Beinachsen im Varus. Die Revisionsrate nach 3 und 6 Jahren betrug 0 % und 0,5 %. Der gemessene Oxford-Knee-Score (48 Punkte ist die maximal beste Punktzahl) lag im Durchschnitt bei 42 und 43 Punkten [9, 13]. Eine andere Studie postuliert, dass der Grund für die gute Überlebensrate der Implantate nach kinematischer Knieendoprothetik die Ausrichtung von 89 % der Implantate innerhalb von 3° parallel zum Boden sei. Die Messung der Parallelität wurde an stehenden Ganzbeinaufnahmen im Einbeinstand durchgeführt, was die funktionelle Belastung der Prothese simuliert [16]. Eine weitere Studie zeigt, dass die Ausrichtung der Komponenten nach kinematischer Knieendoprothetik in 97 % die natürliche, pre-arthrotische Gelenklinie der Tibia, in 97 % die natürliche pre-arthrotische Gelenklinie des Femurs und in 95 % die natürliche Beinachse wiederherstellt [24]. Des Weiteren wurde gezeigt, dass die varische Ausrichtung der tibialen Komponente und der Beinachse nicht zu erhöhten Krafteinwirkungen im medialen Gelenkspalt führt [29]. Die Befürchtung, dass die kinematische Knieendoprothetik zu einer hohen Revisionsrate führt und die Funktion negativ beeinflusst, konnte bisher nicht bestätigt werden [13]. Weitere Studien mit längerem Follow-up sind jedoch notwendig, um einen definitiven Vergleich der Überlebensrate zwischen mechanischer und kinematischer Knieendoprothetik zu ermöglichen.

Zusammenfassung

Kinematische Knieendoprothetik resultiert in unseren Händen in einer besseren Funktion und vergleichbaren Überlebensraten wie mechanische Knieendoprothetik nach 3 und 6 Jahren. Die Messung und Anpassung der Dicke der distalen und posterioren, femoralen Kondylenresektion mit Inbezugnahme des Knorpeldefekts und der Dicke des Sägeblatts an die Dicke der distalen und posterioren Kondylen der femoralen Komponente bestätigt, dass die femorale Komponente kinematisch implantiert wurde.

Die folgenden 3 Punkte stellen die natürliche Gelenklinie sowie die normale Spannung der Weichteilstrukturen wieder her:

  • 1. Ausrichtung der tibialen Komponente parallel zur Längsachse der lateralen tibialen Gelenkfläche
  • 2. Anpassung des Varus-Valgus-Winkels der tibialen Schnittfläche sowie Anpassung der Dicke der tibialen Komponente bis das Kniegelenk in Streckung medial und lateral stabil ist
  • 3. Beugung des Kniegelenks auf 90° und Anpassung des Slopes und der Dicke der tibialen Komponente bis der Abstand vom Vorderrand der Tibia zur distalen, medialen Femurkondyle mit Probekomponenten dem Abstand gleicht, der bei der Eröffnung des Kniegelenks gemessen wurde, und bis der innen- und außenrotatorische Bewegungsumfang ungefähr 14° beträgt.
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