Übersichtsarbeiten - OUP 01/2018

Methodische Eckpunkte der Hüftsonografie nach Graf
State of the art 2018State of the art 2018

Christian Tschauner1, Hans Dieter Matthiessen2, Reinhard Graf3

Zusammenfassung: Die Hüftsonografie nach Graf stellt heute den Goldstandard zur sicheren Frühdiagnose von Hüftreifungsstörungen dar. Die methodischen Eckpunkte der standardisierten Untersuchungstechnik nach Graf werden stichwortartig präsentiert. Checklisten und Qualitätskontrollen sind Routine. Der erreichte Fortschritt durch die generelle sonografische Hüftvorsorge (Screening) manifestiert sich in der weltweit niedrigsten Rate an offenen Repositionen in Deutschland und Österreich.

Schlüsselwörter: Hüftultraschall, Graf-Methode, Checklisten, Kippfehler

Zitierweise
Tschauner C, Matthiessen HD, Graf R: Methodische Eckpunkte der Hüftsonografie nach GRAF. State of the art 2018
OUP 2018; 7: 010–013 DOI 10.3238/oup.2018.0010–0013

Summary: Hip sonography according to Graf is today´s golden standard for a reproducible early diagnosis of developmental dysplasia of the hip (DDH). Methodical key features of the highly standardized Graf technique are presented. Checklists and quality assessments are routine. The diagnostic progress by a general sonographic hip screening is reflected in the worldwide lowest rate of open reductions in Austria and Germany.

Keywords: Hip sonography, Graf-method, checklists,
tilting errors

Citation
Tschauner C, Matthiessen HD, Graf R: Methodical key features of hip sonography according to Graf. State of the art 2018
OUP 2018; 7: 010–013 DOI 10.3238/oup.2018.0010–0013

Seit der Erstpublikation 1980 [1, 2] hat sich die sonografische Untersuchungstechnik über viele Jahre weiterentwickelt und verfeinert. Die eigene langjährige Kurserfahrung und die Analyse der Qualitätssicherung der KBV [9, 15] haben unsere Didaktik methodisch optimiert. In diesem Artikel wird die Methodik nach Graf in ihren essenziellen Eckpunkten und möglichen Fallstricken stichwortartig als aktueller Standard 2018 präsentiert. Für ein tieferes Verständnis und nähere Details verweisen wir auf die zitierte Literatur [3–6].

Anatomische Identifizierung (Checkliste 1)

Unverzichtbare methodische Basis ist die Kenntnis der Sonoanatomie der Säuglingshüfte. Sie wird als „Checkliste 1“ Punkt für Punkt (1–8) abgearbeitet:

  • 1. Knorpel-Knochen-Grenze
  • 2. Hüftkopf
  • 3. Umschlagfalte
  • 4. Gelenkkapsel
  • 5. Labrum acetabulare
  • 6. Knorpel
  • 7. Knochen
  • 8. Umschlagpunkt („konkav-konvex“)

Es müssen alle 8 Punkte (Abb. 1) dargestellt sein, um als „Checkliste 1“ „abgehakt“ zu werden! Insbesondere ist auf eine klare Knorpel-Knochen-Grenze zu achten, weil dadurch automatisch das Risiko des caudo-cranialen Kippfehlers minimiert wird, der zur Überdiagnose („Pseudo-D“) führt.

Weiterhin können schon allein durch die anatomische Identifizierung dezentrierte Hüftgelenke herausgefiltert werden; bei ihnen kann der Unterrand des Os ilium fehlen, wenn der Hüftkopf aus der Standardschnittebene hinaus „luxiert“ ist. In allen anderen Fällen MUSS der Unterrand des Os ilium dargestellt sein! (siehe Checkliste 2)

Brauchbarkeitsprüfung (Checkliste 2)

Alle zentrierten Gelenke müssen die Brauchbarkeitsprüfung (Abb. 2) bestehen:

  • 1. „Unterrand“
  • 2. „Schnitt“
  • 3. „Labrum“

Und zwar in dieser Reihenfolge und Priorität: Die „Eye-catcher“-Schnittebene kommt erst an zweiter Stelle nach dem Unterrand des Os ilium!

