Informationen aus der Gesellschaft - OUP 06/2013

Leidenschaft für das gemeinsame Fach
61. Jahrestagung thematisierte auch Zukunft von Orthopädie und Unfallchirurgie

Die Schwerpunktthemen der Frühjahrstagung 2013 der Vereinigung Süddeutscher Orthopäden und Unfallchirurgen (VSOU) waren Low Back Pain, Orthopädie und Traumatologie bei Kindern und Jugendlichen, degenerative und metabolische Veränderungen und Erkrankungen an Knochen, Gelenken und Muskeln sowie Epidemiologie, Versorgungsforschung und Gesundheitspolitik. Besonders stolz auf die 4 „Special Lectures“ war Kongresspräsident Dr. Hermann Locher, niedergelassener Orthopäde aus Tettnang am Bodensee, der das Programm zusammengestellt hatte.

Locher, hielt zudem mit seiner einstündigen Präsidentenrede während der Eröffnungsveranstaltung ein leidenschaftliches Plädoyer für den Erhalt und den Ausbau des Faches Orthopädie und Unfallchirurgie.

Unabdingbar notwendig sei die Fusion von „O und U“ gewesen, alleine schon, um in Europa mitreden zu können, sagte Locher – und hob gleich den Zeigefinger, weil in anderen Ländern „O und U“ längst ihren nichtoperativen Teil verloren hätten und Gleiches in Deutschland drohe: „Teilradiologie, Osteoporose, Rheuma, Säuglingshüfte, Schmerz, Reha und Sportmedizin müssen bei uns bleiben“, rief Locher den Kollegen zu – auch mit Blick auf die Tatsache, dass es künftig keine BG-Zulassung für niedergelassene Kollegen gibt und die Pädiater die Säuglingshüfte im Rahmen der U3 sonografieren.

Locher forderte die Kollegen zudem auf, politischer zu werden, sonst werde das Fach (Locher: „Erbhöfe sind out.“) von der Politik verändert: „Wir müssen uns verstärkt zur Wehr setzen“, lautete sein Appell.

Und er gab auch gleich eine weitere Richtung vor: Wichtige Eckpfeiler der Arbeitsmodelle der Zukunft seien auch für die Orthopädie und Unfallchirurgie die Planbarkeit von Arbeitszeit und die Option, Führungsaufgaben auf 2 oder 3 Personen aufzuteilen. Locher: „Es braucht mehr Zeit als Ausgleich zum Berufsleben.“

Zum Kongressbeginn ging es unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Thomas Kohlmann aus Greifswald dann um die Volkskrankheit „Low Back Pain“, die nationale Versorgungsleitlinie unspezifischer Kreuzschmerz wurde hier vorgestellt. Nach wie vor gelten bis zu 90 Prozent der diagnostizierten Fälle als sog. unspezifischer Rückenschmerz. Die S3-Leitlinie, die seit Oktober 2010 offiziell gilt, beschäftigt sich mit diesen Fällen. Prof. Dr. Bernd Kladny, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), stellte die Leitlinie und den Prozess der Entscheidungsfindung vor. Neben der Berücksichtigung psychosozialer Probleme („Yellow Flags“) sei vor allem eine körperliche Untersuchung des Patienten sowie die Konzentration auf aktive Maßnahmen in der Bewegungstherapie wichtig. Die Leitlinie wurde zunächst bis 2014 beschlossen, daher wird die Expertenkommission der Fachgesellschaften im kommenden Jahr wieder zusammenkommen.

Genau wie im vergangenen Jahr stand der Patiententag des diesjährigen Kongresses im Zeichen der Arthrose – die extreme Wichtigkeit dieses Themas spiegelte sich auch in den fachlichen Vorträgen wieder: Die Arthrose war eines der Hauptthemen am ersten Kongresstag, der gleich 3 Vortragsblöcke gewidmet waren. Neben der Therapie und Diagnostik ging es dabei auch um die Bedürfnisse des Arthrosepatienten.

Prof. Dr. Dr. Jörg Jerosch (Neuss) brachte es in seinem Vortrag „Arthrosepatient gestern, heute und morgen“ auf den Punkt: Die Arthrosetherapie hat sich von der Greisentherapie zur Life-style-Therapie verändert. Die neuen und zukünftigen Patienten heute und morgen gehörten zur Generation „70 plus“, die immer noch aktiv ist, oder es sind unzufriedene Patienten nach einer Sportverletzung. Ein Problem sieht Jerosch, neben den Patientenansprüchen, in den unrealistischen Zielen, die Arthrosepatienten vermittelt werden – vom Arzt, der Industrie oder der Werbung. Bilder von Golf spielenden, aktiven, jungen oder Sport treibenden Menschen führten dazu, dass Patienten vermittelt werde: Nach der Arthrosetherapie (insbesondere mit Implantation) könne das aktive Leben genauso oder sogar besser weitergeführt werden. „Hier müssen wir die Patienten besser führen, ohne sie zu ängstigen“, forderte Jerosch.

