Übersichtsarbeiten - OUP 09/2014

Kooperationen für die erfolgreiche Behandlung von Rheumapatienten – Versorgungspfade in der Rheumatologie

U. Schwokowski1

Zusammenfassung: Die Versorgung von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ist in Deutschland weiterhin nicht optimal. Durch eine zu geringe Anzahl von internistischen und orthopädischen Rheumatologen, verbunden mit langen Wartezeiten, gelangt der Patient häufig zu spät in die qualifizierte Behandlung. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Rheumatologen nicht wesentlich gesteigert werden. Für eine Verbesserung der Situation können „Versorgungspfade in der Rheumatologie“ sorgen, die sich durch ein interdisziplinäres Rheuma-Netzwerk von Hausärzten und Orthopäden/Unfallchirurgen auf Stufe I, rheumatologisch fortgebildeten Orthopäden (RhefO’s ) auf Stufe II sowie internistischen und orthopädischen Rheumatologen auf Stufe III auszeichnen. Eine Einbeziehung der Rheuma-Kliniken mit internistischer und orthopädischer Behandlung folgt in Stufe IV.

Durch frühe Erkennung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen, Selektion und frühe Diagnosestellung sowie Einleitung einer speziellen Therapie, wird es mithilfe der Orthopäden und Orthopädischen Rheumatologen im Rahmen der Versorgungspfade in der Rheumatologie gelingen, die rheumatologische Versorgungssituation in Deutschland deutlich zu verbessern. In einem in § 73 C SGB V festgelegten Strukturvertrag in Baden-Württemberg wird dieses Konzept seit Januar erfolgreich durchgeführt, in Schleswig Holstein werden Ärztenetze in Kürze ebenfalls mit dieser gezielten Versorgung folgen.

Schlüsselwörter: Versorgungsrealität Rheumatologie, verbesserte Versorgung, Versorgungspfade, interdisziplinäre Kooperation, Rheumanetze

Zitierweise
Schwokowski U. Kooperationen für die erfolgreiche Behandlung von Rheumapatienten – Versorgungspfade in der Rheumatologie.
OUP 2014; 9: 426–428 DOI 10.3238/oup.2014.0426–0428

Abstract: In Germany we still don’t have an optimal treatment of patients with inflammatory rheumatic diseases. Due to a small number of internistic and orthopaedic rheumatologists accompanied by long waiting times, patients often get a qualified treatment too late. In the next years the number of rheumatologists will not increase significantly. “Treatment pathways in rheumatology” could lead to an improvement of the situation, especially because of an interdisciplinary rheuma-network of general practitioners and orthopaedic/trauma surgeons at level I, orthopaedic surgeons with advanced training in rheumatology (RhefO´s) at level II as well as internistic and orthopaedic rhematologists at level III. The involvement of rheuma clinics with internistic and orthopaedic treatment follows at level IV.

Within the scope of “treatment pathways in rheumatology”, orthopaedic surgeons and orthopaedic rheumatologists will achieve a significant improvement of the rheumatologic treatment situation in Germany by means of an early identification of inflammatory rheumatic diseases, selection and early onset of diagnosis as well as initiating a special therapy. In a structural contract in Baden-Wuerttemberg (§ 73 C SGB V), this concept has been realized successfully in January 2014, in Schleswig-Holstein medical networks with a specific treatment will follow in short time.

