Übersichtsarbeiten - OUP 05/2015

Körperliches Training: Generator oder Therapieoption bei Arthrose?

K. Baum1

Zusammenfassung: Sportliche Aktivitäten können vor allem dann die Wahrscheinlichkeit einer Arthrose erhöhen, wenn hohe intraartikuläre Spitzenkräfte extrem häufig im selben Gelenkwinkel auftreten (z.B. Kniegelenk des Langstreckenläufers) oder wenn das umgebende Weichteilgewebe seriösen Verletzungen ausgesetzt ist (z.B. Sportarten mit Gegnerkontakt). Dagegen wirkt ein gezieltes Training sowohl präventiv als auch rehabilitativ. Drei Mechanismen sind dafür primär verantwortlich: unmittelbar eine verbesserte Knorpelqualität und eine erhöhte muskuläre Gelenkstabilität sowie indirekt eine Reduktion des intestinalen Fettgewebes und damit eine geringere systemische Konzentration inflammatorischer Substanzen. Die bei Arthrose schmerzreduzierende Wirkung und die erhöhte Funktionalität durch Training sind beim Krafttraining am stärksten ausgeprägt.

Schlüsselwörter: Arthrose, körperliche Aktivität, Training,
Prävention, Rehabilitation

Zitierweise
Baum K: Körperliches Training: Generator oder Therapieoption bei Arthrose?
OUP 2015; 05: 237–239 DOI 10.3238/oup.2015.0237–0239

Summary: Sports may enhance the probability of osteoarthritis due to 2 main effects: High intraarticular peak forces within a given articular angle (e.g. knee of long distance runners) and serious traumata of surrounding soft tissues (e.g. sports with opponents). In contrast, a specific training is effective both in prevention and rehabilitation of osteoarthritis, mainly caused by following effects: Increased cartilage quality due to physical loads, improved muscular stabilization, and reduced systemic low-grade inflammation. In particular, strength training reduces pain sensations and enhances functionality of arthritic joints.

Keywords: Osteoarthritis, physical activities, training,
prevention, rehabilitation

Citation
Baum K: Physical activities: Origin or therapeutic tool of osteoarthritis? OUP 2015; 05: 237–239 DOI 10.3238/oup.2015.0237–0239

Ersetzt man den Begriff Arthrose durch den umgangssprachlichen Begriff Gelenkverschleiß, dann liegt die Schlussfolgerung nahe, dass körperliche Aktivitäten grundsätzlich als Arthrosegenerator einzustufen sind. Im Umkehrschluss müsste die Nichtbelastung eines Gelenks degenerativen Knorpelveränderungen vorbeugen. Auf den ersten Blick sprechen 2 Untersuchungen an ehemaligen Profisportlern für solche Thesen: Handballprofis haben nach ihrer Karriere eine 4-fach erhöhte Inzidenz für Hüftarthrose im Vergleich zu gleichaltrigen Kontrollen ohne leistungssportlichen Hintergrund [1]. Vergleichbares gilt für ehemalige Fußballprofis [2]. Bei beiden Studien wurde jedoch nicht bzw. nur unzureichend zwischen sportbedingt höherer Belastung auf das Gelenk und verletzungsinduzierter Knorpeldegeneration unterschieden. Ein differenzierteres Bild ergeben die Daten von Tveit et al. [3], die mit einer beeindruckenden Anzahl von über 700 ehemaligen Spitzenathleten aus verschiedenen Disziplinen und über 1300 Kontrollen erhoben wurden. Demnach scheint Arthrose bei Sportlern in erster Linie in den Gelenken aufzutreten, die extrem häufig in ein und derselben Winkelstellung hohen Spitzenkräften ausgesetzt waren oder deren Weichteilumgebung im Verlauf der Karriere seriös verletzt war. Auch die Ergebnisse von Fitzgerald und McLatchie [4] bei Gewichthebern, die keine erhöhte Prävalenz im Kniegelenk zeigten, lassen die Mehrbelastung als primären Arthroseauslöser unwahrscheinlich erscheinen.