Krankheitsbilder der kindlichen Wirbelsäule

Es sind erhebliche Funktionseinschränkungen, welche die deformierte kindliche Wirbelsäule zu eine therapeutischen Herausforderung machen. Ein Symposium in Baden-Baden befasste sich mit den verschiedenen Krankheitsbildern. PD Dr. Urs von Deimling (St. Augustin) stellte zunächst die Therapie der Early Onset Skoliose vor. Diese überwiegend linkskonvex und häufiger bei Jungen als bei Mädchen auftauchende Skoliose bedarf einer ausführlichen Anamnese, die sämtliche Begleiterkrankungen (Herz, Darm, Hüfte) berücksichtigt – einschließlich der familiären Belastung. Die Erstuntersuchung sollte neurologische Aspekte (Bauchhautreflexe) einschließen.

Als operative Skoliosetherapie stellte Dr. Stefan Krebs (Markgröningen) die ventrale Derotationsspondylodese (VDS) vor. Sie habe dabei Vorteile wie eine bessere Derotation, kürzere Fusionsstrecken, geringeren Blutverlust sowie eine bessere Modulation des sagittalen Profils, insbesondere bei lordotischer Thorakalskoliose. Nachteile liegen in der Störung der Lungenfunktion, einem Postthorakotomiesyndrom und einer geringeren Rotationsstabilität. Bilanzierend betonte Krebs, das Verfahren sei gut geeignet bei leichten Skoliosen, Komplikationen gebe es vor allem durch Stabbrüche. In seiner Klinik wird ein ventrales Vorgehen bevorzugt, man verzeichne gute kosmetische Ergebnisse.

In die Problematik neuromuskulärer Skoliosen führte Prof. Dr. Anna Hell (Göttingen) ein. Die Grundprobleme – Zunahme der Skoliose auch nach Wachstumsabschluss, Hüftluxationen, mangelnde Kopfkontrolle und Hüftstabilität – seien nicht zu beheben. Therapieziele seien die Verbesserung der Lebensqualität, eine Stabilisierung des Rumpfes, die Verbesserung der Kopfkontrolle und die Verminderung der pulmonalen Infektrate; bei nicht Gehfähigen seien ein Aufhalten der Progression, die Erhaltung der Sitzfähigkeit, eine Schmerzreduktion und die Korsettfähigkeit die Ziele. Operativ sind versteifende oder „mitwachsende“ Verfahren angezeigt, Halodistraktionen werden bei schwerster Kyphose und Deformität angewendet – auch als Vorbereitung zur Spondylodese. Die langstreckige Versteifung bei Jugendlichen berge viele Probleme: Bekannt sind eine 35-%ige Komplikations- und eine 5– bis 10-%ige Infektionsrate. Hinzu kommen u.a. kardiologische Probleme, eine herabgesetzte Lungenfunktion, Epilepsie, Osteoporose und eine geschwächte Immunabwehr.

Therapieziele beim Kind sind das Aufhalten der Progredienz, Verbesserung der Organfunktion und Rumpfstabilität und ein Vermeiden des Kollapsing Spine. Extern steuerbare Implantate seien Erfolg versprechend, unterstrich Hell.

Revival
des Zements

Mit dem „State oft the Art“ der Hüftendoprothetik befassten sich die Teilnehmer im gleichnamigen Syposium. Einen Überblick über Unterschiede der wesentlichen Kurzschaftsysteme im Markt gab Jerosch. Seit 30 Jahren gibt es solche Systeme. Unterschieden wird dabei in Schenkelhals-erhaltende, teilerhaltende und resezierende Systeme. Erhaltende Systeme zeichnen sich durch eine metaphysäre Fixation aus und erlauben keine Kompensation anatomischer Variationen, während resezierende Systeme eine geringe Anpassungsmöglichkeit an anatomische Variationen erlauben. Jeroschs Fazit: Die Systeme unterscheiden sich erheblich – nicht nur bezüglich der Resektionshöhe, sondern auch mit Blick auf die Verankerungsprinzipien.

Prof. Dr. Michael Morlock (TUHH Hamburg) betrachtete die Frage der Gleitpaarungen aus Sicht des Ingenieurs. Sein prägnantes Fazit: Inzwischen funktioniert jede Paarung; entscheidend für die Standzeit bzw. die Größe des Abriebs ist eher die Ausrichtung der Prothese: Ist sie falsch, kommt es zu erheblichem Abrieb. Einzig die Paarung Metall/Metall sei „tot“.