Keywords: health care reality in rheumatology, improved treatment, treatment pathways, interdisciplinary cooperation,
rheumatology networks

Citation
Schwokowski U. Cooperations for a successful treatment in patients with rheumatoid arthritis – treatment pathways in rheumatology. OUP 2014; 9: 426–428 DOI 10.3238/oup.2014.0426–0428

Die Diagnostik und Therapie der entzündlich-rheumatischen Krankheiten hat in den letzten 10 Jahren einen durchgreifenden Wandel erfahren. Durch laborchemische (CCP-AK) und bildgebende Verfahren (Arthrosonografie/MRT) sowie erneuerter Klassifikationskriterien lässt sich die Diagnose früher stellen und sichern. Durch einen frühen Therapiebeginn (Hit hard and early!) sowie moderne Therapieregimes (DMARD’s und Biologika) lässt sich der Entzündungsvorgang bremsen und sehr häufig eine Remission erreichen. Es ist ein Zusammenhang nachzuweisen zwischen der Latenz von Krankheitsbeginn zu Therapiebeginn und dem späten Outcome. Vor diesem Hintergrund erhält sowohl die Frühdiagnostik als auch die Frühtherapie innerhalb von 3 Monaten im sog. Window of opportunity eine entscheidende Bedeutung [1].

Versorgungsrealität

Aktuell sind im Wesentlichen 3 Arztgruppen an der Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Krankheiten beteiligt: der Hausarzt, der internistische Rheumatologe und der Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie bzw. der Orthopädische Rheumatologe. Die Primärvorstellung von Patienten mit Beschwerden des Bewegungsapparats erfolgt in Deutschland meist beim Hausarzt oder Orthopäden. Bei Verdacht auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung wird dann die Überweisung zu einem internistischen Rheumatologen zur weiteren Diagnostik und Therapie angestrebt. Allerdings kommt es hier zu erheblichen Problemen im Sinne eines Versorgungsdefizits. Aktuell sind lange Wartezeiten von nicht selten mehr als einem halben Jahr üblich. Nur ca. 23 % der RA-Patienten kommen – wie in den Leitlinien gefordert – innerhalb der ersten 3 Monate zu einem Internistischen Rheumatologen [2]. Hierdurch wird die Chance der frühen Diagnose und frühen Therapie im Window of opportunity verpasst. Ein weiteres Problem ist die mangelhafte Selektion; von den zugewiesenen Patienten weisen nur ca. 50–60 % auch tatsächlich eine entzündlich–rheumatische Erkrankung auf – „... eine treffsichere Zuweisung der Verdachtsfälle wäre angesichts der limitierten Zahl an Internistischen Rheumatologen sehr wünschenswert ...“ [2].

Die Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie und die Orthopädischen Rheumatologen sind grundsätzlich an der Versorgung rheumakranker Patienten beteiligt. Es fehlt aber eine konzertierte Kooperation, die der Notwendigkeit früher Erkennung und früher Therapie entzündlich-rheumatischer Krankheiten in Kooperation mit den Orthopäden Rechnung trägt.

Im Memorandum „Rheumatologische Versorgung von akut und chronisch Rheumakranken in Deutschland“ [3] hat Prof. H. Raspe einen Internistischen Rheumatologen auf 50.000 erwachsene Einwohner berechnet und somit 1340 Internistische Rheumatologen gefordert; danach fehlen zur optimalen Versorgung über 500 Fachärzte.

Die Versorgung durch Orthopäden und Orthopädische Rheumatologen blieb im Memorandum allerdings unberücksichtigt. Erste empirische Daten aus dem derzeit aktuellsten Gesundheitsmonitor, Frühjahr 2009, 16. Erhebungswelle; N = 1464, Bertelsmann Stiftung, ergeben bei 52 % der Befragten, dass der Orthopäde der Facharzt ist, bei dem sich die Versicherten zuletzt in Behandlung befanden und dieser maßgeblich in die Therapie der rheumatischen Erkrankung involviert ist [4].

