Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2014

Knorpelläsionen im Kniegelenk – aktueller Stand in Diagnostik und Therapie

Am Anfang der Diagnostik stehen die ausführliche Anamnese sowie die körperliche Untersuchung des Patienten mit einer Analyse des Gangbilds. Da sich der Knorpeldefekt klinisch oftmals sehr variabel präsentiert und nur einen Teil einer Kombinationspathologie darstellen kann, ist bei der Anamneseerhebung und klinischen Untersuchung insbesondere auf die Beinachse, Meniskuszeichen und die ligamentäre Gelenkführung zu achten, neben unspezifischen Symptomen wie einen Gelenkerguss, Ruhe- und Belastungsschmerzen, Krepitationen und die Kniegelenkbeweglichkeit.

Als Basisdiagnostik werden Röntgenaufnahmen des betroffenen Kniegelenks in 3 Ebenen (a.p.-Aufnahme, seitliche Aufnahme und Patella-Tangentialaufnahme) sowie eine Beinganzaufnahme zur Beurteilung von Beinachsenfehlstellungen durchgeführt. Goldstandard in der Diagnostik von Knorpelläsionen stellt jedoch das MRT dar (Abb. 1–2). Insbesondere knorpelspezifische Sequenzen, wie die Fast spin echo-Sequenz (FSE), die dreidimensionale Fat suppressed gradient echo-Sequenz (GRE) und die dGEMRIC-Methode (delayed Gadolinium-enhanced MRI of Cartilage), machen eine Darstellung des Knorpeldefekts in Morphologie und Größe in vivo möglich [6]. Darüber hinaus kann mittels spezifischer Scoresysteme wie dem Mocart-Score (Magnetic Resonance Observation of Cartilage Repair Tissue) eine qualitative Bewertung des Knorpelregenerats nach erfolgter Knorpeltherapie durchgeführt werden [7].

Bei der Klassifikation von Knorpeldefekten dient das auf der Outerbridge-Klassifikation [8] aufbauende Klassifikationssystem der ICRS als Goldstandard [9]. Die ICRS-Klassifikation basiert auf dem arthroskopischen Befund und teilt die Knorpeldefekte nach der entsprechenden Läsionstiefe ein. Es lassen sich dadurch spezifische Therapiealgorithmen ableiten, die im Folgenden kurz dargestellt werden sollen.

Therapie

In die Therapiefindung gehen zahlreiche Überlegungen mit ein, um für den Patienten eine individualisierte Behandlung möglich machen zu können und den Ansprüchen des jeweiligen Patienten gerecht zu werden. Neben der Größe, Tiefe, Morphologie des Defekts und des umliegenden (Containment) und korrespondierenden Knorpelgewebes ist dessen Lokalisation sowie das Vorhandensein von Begleitpathologien wichtig für die Therapiefindung. Als derzeitige Indikationen zur Knorpeltherapie zählen Kriterien wie Schmerz, eine Funktionseinschränkung, ein radiologisch oder arthroskopisch dargestellter Knorpeldefekt sowie die Intention, das Voranschreiten einer Osteoarthrose zu verhindern. Letzteres ist in der aktuellen Literatur noch nicht ausreichend wissenschaftlich gesichert [10–13]. In die Therapieentscheidung müssen stets auch mögliche Risikofaktoren wie Nikotinabusus sowie die Nachbehandlung und Compliance des Patienten einbezogen werden, da diese das Ergebnis eines knorpelchirurgischen Therapieverfahrens beeinflussen können [14].

ICRS Grad I-Defekte werden konservativ mittels Bewegungstherapie, Kräftigung des Musculus quadriceps femoris sowie bedarfsweiser Einnahme eines nicht-steroidalen Antirheumatikums unter Magenprotektion behandelt.

