Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2016

Management häufiger kindlich-jugendlicher Wirbelsäulen-Probleme
Skoliose, Mb. Scheuermann und Spondylolyse/SpondylolistheseScoliosis, Scheuermann’s disease, spondylolysis, spondylolisthesis

Als konservative Maßnahmen stehen Physiotherapie und die Miederbehandlung zur Verfügung. Ab einem Cobb-Winkel von > ca. 20° und Risser-Stadium 0–III sollte eine Miederbehandlung angedacht werden. Zusätzlich ist immer eine adäquate Physiotherapie erforderlich, wie z.B. Übungen nach Schroth . Einerseits, um die Muskelkraft zu stärken, andererseits um die Vitalkapazität der Lunge und die Herzfunktion zu verbessern. Auch der kosmetische Aspekt darf hier nicht außer Acht gelassen werden. Die Primärkorrektur des Mieders sollte 1/3 des Ausgangs-Cobb-Winkel oder weniger erreichen.

Die Miedertherapie erfordert allerdings eine große Compliance der Patienten, da es ca. 23 Stunden täglich, meist über mehrere Jahre – bis zum Wachstumsabschluss – getragen werden muss. Klinische und radiologische Kontrollen sollten in 3–6 monatigen Abständen durchgeführt werden.

Besteht bei den Kontrollen eine rasche Zunahme der Skoliose oder beträgt der Cobb-Winkel mehr als ca. 50° Grad, sollte ein operatives Vorgehen in Betracht gezogen werden. In diesem Fall ist mit einer weiteren starken Progredienz der Skoliose zu rechnen. Auch das Auftreten von Systemerkrankungen wie Lungen- und Herzfunktionsstörungen liegt deutlich höher. Man versucht allerdings, wenn möglich die Operation bis kurz vor Ende des Größenwachstums
hinauszuzögern.

Bei neuromuskulären und kongenitalen Skoliosen, die häufig auch mit einer Formations- oder Segmentationsstörung verbunden sind, sollte schon ab 20° an ein operatives Vorgehen gedacht werden, da hier oft eine rasche Progredienz zu erwarten ist. Die höhere Progression sowie oft der Erhalt der Sitzfähigkeit oder der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit sprechen für dieses frühzeitige Vorgehen.

Als operative Verfahren stehen ventrale derotierende Spondylodesen und dorsale distrahierende Eingriffe, oft in Kombination, zur Verfügung um eine 3-dimensionale Korrektur der Wirbelsäule zu erreichen. Zur Planung der Operation sind die verschiedenen Kurventypen der Skoliose entscheidend, klassifiziert nach Lenke und früher nach King [7, 8]. Komplikationen beim operativen Vorgehen treten eher selten auf und betreffen neben den allgemeinen Komplikationen vorwiegend neurologische Störungen in 1–5 %.

Morbus Scheuermann

Der Morbus Scheuermann, auch Adoleszentenkyphose genannt, ist eine pathologische Veränderung der Wirbelsäulenkrümmung in der Sagittalen nach ventral. Diese Veränderung tritt geschlechts unspezifisch im Alter zwischen 11–16 Jahren auf. Die Inzidenz wird mit 4–8 % angegeben [9]. Vermehrte mechanische Belastungen und hyperkyphotische Fehlhaltung, aber auch genetische Faktoren, Trichterbrust, und Osteoporose werden als Ursachen diskutiert.

Definiert ist der Morbus Scheuermann als Randleistenpathologie durch eine Wachstumsstörung der Grund- und Deckplatten, durch welche die Kyphose entsteht. Der Morbus Scheuermann tritt meistens thorakal auf, kann aber auch lumbal und thorakolumbal in Erscheinung treten.

Durch eine Keilwirbelbildung kommt es zur Kyphosierung und in weiterer Folge aufgrund des zunehmenden Drucks zur Bildung der für die Erkrankung typischen „Schmorl’schen“ Knötchen – Hernierungen des Bandscheibengewebes in den Wirbelkörper – und somit zur Verschmälerung des Bandscheibenraums. Als Randleistenhernien werden diese Veränderungen bezeichnet, wenn sie im Bereich der ventralen Wirbelkörper auftreten. Kompensatorisch zeigt sich in der LWS oft eine Tonnenwirbelbildung mit konvexer Deck- und Grundplatte.

Zur klinischen Diagnosestellung sollten folgende Befunde erhoben werden:

großer Finger-Bodenabstand und „Steife“ der Patienten begründet in der durch die Kyphose entlordosierte LWS und kompensatorisch verkürzten ischiocruralen Muskulatur

Zeichen nach Schober und Ott

Seitenansicht zur Beurteilung des sagittalen Profils mit typischer Bildung eines Hohlrundrückens beim thorakalen Mb. Scheuermann (Abb. 3a)

Flachrücken beim lumbalen Scheuermann

Rutschhaltetest zur Beurteilung der Rigidität der Kyphose

Thoraxformbeurteilung – Verkürzung der Pectoralismuskulatur bei der thorakalen Form

schmerzhafte Reklination.

Als Bildgebung sollte ein Röntgen a.p. und seitlich aufgenommen werden, in welchem oben genannte typische Veränderungen des Mb. Scheuermann [10] (Abb. 3b–c) zur Darstellung kommen. Zusätzlich wird das Röntgen im seitlichen Strahlengang vermessen, um den Gesamtkyphosewinkel zu bestimmen und somit die Schwere der Erkrankung sowie die wahrscheinliche Prognose beurteilen zu können. Als physiologisch gilt ein thorakaler Kyphosewinkel um 50°. Pathognomisch für das Vorliegen eines Mb. Scheuermann ist auch das Vorhandensein von mindestens 3 thorakalen Keilwirbeln mit > 5 Deformierung und lumbal bzw. thorakolumbal von mindestens 2 Keilwirbeln mit > 5 % Deformierung bestehen.

In der Praxis leiden Betroffene mit thorakalem Scheuermann nur selten an Schmerzen. Im floriden Stadium können jedoch spezifische Kreuzschmerzen auftreten, weswegen starke Vibrations- und Hebebelastungen auf Dauer vermieden werden sollten. Der thorakolumbale bzw. lumbale Mb. Scheuermann ist hingegen oft stark schmerzhaft.

Nicht verwechselt werden sollte der Mb. Scheuermann mit einer muskulären Haltungsschwäche, die ebenfalls mit einer Hohlrundrückenbildung und einer verkürzten Pectoralismuskulatur einhergeht. Diese Haltungsschwäche weist allerdings keine radiologischen Veränderungen auf und kann in der Regel physiotherapeutisch ausbehandelt werden.

Die Behandlung der Kyphose ist abhängig vom erhobenen Kyphosewinkel und der noch zu erwartenden Skelett- und Wachstumsentwicklung. Bei wenig ausgeprägter Kyphose sollte intensive entkyphosierende und muskelkräftigende Physiotherapie zur Haltungsverbesserung empfohlen werden. Auch die Adaption der Sitzmöbel sollte nicht außer Acht gelassen werden.

Bei einem Kyphosewinkel ab 50 bis max. 70° wird gleich wie bei der Skoliose eine aufrichtende Korsettbehandlung sowie intensive Physiotherapie empfohlen. Grundvoraussetzung ist eine nicht rigide Kyphose sowie ein zu erwartendes Restwachstum von etwa 3 Jahren. Ein hohes Maß an Compliance ist bei einer empfohlenen Tragedauer von mindestens 20 Stunden am Tag bis zur Korrektur der Kyphose unabdingbar.

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