Perspektiven zur verbesserten Versorgung von Rheumapatienten in Deutschland

Versorgungsdefizit in der Behandlung rheumakranker Patienten in Deutschland! Welche Maßnahmen sind in der Lage, diese Situation zu verbessern? Der Berufsverband Deutscher Rheumatologen e.V. setzt unter Leitung ihres Vorsitzenden Dr. Edelmann auf eine verbesserte Honorarpolitik, eine kooperative Versorgung mit Hausärzten und auf Förderung der Delegation ärztlicher Leistungen an die Fachassistenz mit entsprechenden Vergütungsmodellen. Die Versorgungslandschaft Rheuma zielt auf „die Förderung einer strukturierten, kooperativen Versorgung mit den Hausärzten mit dem Ziel einer gezielteren Zuweisung der Patienten und einer besseren kooperativen Langzeitbetreuung unter Einbindung des Hausarztes“ [1]. Die Kooperation mit Fachärzten für Orthopädie/Unfallchirurgie und Orthopädischen Rheumatologen wird von Herrn Dr. Edelmann und dem BDRh nicht erwähnt.

Aus Sicht des Berufsverbands der
Ärzte für Orthopädie/Unfallchirurgie (BVOU) und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) ist die Einbindung des Orthopäden in die Früherkennung und Frühdiagnostik entzündlich-rheumatischer Erkrankungen unabdingbar. Die Patienten befinden sich frühzeitig in unseren Praxen – wir sind in der Lage, die Frühdiagnostik durch Anamneseerhebung, Labordiagnostik und Bildgebung durchzuführen und v.a. die geforderte Selektion zu betreiben. Die weitere Überweisung zum Orthopäden bei nicht entzündlichen Erkrankungen und vorheriger Konsultation von Hausärzten und internistischen Rheumatologen entfällt.

Seit 2010 gestaltet die Sektion Orthopädische Rheumatologie im BVOU eine Qualitätsoffensive Orthopädische Rheumatologie. Kernstück ist seit 2012 das zertifizierte Fortbildungsprogramm in der Rheumatologie über 50 Stunden in Kooperation mit der Akademie Deutscher Orthopäden (ADO). Als Abschluss erlangt der Teilnehmer ein Zertifikat „Rheumatologisch fortgebildeter Orthopäde“ (RhefO) über die ADO. Innerhalb von 2 Jahren haben insgesamt gut 1000 Teilnehmer die 3 Kurse erfolgreich absolviert:

Kurs I: Frühdiagnostik rheumatischer Erkrankungen, 530 Teilnehmer

Kurs II: Frühbehandlung rheumatischer Erkrankungen, 440 Teilnehmer

Kurs III: Behandlung rheumatischer Erkrankungen, bislang 56 Teilnehmer

Mit weiteren 22 Fortbildungsstunden in der Rheumatologie erfüllt der Teilnehmer dann die Kriterien des RhefO´s und ist dann in der Lage, zwischen entzündlichen und nicht entzündlichen Erkrankungen zu differenzieren, meist eine sichere Diagnose zu stellen und im Rahmen der Frühtherapie eine Behandlung zu beginnen oder eine gezielte Überweisung zu einem internistischen oder orthopädischen Rheumatologen auszustellen.

Versorgungspfade in der Rheumatologie

Durch die Aktion Versorgungspfade in der Rheumatologie sollen entzündlich-rheumatische Erkrankungen früher erkannt und entsprechend früher behandelt werden, und durch gezielte Überweisungen schnellstmöglich zu einer Remission bei den Patienten führen.

Auf der 1. Stufe stehen der Hausarzt und Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie, die bei Verdacht auf eine entzündliche Erkrankung eine Labordiagnostik der Akut-Phase-Proteine (BSG/CRP), des CCP-AK, sowie bei entzündlichem Rückenschmerz des HLAB 27 durchführen sollen. Der Orthopäde hat zusätzlich die Möglichkeit der Röntgendiagnostik.

Bei Verdacht auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung erfolgt innerhalb von 2 Wochen die Überweisung zu einem RhefO, oder falls möglich, zu einem internistischen bzw. orthopädischen Rheumatologen. Auf der 2. Stufe wird die Diagnosesicherung durch erweiterte Labordiagnostik und Arthrosonografie durchgeführt. Der RhefO wird entscheiden, ob er eine Frühtherapie beginnen kann oder kurzfristig im Sinne einer gezielten Überweisung einen Rheumatologen einbindet.