Beachte: Bei der Diagnosestellung am fertigen Sonogramm muss immer zuerst die Checkliste 1 abgearbeitet werden, um nicht dezentrierte Gelenke zu übersehen, bei denen der Unterrand nicht sichtbar sein kann.

Bei korrekter Abarbeitung der Checklisten 1 und 2 sind diagnoserelevante Fehler weitgehend ausgeschlossen.

Hüfttypen

Bereits mit den Kenntnissen der anatomischen Identifizierung (und noch ohne Messtechnik) lässt sich als grobe Rasterung eine Einteilung in 4 sonografische Grundtypen treffen und deskriptiv beschreiben.

Bei den zentrierten Gelenken unterscheidet man sonomorphologisch „reife“ Typ-1-Gelenke von „unreifen“ Typ-2-Gelenken, je nachdem, ob die knöcherne Überdachung (Unterrand bis Umschlagpunkt) oder die knorpelige Überdachung (Umschlagpunkt bis Labrum) überwiegt.

Bei den dezentrierten Gelenken wird durch den Verlauf des Perichondriums (NICHT: Position des Labrums!) differenziert in Typ 3 (Perichondrium aufsteigend) und Typ 4 (Perichondrium horizontal oder muldenförmig) [4].

Die Deskription beschreibt die knöcherne Formgebung, das knöcherne Erkerareal und das knorpelige Pfannendach mit einer definierten Nomenklatur. Für die definitive Feintypisierung benötigt man zusätzlich das Alter, die Messtechnik und gegebenenfalls eine Stress-Untersuchung [3].

Messtechnik

Die Messtechnik besteht aus 3 Linien und 2 Winkeln und ermöglicht die definitive Feintypisierung der vorläufigen deskriptiven Befundung.

Pfannendachlinie: Vom Drehpunkt Unterrand Os ilium ausgehende Tangente an die knöcherne Pfanne.

Grundlinie: Sie trennt Knorpel von Knochen und wird als Tangente vom Z-Punkt (= obersten Erkerpunkt) tangential an das knöcherne Erkerareal angelegt.

Knorpeldachlinie: Geht vom Umschlagpunkt („konkav-konvex“) durch die Mitte des Labrum acetabulare.

Beachte: Alle 3 Linien treffen sich nur beim (eher seltenen) Sonderfall eines ideal eckigen Erkers in einem einzigen Schnittpunkt (Abb. 3).

Knochenwinkel Alpha: Zwischen Grundlinie und Pfannendachlinie; ist ein Maß für die Verknöcherung („Reife“) des Pfannendachs.

Knorpelwinkel Beta: Zwischen Grundlinie und Knorpeldachlinie; ist ein Maß für die Größe oder Ausformung des knorpeligen Pfannendachs.

Im Grenzbereich zentriert/dezentriert wird der Beta-Winkel typenbestimmend.

Beachte: Es müssen alle 3 Messlinien, der Alphawinkel UND der Betawinkel eingezeichnet bzw. angegeben werden!

Sonometer und
Feintypisierung

Alter, Winkelmessung und ggf. Stresstest ermöglichen eine Feintypisierung, die grafisch im Sonometer veranschaulicht wird. Dabei stellt die Visualisierung und Quantifizierung der sonografischen Instabilität bei den in der Regel klinisch stummen Hüftgelenken im „kritischen“ Grenzbereich zentriert/dezentriert das diagnostische Highlight dar! Damit lassen sich bei einer hochgradig mangelhaften, knöchernen Formgebung (Alpha 43–49°) ausschließlich sonografisch 3 biomechanische Zustände als 3 verschiedene Hüfttypen differenzieren:

Typ 2c-stabil: bleibt unter Stress zentriert

Typ 2c-instabil: dezentriert unter Stress

Typ D („Hüfte am Dezentrieren“): ist bereits ohne Stress dezentriert

Mit dieser sonografischen Stresstestung gelingt es erstmals, „Instabilität“ im klinisch stummen Frühstadium sicht- und messbar zu machen (und von der harmlosen „elastischen Federung“, die physiologisch ist, abzugrenzen) und gegebenenfalls notwendige therapeutische Konsequenzen [13] frühzeitig zu ziehen.

