Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2016

Management häufiger kindlich-jugendlicher Wirbelsäulen-Probleme
Skoliose, Mb. Scheuermann und Spondylolyse/SpondylolistheseScoliosis, Scheuermann’s disease, spondylolysis, spondylolisthesis

Doris Kolland1, Ulrich Heitzer1, Michael Maafe1, Sven Ziegler1

Zusammenfassung: Der Beitrag präsentiert eine
klinisch orientierte standardisierte Vorgehensweise
(Algorithmus) zur Abklärung und Behandlung häufiger
Wirbelsäulenprobleme im Wachstumsalter.

Schlüsselwörter: Skoliose, Scheuermann, Spondylolyse,
Spondylolisthese

Zitierweise
Kolland D, Heitzer U, Maafe M, Ziegler S: Algorithmus zum
Management häufiger kindlich-jugendlicher Wirbelsäulen-Probleme.
OUP 2016; 7: 446–450 DOI 10.3238/oup.2016.0446–0450

Summary: In this clinically focused article a standardized
approach (algorithm) to the management of frequent spinal problems during growth age is presented.

Keywords: Scoliosis, Scheuermann´s disease, spondylolysis, spondylolisthesis

Citation
Kolland D, Heitzer U, Maafe M, Ziegler S: Management of frequent spinal problems during growth age.
OUP 2016; 7: 446–450 DOI 10.3238/oup.2016.0446–0450

Einleitung

In einer Zeit, in der immer weniger Eltern die Zeit finden, die Veränderungen am Körper ihrer Kinder bewusst wahrzunehmen, gilt es die Notwendigkeit der Screening-Untersuchungen besonders zu unterstreichen, wie z.B. vorgegeben durch den Mutter-Kind-Pass oder im Rahmen der Schulärztlichen Pflichtuntersuchung,

Als wichtigste und am häufigsten auftretende Wirbelsäulenerkrankungen im Wachstumsalter seien hier

die idiopathische Skoliose,

der Morbus Scheuermann sowie

die Spondylolisthese

erwähnt, welche im folgenden besprochen werden, wobei das praktische Management nach dem in unserem Hause praktizierten „Stolzalpen-Algorithmus“ vorgestellt wird. Allen 3 Erkrankungen ist gemeinsam, dass sie zumeist in der Adoleszenz auftreten und oft Zufallsdiagnosen darstellen, da sie kaum oder nur wenig Schmerzen verursachen.

Skoliose

Die idiopathische Skoliose ist die häufigste Erkrankung der Wirbelsäule bei Kindern und Jugendlichen. Laut Literatur [1] sind ca. 2–4 % der Normalbevölkerung davon betroffen, rund 3,5-mal mehr Mädchen als Jungen, insbesondere bei behandlungsbedürftigen Skoliosen.

Die Ursache der idiopathischen Skoliose ist bis heute unbekannt, eine familiäre Häufung wird allerdings beobachtet. Pathogenetisch besteht ein Missverhältnis zwischen dem Wachstum der Wirbelkörper und den dorsalen Elementen. 80–90 % der Skoliosen sind idiopathischer Natur, die Übrigen werden neuromuskulären Erkrankungen oder anderen kongenitalen Veränderungen zugeschrieben.

Die Einteilung der Skoliose erfolgt abhängig vom Alter des Erkrankten. Ein Auftreten vor dem 5. Lebensjahr wird als early onset scoliosis bezeichnet. Zu ihr zählen:

die infantile idiopathische Skoliose (Erstmanifestation der Skoliose vor dem 5. Lebensjahr), sie ist meist thorakal-linkskonvex und tritt oft auch bei Jungen auf [2];

die juvenile idiopathische Skoliose (Erstmanifestation zwischen dem 6.–10. Lebensjahr), sie betrifft die thorakale und auch lumbale Wirbelsäule mit S-förmiger Krümmung. In der Geschlechterverteilung sind Mädchen nur wenig mehr betroffen als Jungen [3].