„Warum eigentlich nicht mal wieder zementieren?“, fragte PD Dr. Matthias Gebauer (Hamburg) in seinem Vortrag. Ziel der Versorgung sei immer die „forgotten hip“ mit einer lebenslangen Standzeit. Bei der Betrachtung der internationalen Register müsse man Länderspezifika berücksichtigen. So werde in Australien weniger, in Schweden mehr zementiert – mit entsprechenden Folgen für die Expertise der Operateure. Uneingeschränkt bestätigt sei aber, dass bei älteren Patienten (älter als 70 Jahre) mehr Revisionen bei unzementierten Hüften auftreten. Gebauer betonte, die zementierte Endoprothetik habe nach wie vor einen eindeutigen Stellenwert, es müssten aber die Verankerungstechnik und die Implantatwahl passend zur individuellen Anatomie und Knochenqualität erfolgen.

OP-Trainingskurse
für Assistenten

Am Kongressdonnerstag startete man bereits früh mit den OP-Trainingskursen für die Assistenten. Unter Führung von erfahrenen Operateuren übte der Nachwuchs Eingriffe praktisch am Modell-Gelenk oder am Sägeknochen, durchgeführt in Kleingruppen. Im Angebot waren Kurse zur Hüftendoprothetik, Schulterendoprothetik, Schulterarthroskopie und Kniearthroskopie. Das OP-Training stieß auf große Resonanz.

Ein besonderes Anliegen des Kongresspräsidenten waren die Special Lectures. Beim ersten Vortrag diskutierten Vertreter aus Politik und Gesundheitswesen die gesundheitspolitische Position der großen Parteien und der Krankenversicherung Baden-Württemberg.

Ulrike Flach, Mitglied des Deutschen Bundestages, FDP, erklärte, dass noch über Jahre Reformprozesse notwendig seien, um das Gesundheitssystem auf einen zufriedenstellenden Status zu heben. Nachdem die aktuelle Regierung vor 4 Jahren ein Defizit in Milliardenhöhe übernommen habe, sei die aktuelle Situation ein Erfolg – mit dem Höhepunkt der Abschaffung der Praxisgebühr in diesem Jahr. Lothar Riebsamen, für die CDU im Deutschen Bundestag, stimmte nicht ganz zu: „Ich hätte mir gewünscht, dass wir eine vernünftigere Lösung diskutiert hätten, bevor die Eigenbeteiligung ersatzlos gestrichen wurde.“ Riebsamen hält, ebenso wie Flach, die Änderungen im Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) sowie im Versorgungsstrukturgesetz für „zielführend“.

Alle Referenten lehnten die Bürgerversicherung zugunsten der zweigliedrigen Versorgung ab. „Mit diesem System ist eine exzellente Versorgung gewährleistet, daher muss es bleiben“, forderte Flach. Riebsamen fügte hinzu, dass bei einer Einheitsversicherung aus dem Zwei- ein Fünf-Klassen-System würde, betrachte man alle nötig werdenden Zusatzversicherungen. Neben geplanten Maßnahmen für die kommende Legislaturperiode, wie die Steuerung der Krankenhausbedarfsplanung auf Bundesebene, würden den Krankenhäusern kurzfristig 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Aus diesem Budget sollen unter anderem über die Vereinbarung hinaus geleistete Operationen bezahlt und Maßnahmen im Zuge des Infektionsschutzgesetzes finanziert werden.

Deutliche Worte
aus der Politik

Der Vorsitzende der KV Baden-Württemberg, Dr. Norbert Metke, fand deutliche Worte für den politischen Wandel in den vergangenen Jahren. „Seit langer Zeit werden die Ärzte nicht mehr von den Regierenden verunglimpft“, sagte Metke. Die Handlungen der rot-grünen Regierung nannte er „schikanöse Regresspolitik“. Mit dem AMNOG seien die Ärzte deutlich entlastet worden, da die Medikamentenpreise bei gleichen Richtgrößen gesunken seien. Außerdem sei das Risiko eines Arzneimittelregresses um circa 90 % gesunken. Für „Translational Research 1 und 2“ konnten führende Grundlagenforscher auf dem Gebiet der Neuroanatomie und Neurophysiologie gewonnen werden. Sie diskutierten Möglichkeiten und Grenzen der Umsetzung ihrer Ergebnisse am Patienten mit erfahrenen Schmerztherapeuten in der orthopädischen Praxis. Am letzten Kongresstag beendete das Thema „Konservative Orthopädie in Europa“ die Reihe.

Auch wenn der Auserwählte nicht anwesend war, so konnte er doch die Mitglieder für sich gewinnen: Prof. Dr. Thomas Horstmann, Chefarzt Orthopädie, Traumatologie, Sportmedizin der Klinik Medical Park Bad Wiessee St. Hubertus, ist während der in Baden-Baden stattgefundenen VSOU-Mitgliederversammlung zum Kongresspräsidenten für das Jahr 2015 gewählt worden. Horstmann ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie und hat die Zusatzbezeichnungen Sportmedizin, Physikalische Medizin und Manuelle Therapie. Während seiner Zeit in Tübingen hat er das dortige Hüftschul-Institut und das Gelenkschul-Institut zur Ausbildung von Physiotherapeuten, Sportlehrern und Übungsleitern gegründet.

SEITE: 1 | 2