Bei ICRS Grad II-Defekten mit einer Läsionstiefe unter 50 % des intakten longitudinalen Knorpeldurchmessers ist in der Regel das Débridement das operative Verfahren der Wahl. Mit dem Débridement können Detritus und Entzündungsmediatoren arthroskopisch im Kniegelenk reduziert und oberflächliche Knorpelstrukturen stabilisiert sowie geglättet werden und damit ein stabiler Knorpelrand (Containment) geschaffen werden [15]. Das Débridement kann als vorbereitende Maßnahme für eine weitergehende Versorgung fungieren. Eine reine arthroskopische Lavage mit Knorpelglättung zeigte in der prospektiv randomisierten Studie von Moseley et al. allerdings nur ernüchternde Ergebnisse und sollte als alleinige Maßnahme keine Indikation darstellen [16]. Vorteile des arthroskopisch durchführbaren Débridements sind ein früher Rehabilitationsbeginn unmittelbar postoperativ sowie eine Symptomverbesserung von 45 % in den ersten 3 Jahren [17]. Nachteile des Débridements sind die oftmals nur kurzzeitige Wirkung, die fehlende Induktion eines Knorpelregenerats sowie ein unzureichender therapeutischer Effekt bei größeren Defekten [16].

Bei ICRS Grad III-Defekten , d.h. einer Knorpelläsionstiefe von über 50 %, ist bei einem Knorpelschaden von weniger als 2 cm2 die Mikrofrakturierung ein vermeintlich einfaches und einzeitiges, knochenmarkstimulierendes Verfahren, um ein fibrocartilaginäres Ersatzgewebe in der Folge durch Durchbrechung der Grenzlamelle zu induzieren [18–20] (Abb. 3). Nachteile dieses knorpeltherapeutischen Verfahrens sind zum einen der induzierte, instabile „Superclot“, der eine lange Nachbehandlung mit einer bis zu 3 Monate andauernden Entlastung erfordert sowie eine geringe Belastbarkeit des aus Kollagen Typ I bestehenden Knorpelregenerats, das nach 24 Monaten zunehmend degeneriert [21]. Für die Rehabilitation entscheidend ist die Bewegungstherapie des betroffenen Kniegelenks, insbesondere mittels einer Bewegungsschiene. In-vitro- und In-vivo-Studien geben einen Hinweis darauf, dass dadurch die Proteoglykansynthese gesteigert werden könnte [22]. Nachteile dieser Therapieoption sind die verminderte Stabilität, inkomplette Defektfüllung, sekundäre Delaminierung und das Risiko der Bildung von sekundären Verknöcherungen (intraläsionale Osteophyten) [23]. Als eine Weiterentwicklung der Mikrofrakturierung ist ihre Kombination mit einer Kollagen-I/III-Membran (z.B. Chondro-Gide) zu nennen, dem sogenannten AMIC-Verfahren (autologous matrix-induced chondrogenesis), das einzeitig durchgeführt werden kann [24]. Die Kollagenmembran wird dabei mittels Fibrinkleber oder einer Vicryl-Naht an den umgebenden Knorpel fixiert.

Liegt ein ICRS Grad III-Defekt mit einer Knorpeldefektgröße größer 2–4 cm2 vor, wird derzeit die ACT als therapeutisches Verfahren der Wahl empfohlen (Abb. 8). Durch die ACT wird ein hyalin-ähnliches Knorpelregenerat induziert, wodurch bei Defekten über 2 cm2 bessere klinische Ergebnisse als durch die Mikrofrakturierung erreicht werden. Insbesondere ab dem 2. postoperativen Jahr ist die ACT der Mikrofrakturierung als deutlich überlegen anzusehen [25]. Nachteile der ACT sind neben einem zweizeitigen Operationsverfahren die hohen Kosten. Die Verfahren der 4. Generation können zumeist über eine Mini-Arthrotomie des Kniegelenks implantiert werden. Die ACT der 5. Generation (Abb. 8), die arthroskopisch in Form von in situ polymerisierbaren, dreidimensionalen Albumin-Hyaluronsäuregelen anwendbar ist, ermöglicht zumeist ein rein arthroskopisches Vorgehen. Inwieweit hierüber eine vergleichbare Primärstabilität im Vergleich zu den Verfahren der 4. Generation generiert werden kann, ist wissenschaftlich noch nicht ausreichend validiert.

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