Diese beiden Formen treten eher selten auf, und weisen meist vor allem eine links-konvexe Krümmung auf. Aufgrund des jungen Alters der Patienten ist die Prognose beider Skoliosetypen schlecht, da es im pubertären Wachstumsschub zur massiven Krümmungszunahme der Skoliose kommen kann [3].

Ein späteres Auftreten der Skoliose wird als late onset scoliosis bezeichnet und beschreibt den häufigsten idiopathischen Skoliosetyp, die adoleszente idiopathische Skoliose (Erstmanifestation zwischen dem 10. Lebensjahr bzw. Auftreten in der Pubertät und dem Abschluss des Wachstums). Hier sind vor allem Mädchen betroffen und die Skoliose stellt sich mit einer rechts-konvexen, oft thorakalen, aber auch thorakolumbalen und lumbalen Krümmung sowie Mischformen dar.

Eine Sonderform stellt die Säuglingsskoliose dar, welche in den ersten Lebensmonaten auftritt und nicht mit einer skoliotischen Fehlhaltung verwechselt werden darf. Sie ist oft C-förmig und linkskonvex, thorakolumbal mit hohem Spontanheilungspotenzial.

Die meisten Betroffenen haben zum Zeitpunkt der Diagnosestellung keine Beschwerden. Ab der Diagnosestellung sollten in Abhängigkeit vom Befund und dem weiteren therapeutischen Vorgehen regelmäßig klinische und radiologische Kontrollen erfolgen, um die Entwicklung und evtl. Progredienz der Skoliose zu beobachten und eventuell das Therapiekonzept adaptieren zu können.

Bei der klinischen Untersuchung sollten folgende Befunde erhoben werden (Abb. 1 b–c):

  • Schulterschiefstand
  • das Lot der Dornfortsatzreihe von C7 zur Rima ani
  • Beckenschiefstand, mit evtl. Ausgleich einer Beinlängendifferenz
  • Symmetrie der Taillendreiecke
  • Kopfhaltung
  • Finger-Bodenabstand, um einen

Rippenbuckel und

Lendenwulst
zu diagnostizieren und auch mittels Skoliometer nach Götze zu objektivieren.

  • Form des Thorax und Thoraxdeformierungen
  • Rigiditätsprüfung in der Gesamtbewegung der WS durch Seitneigung
  • In der Seitenansicht Beurteilung des sagittalen Profils mit

Kyphose und

Lordose.

Bildgebende Verfahren sind zur Diagnose sowie zur Progressionskontrolle unabdingbar. Es sollte eine a.p.-Aufnahme der gesamten Wirbelsäule im Stehen (Abb. 1a) durchgeführt werden, seitliche Röntgenaufnahmen sollten von der Brust- und Lendenwirbelsäule angefertigt werden. Auch das Becken, zur Bestimmung der Skelettreife anhand der Ossifikation der Beckenkammapophyse und des somit zu erwartenden Wachstums, eingeteilt nach Risser [4], sollte mit abgelichtet werden (Abb. 2).

Anhand der a.p.-Aufnahmen kann der Skoliosewinkel nach Cobb vermessen werden. Zusätzlich kann die Rotation der Wirbelkörper nach Nash und Moe [5] bestimmt werden. Bending-Aufnahmen sind Aufnahmen in maximaler Seitneigung in a.p., um die Korrigierbarkeit der Skoliose feststellen zu können. Die MRT oder CT-Untersuchungen kommen selektiv bei Verdacht auf Fehlbildungen, Anomalien oder zur OP-Planung zum Einsatz.

Ob primär der konservative oder operative Therapieweg eingeschlagen wird, hängt ab von

der Größe des Cobb-Winkels der Skoliose

dem Alter des Patienten

dem Risser-Zeichen und dem damit noch zu erwartenden Restwachstum und der Progredienz

bei Mädchen vom Einsetzen der Menarche, da ab ihren Eintritt noch mit einem Restwachstum von ca. 2 Jahren zu rechnen ist [6].

Bei der Behandlung von Skoliosen sollte allgemein gelten, dass man versucht, die Progredienz der Skoliose zu verhindern, im Idealfall die Krümmung korrigiert und diese in der korrigierten Position gehalten werden kann.

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