Originalarbeiten - OUP 02/2012

Mit Explantaten in der Orthopädischen Chirurgie richtig umgehen
Dealing properly with explants in orthopaedic surgery

D. Kluess1, R. Bader1, W. Mittelmeier1

Zusammenfassung: Mit der stetig steigenden Zahl an Endoprothesen-Implantationen nimmt zwangsläufig auch die Zahl der Revisionsoperationen zu. Infolge der erhöhten Revisionsrate ist auch mit einer steigenden Zahl von Klagen der Patienten auf Schadensersatz zu rechnen. Eine korrekte Dokumentation und Asservierung der Explantate ist für die juristische Absicherung des Operateurs bzw. der behandelnden Klinik von großer Bedeutung. Für den korrekten Umgang mit entfernten Implantaten existieren derzeit keine einheitlichen Empfehlungen.

Ziel des Artikels ist es, basierend auf den Erfahrungen an unserer Klinik standardisierte Abläufe für die Dokumentation und Asservierung von Explantaten sowie die Organisation der Abläufe bei etwaigen Schadensanalysen insbesondere im Falle eines meldepflichtigen Vorkommnisses darzustellen. In einer grafisch ausgearbeiteten Prozessübersicht werden anhand von Entscheidungsbäumen die wichtigsten Arbeitsschritte dargelegt.

Mithilfe dieser Empfehlungen kann der Umgang mit Explantaten in der klinischen Routine optimiert werden, um eine lückenlose Dokumentation und adäquate Asservierung zu gewährleisten.

Schlüsselwörter: Explantat, Asservierung, Revision, Schadensfall, Vorkommnis

Abstract: The steadily increasing number of primary arthroplasties is inevitably leading to a larger number of revision surgeries. Due to the higher rate of revisions an increasing number of patient claims for compensation is expected. A precise documentation and asservation of explants is of great importance for legal protection of the surgeon resp. the clinic in charge. Presently, no standardised recommendations for dealing correctly with retrieved implants exist.

The aim of this paper is to present standardized processes for documentation and asservation of explants as well as organization of possible failure analyses especially in the case of a reportable incident based on the experience at our clinic. The major steps to be taken are demonstrated by decision trees in a graphically designed process overview.

Based on these recommendations the handling of explants in clinical routine can be optimised in order to ensure consistent documentation and adequate asservation.

Keywords: explant, asservation, revision, implant failure, incident

Einleitung

Mit der steigenden Zahl an Primärimplantationen hat in den letzten Jahrzehnten auch die Zahl der Revisionen von großen Gelenkimplantaten erheblich zugenommen. Laut der fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamts wurden 2007 in Deutschland bereits ca. 204.000 Hüftendoprothesen primär implantiert, im Jahr 2010 ca. 214.000 [1]. Der BQS-Report berichtet für das Jahr 2007 von 21.782 Hüftrevisionsoperationen in Deutschland, was gegenüber dem Jahr 2003 einer 100%igen Steigerung entspricht [2].

Zugleich mit den Revisionszahlen und aufgrund der demografischen Entwicklung steigt auch die Häufigkeit von gerichtlichen Auseinandersetzungen über mögliche Schadensfälle infolge von Implantatversagen unterschiedlicher Genese. Sehr häufig werden die Verantwortlichkeiten von Hersteller, Operateur und speziell patientenspezifischen Besonderheiten kontrovers betrachtet. Die Schadensanalyse des Explantats ist dabei ein wesentliches Element des juristischen Verfahrens.

Für den Umgang mit Explantaten gab es bisher nur wenige bzw. auch unklare Verfahrensrichtlinien. Das aktuelle Medizinproduktegesetz (MPG) von 2002 sieht vor, dass Explantate unmittelbar nach der Entfernung aus dem Körper Eigentum des Patienten sind. Häufig ist den handelnden Personen, insbesondere dem ärztlichen Personal, nicht klar, wie mit diesen Explantaten umzugehen ist. Es handelt sich um Eigentum des Patienten, aber auch um potenzielles Beweismaterial für einen eventuellen Haftpflichtprozess oder ein Klageverfahren gegen einen Hersteller.

Durch Registerdaten versuchen verschiedene Länder (federführend waren die skandinavischen Implantatregister [3]) zunehmend, Informationen über eine eventuelle Häufung von Schadensfällen in Abhängigkeit von Implantatsystem und Krankenhaus zu ermitteln. Ähnliche Entwicklungen sind zukünftig durch das 2011 etablierte Endoprothesenregister auch in Deutschland zu erwarten [4]. Über dieses Register können aber wesentliche implantatspezifische Daten zum Versagen nicht ermittelt werden, insbesondere nicht für den Einzelfall. Deshalb sollten Explantate vermehrt wissenschaftlichen und schadensanalytischen Untersuchungen zugeführt werden. Dem stehen jedoch möglicherweise die Eigentumsrechte des Patienten am Implantat entgegen. Rechtliche Rahmenbedingungen für die Verwendung, Lagerung und Bearbeitung sowie Dokumentation von Explantaten müssen daher präzisiert und vor allem auch in der klinischen Praxis umgesetzt werden.

An der Orthopädischen Klinik und Poliklinik der Universität Rostock wurde ab 2007 ein Qualitätsmanagementsystem aufgebaut, das zur Zertifizierung von Klinik, Forschungslabor und Lehrbetrieb nach ISO 9001:2008 führte. In diesem Zusammenhang wurde ein standardisiertes Verfahren zum Umgang mit Explantaten aufgebaut. Dieses Verfahren wurde auf der Basis der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie unter Berücksichtigung der klinischen Möglichkeiten und unter der Voraussetzung einer verfügbaren Einrichtung zur Schadensanalyse aufgestellt. Es wurde als standardisierter Prozess eingerichtet und ist wie nachfolgend dargestellt an unserer Klinik etabliert.

Empfehlungen zum Umgang mit Explantaten in der Orthopädischen Chirurgie

Grundsätzlich gilt, dass der Verbleib von Explantaten dokumentiert werden muss. Dabei ist zu beachten, dass bereits im Operationsbereich im Rahmen der OP-Dokumentation festgehalten werden muss, welche Schäden durch den jeweiligen Operateur während des Ausbaus am Implantat verursacht wurden, um vorbestehende Schäden am Implantat von den beim Ausbau entstandenen abgrenzen zu können.

Nach der Implantatentfernung besteht die Möglichkeit, das Explantat an den Patienten zu übergeben, der dessen Erhalt bestätigen sollte. Alternativ besteht die Möglichkeit eines zeitweiligen oder dauernden Verbleibs des Explantats in der jeweiligen Klinik. Für diesen Fall muss gewährleistet sein, dass das Explantat mit Bestimmung der zuständigen Personen unter standardisierten Bedingungen aufbewahrt wird. Dokumentation und Archivierung müssen bis zur Herausgabe des Explantats an den Patienten bzw. bis zum Ende des vorgeschriebenen Aufbewahrungszeitraums lückenlos sein.

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