Abtasttechnik

Eine standardisierte praktikable Abtasttechnik ist Grundlage und Voraussetzung einer brauchbaren Bildqualität.

Dabei sind insbesondere folgende Aspekte zu berücksichtigen:

Standard-Ausrüstung: Lagerungsschale UND Schallkopfführung (Abb. 4).

Fokussierte Organisation und geeignetes Untersuchungsambiente.

Standardisierte Hand- und Fingerhaltung beachten.

Zügiges Arbeiten, um den „Überraschungseffekt“ beim Baby auszunützen.

Am bewegten Monitorbild ZUERST ausschließlich Unterrand fokussieren.

Schnittebenenkorrektur nur am eingefrorenen Standbild, anschließend wieder den Unterrand des Os ilium darstellen und gegebenenfalls nochmalige Schnittebenenkorrektur.

Sich im Hinterkopf der Möglichkeit von Kippfehlern bewusst sein!

Kippfehler

Unbemerkte Verkippungen des Schallkopfs in einer scheinbaren Standardschnittebene führen im schlimmsten Fall (caudo-cranialer Kippfehler) zu einem scheinbar pathologischen Hüfttyp (bis hin zu einer sog. Pseudo-Dezentrierung); damit würde eine unnötige Therapie indiziert und eingeleitet, was forensisch bereits zu Schadenersatzforderungen Anlass gegeben hat.

Vorbeugende Vermeidung von Kippfehlern: Man sollte sich immer des Risikos eines latenten caudo-cranialen Kippfehlers bewusst sein, das Standard-Equipment (Lagerungsschale & Schallkopfführung) verwenden und auf die klare Abbildung der Knorpelknochengrenze (Checkliste 1) achten. Im Zweifelsfall Wiederholung der Untersuchung nach optimierter Lagerung des Kindes: war es ein Kippfehler, findet man nun einen „spontan normalisierten“ Sonobefund vor.

Formaler Befund –
Mindeststandard

Folgende Informationen und Formalien werden für eine korrekte Befundung gefordert:

Formaler Standard:

Patientendaten

Untersucher ID

Untersuchungsdatum

Seitenbezeichnung (R/L)

Maßstab mindestens 1: 1,7

Rechts-aufrechte Projektion

Sonografischer Standard:

Je 2 zeitversetzte Sonogramme pro Gelenk (1 ohne, 1 mit Messlinien)

Deskriptiver Befund

Definitive Feintypisierung nach Messtechnik (Alpha UND Beta)

Klinische Konsequenz (Kontrolle? Therapie?)

Wichtig: Nicht nur der Knochenwinkel Alpha, sondern auch der Knorpelwinkel Beta MUSS bei jedem Sonogramm ausgemessen werden: dies nicht nur als Qualitätskontrolle, ob die Knorpeldachlinie und damit der Umschlagpunkt und das Labrum richtig lokalisiert wurden, sondern auch, um die sonografische Instabilität gegebenenfalls zu diagnostizieren.

Fortschritte

In einer Sammelstatistik aus der Vorsonografie-Ära zeigte Tönnis [12], dass bei rein klinischer Diagnostik mit Berücksichtigung der Familienanamnese und sog. Risikofaktoren 54 % pathologischer Hüftbefunde „übersehen“ wurden; das heißt, jede zweite pathologische Hüfte wurde nicht erkannt. Rein klinisches Screening entspricht also dem Werfen einer Münze („Kopf oder Zahl“).

2018 – 38 Jahre nach Erstpublikation [1] – ist das sonografische Screening im deutschen Sprachraum fixer Bestandteil und „golden standard“ in der öffentlichen Gesundheitsvorsorge. Es ist in unseren Breiten mittlerweile fast zu selbstverständlich, dass Hüftreifungsstörungen frühzeitig sonografisch diagnostiziert und typenadäquat fast zu 100 % konservativ [13] zur Ausheilung gebracht werden: Deutschland und Österreich haben weltweit mittlerweile die niedrigste Rate an offenen Repositionen [7, 8, 10, 11, 14].