Auf der 3. Stufe werden die Rheumatologen differenzialdiagnostisch tätig und ggf. Diagnosen sichern, schwerere Verläufe begutachten und die entsprechende Basistherapie einleiten oder begleiten. Auch Co-Morbiditäten werden auf dieser Stufe zu behandeln sein. Je nach Verlauf wird die Rücküberweisung auf Stufe 1 bzw. 2 möglich sein.

Bei sehr schweren Verläufen wird auf der 4. Stufe die stationäre Einweisung in Spezialkliniken erforderlich sein. Die hochspezifische Diagnostik und Pharmakotherapie sind dem internistischen Bereich zuzuordnen, therapieresistente Arthritiden im Sinne von rebellischen Gelenken den operativ tätigen rheumatologisch Orthopäden.

Ein großer Teil dieses Versorgungspfads ist bereits in den § 73 C SGB V Strukturvertrag für die Orthopäden/Unfallchirurgen in Baden Württemberg eingegangen [5]. Als Versorgungsziele sind eine strukturierte Diagnostik, der Einsatz von Labor und Bildgebung, eine aufklärende Beratung sowie ein rascher Beginn einer Basistherapie mit MTX vorgegeben, eine weitere enge Führung der Rheumapatienten und eine schnelle Vorstellung bei einem Rheumatologen. Im Rahmen der Beratung und Führung wird eine speziell ausgebildete Medizinische Fachassistentin gefordert. Im Norden haben wir über die ADO bereits mit der Ausbildung zur Orthopädisch-Rheumatologischen-Fachassistentin (ORFA) begonnen. In einer rheumatologisch orientierten Praxis ist ein entsprechend ausgebildetes Praxisteam zwingend notwendig, um die aufwendige Betreuung der Rheumapatienten zu gewährleisten.

Die Ziele des § 73 C SGB V Vertrags in Baden Württemberg, eine frühere Diagnosestellung, eine frühere Einleitung der Basistherapie, eine verbesserte Diagnosesicherung und eine Verhinderung von Frühberentungen, können durch die Kooperationen in der Rheumatologie im Sinne des Versorgungspfads erreicht werden. Für den Rheumapatienten bedeutet dies ein Leben mit weniger Schmerzen, einer verbesserten Gelenk- oder Wirbelsäulenfunktion und einer erhöhten Lebensqualität. Vermutlich wird auch seine Arbeitsfähigkeit erhalten bleiben und spätere schicksalhafte Schäden an Gelenken und inneren Organen vermieden werden.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Krankenkassen und örtliche Ärztenetze haben inzwischen die Vorteile der interdisziplinären Kooperation mehrerer Fachgruppen in der Rheumatologie erkannt und befinden sich bereits in Gesprächen und Verhandlungen zur weiteren Umsetzung von Versorgungspfaden.

Weitere Vertragsabschlüsse zum Wohle unserer Rheumapatienten sind wünschenswert.

Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Uwe Schwokowski

Orthopädische Facharztpraxis

Schwerpunkt Rheumatologie

Schweriner Straße 53, 23909 Ratzeburg

schwokowski@bvou.net

Literatur

1. Rüther W. ORh Newsletter III – 2014, interner Verteiler bvou net

2. Edelmann E. Rheumatologische Versorgungssituation in Deutschland. Rheuma Management 2014; ¾: 8–11

3. Raspe H. Rheumatologische Versorgung von akut und chronisch Rheumakranken in Deutschland. Präsentation DGRh Kongress Hamburg 2008

4. Strahl A. ORh Newsletter III-2014, interner Verteiler bvou net

5. Medi Verbund et al. Vertrag nach
§ 73 c DGB V Orthopädie – konservative Versorgung neu gestalten- Vertragsschulung, interne Präsentation

Fussnoten

1 Rheumatologische Praxis, Ratzeburg

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