Es ist bekannt, dass Arthrose häufig durch die nicht achsengerechte Belastung eines Gelenks entsteht. Neben angeborenen Fehlstellungen wie der Varus- oder Valgusstellung im Kniegelenk resultieren solche Fehlbelastung auch durch muskuläre Defizite, die eine anatomisch korrekte Gelenkführung erschweren oder unmöglich machen. Eine durch körperliches Training gut ausgebildete Muskulatur wirkt demnach gelenkstabilisierend und damit präventiv.

Körperliche Aktivitäten setzen darüber hinaus an 2 weiteren Punkten präventiv bzw. rehabilitativ an, die lange Zeit vollkommen unbeachtet blieben. Denn bis vor wenigen Jahren lag der Fokus ausschließlich auf den anatomischen Eigenschaften des Knorpels. Hierbei hat sich in allen bisherigen Untersuchungen bestätigt, dass eine Reduktion der Knorpeldicke irreversibel ist [5]. Erst in jüngerer Zeit kam es zu einem Paradigmenwechsel, der die biochemischen Eigenschaften des Knorpels in die Pathogenese der Arthrose mit einbezog [6]. Denn erst das Zusammenspiel zwischen kollagenem Grundgerüst und den dazwischen eingelagerten, stark quellbaren Proteoglykanen machen die viskoelastischen Eigenschaften eines gesunden Knorpels aus. So konnte sowohl in Querschnitt- als auch in Längsschnittstudien gezeigt werden, dass der Proteoglykangehalt und damit die Dämpfungsqualität des Knorpels durch ein körperliches Training gesteigert werden kann [6, 7]. Die Adaptation an die erhöhte Beanspruchung erfolgt bereits in einem relativ kurzen Zeitraum, in der Untersuchung von van Nickel [7] war bereits 10 Wochen nach Beginn eines Laufprogramms die Differenz zu einer inaktiven Kontrollgruppe signifikant.

Der zweite internistische Aspekt ist die systemisch niederschwellige Entzündung, bei der Zytokine und Bradykinine u.a. aus den Adipozyten des intestinalen Fettgewebes freigesetzt und als ein bedeutsamer Faktor der Arthrose-Pathogenese betrachtet werden [8]. Körperliche Aktivität hilft in Kombination mit der entsprechenden Ernährung, das intestinale Fettgewebe durch eine längerfristige hypokalorische Situation abzubauen und die systemische Konzentration inflammatorischer Substanzen zu reduzieren.

Den selbstverstärkenden Mechanismus der Arthrose-Entwicklung zeigt Abbildung 1. Infolge des Gelenkschmerzes kommt es häufig zur Schonung, die den Circulus vitiosus mit einer verschlechterten Knorpelqualität verstärkt. Gleichzeitig bildet sich die gelenkstabilisierende Muskulatur zurück, was mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Fehlbelastungen einhergeht. Außerdem sinkt durch die Inaktivität der Energieumsatz, was die Bildung von intestinalem Fettgewebe begünstigt. Körperliche Aktivitäten wirken dem Teufelskreis in allen 3 Punkten präventiv und rehabilitativ entgegen. Sowohl Krafttraining als auch ausdauerorientierte Aktivitäten erhöhen den Energiebedarf und erleichtern damit eine iso- bzw. hypokalorische Situation, wobei Ausdauersportarten den größeren Effekt haben. Für die Gelenke der unteren Extremität heben die meisten sportlichen Aktivitäten die Unterbelastung auf, für die Arme kommen neben einem gezielten Krafttraining Sportarten wie Nordic Walking, Skilanglauf, Schwimmen oder Rudern in Frage. Beim Aufbau der gelenkstabilisierenden Muskulatur ist das Krafttraining eindeutig im Vorteil.

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