In nur scheinbar grauer Vorzeit gehörten auch in unseren Landen Overheadextensionen, offene Repositionen und Korrekturosteotomien in hoher Frequenz zur täglichen kinderorthopädischen Routinearbeit. Wir müssen darauf achten, dass die Erinnerung an die Schrecken der Vorsonografie-Ära nicht ganz verblasst, damit – in Analogie zur „Impfmüdigkeit“ – die Notwendigkeit der generellen sonografischen Hüftvorsorge („Sono-Screening“) in der Methodik nach GRAF nicht in Frage gestellt wird.

Interessenkonflikt: Keiner angegeben

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Christian Tschauner

Allgemeines und Orthopädisches
Landeskrankenhaus Stolzalpe

A-8852 Stolzalpe

Österreich

christian.tschauner@kages.at

Literatur

1. Graf R: The diagnosis of congenital hip-joint dislocation by the ultrasonic Combound treatment. Arch Orthop Trauma Surg. 1980; 97: 117–33

2. Graf R: Ultraschalldiagnostik bei Säuglingshüften. Orthopädische Praxis 1982; 18: 583–624

3. Graf R: Hip sonography: background; technique and common mistakes; results; debate and politics; challenges. Hip Int. 2017; 27: 215–19

4. Graf R, Lercher K, Spieß T: Kurshandbuch für die Ausbildung in der Hüftsonographie nach Graf. Stolzalpe: Edition Stolzalpe, 2017

5. Graf R, Lercher K, Tschauner C, Baumgartner F, Plattner F: Sonographie der Säuglingshüfte und therapeutische Konsequenzen. Ein Kompendium. 6. Auflage, Stuttgart: Thieme, 2010

6. Graf R, Spieß T: Aktueller Stand der sonografischen Diagnostik kindlicher Hüftreifungsstörungen. OUP 2015; 4: 68–71

7. Grill F, Muller D: [Results of hip ultrasonographic screening in Austria]. Orthopade 1997; 26: 25–32

8. Ihme N, Altenhofen L, von Kries R, Niethard FU: [Hip ultrasound screening in Germany. Results and comparison with other screening procedures]. Orthopade 2008; 37: 541–9

9. Matthiessen HD: Zur Qualitätssicherung Sonografie der Säuglingshüfte. Kinder- und Jugendarzt 2008; 39: 123–30

10. Thaler M, Biedermann R, Lair J, Krismer M, Landauer F: Cost-effectiveness of universal ultrasound screening compared with clinical examination alone in the diagnosis and treatment of neonatal hip dysplasia in Austria. J Bone Joint Surg Br 2011; 93: 1126–30

11. Thallinger C, Pospischill R, Ganger R, Radler C, Krall C, Grill F: Long-term results of a nationwide general ultrasound screening system for developmental disorders of the hip: the Austrian hip screening program. J Child Orthop. 2014; 8: 3–10

12. Tönnis D: Die angeborene Hüftdysplasie und Hüftluxation im Kindes- und Erwachsenenalter: Springer, 1984

13. Tschauner C: Was ist von einer standardisierten sonographiegesteuerten Therapie zu erwarten? Jatros Orthopädie & Rheumatologie 2010: 38–9

14. Tschauner C, Fürntrath F, Saba Y, Berghold A, Radl R: Developmental dysplasia of the hip: impact of sonographic newborn hip screening on the outcome of early treated decentered hip joints – a single center retrospective comparative cohort study based on Graf`s method of hip ultrasonography. J Child Orthop. 2011; 5: 415–24

15. Tschauner C, Matthiessen HD: Hüftsonografie bei Säuglingen: Checklisten helfen Fehler zu vermeiden. Orthopädie & Rheuma 2012; 15: 43–7

Fussnoten

1 Allgemeines und Orthopädisches Landeskrankenhaus Stolzalpe, Österreich, Ärztliche Direktorin: Primaria Dr. Walpurga Lick-Schiffer,

Kursleiter Stufe III DEGUM, Bewegungsorgane und Säuglingshüfte; Kursleiter der ÖGUM

2 Münster, Deutschland

3 Stolzalpe, Österreich

SEITE: 1 | 2 | 3