Originalarbeiten - OUP 02/2012

Mit Explantaten in der Orthopädischen Chirurgie richtig umgehen
Dealing properly with explants in orthopaedic surgery

Ein temporärer oder dauerhafter Verbleib des Explantats in einer Klinik bzw. einem Labor setzt eine juristisch fundierte Regelung mit dem betreffenden Patienten voraus, bei der dieser auf sein Explantat für einen definierten Zeitraum oder endgültig verzichtet und ggf. in eine Veränderung des Explantats im Zuge wissenschaftlicher Untersuchungen einwilligt. Die Archivierung des jeweiligen Explantats muss analog zu radiologischen Dokumenten nach gesetzlichen Rahmenbestimmungen über zehn Jahre erfolgen. Nur im beiderseitigen Einverständnis kann in schriftlicher Form darauf verzichtet werden.

Das nachfolgend dargestellte Prozessschema (Abb. 1) gibt eine Empfehlung zum Vorgehen und ist aus unserer Erfahrung in Zusammenarbeit zwischen universitärem Krankenhausbetrieb und angeschlossenem Forschungslabor erwachsen. Weiterführende Dokumente zur Patientenaufklärung wurden entwickelt, finden in der täglichen Praxis Anwendung und sollen Gegenstand einer noch folgenden Veröffentlichung sein.

Zuallererst stellt sich die Frage, ob das Implantat aufgrund verschiedenster Versagensmechanismen entfernt werden musste, die auf ein bestimmtes Vorkommnis zurückzuführen sind. Ein solches Vorkommnis ist nach der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) „eine Funktionsstörung, ein Ausfall oder eine Änderung der Merkmale oder der Leistung oder eine Unsachgemäßheit der Kennzeichnung oder der Gebrauchsanweisung eines Medizinprodukts, die unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, eines Anwenders oder einer anderen Person geführt hat, geführt haben könnte oder führen könnte“ [5]. Ist als Grund für die Implantatentfernung ein Vorkommnis zu vermuten, muss dieses dokumentiert werden. In diesem Fall sollte der linke Pfad in Abbildung 1 im Hinblick auf eine exakte Dokumentation lückenlos abgearbeitet werden.

Eine Explantatasservierung gemäß dem Pfad rechts (Abb. 1), d. h. Aufbewahrung in der Klinik oder beim Patienten, empfehlen wir bei jeder Implantatentfernung, um im Fall einer kontroversen Beurteilung der Frage, ob ein Vorkommnis vorliegt oder nicht, durch den Patienten oder Dritte stets die notwendigen Maßnahmen getroffen zu haben, damit das Explantat nicht verloren geht. Grundsätzlich bestehen gemäß § 12 MPSV „Mitwirkungspflichten“, in deren Rahmen die Anwender dafür Sorge zu tragen haben, „dass Medizinprodukte und Probematerialien, die im Verdacht stehen, an einem Vorkommnis beteiligt zu sein, nicht verworfen werden, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind“.

Für die Dokumentation sollte ein eigener Aktenordner angelegt werden, in dem zu jedem Schadensfall Kopien der Röntgenbilder, klinische Befunde und OP-Berichte inklusive der Implantataufkleber der Primär- und Revisionsoperation bzw. Explantation aufbewahrt werden. Mithilfe einer makroskopischen Analyse ist eine etwaige Fehlerursache vorläufig festzustellen und innerhalb von 30 Tagen nach Feststellung des Vorkommnisses eine Meldung an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu verfassen. Das Meldeformular ist z. B. auf der Homepage des BfArM erhältlich (www.bfarm.de). In diesem Zusammenhang muss betont werden, dass die Sicherheit von Medizinprodukten durch die konsequente und vermehrte Durchführung der Meldungen erhöht werden kann [6]. Neben der BfArM-Meldung empfehlen wir zusätzlich eine Meldung des Vorkommnisses beim jeweiligen Implantathersteller. Für die Details des Meldeverfahrens sei auf den Artikel von Blömer et al. [7] verwiesen.

Im Rahmen der Explantatasservierung steht zunächst die Frage im Vordergrund, ob der Patient eine Aushändigung des Explantats wünscht. Es hat sich an unserer Klinik bewährt, den Patienten bereits vor der Operation dazu zu befragen und ggf. die Einverständniserklärung, die jederzeit vom Patienten widerrufen werden kann, unterzeichnen zu lassen. Der Patient muss darauf hingewiesen werden, dass im Fall einer juristischen Auseinandersetzung mit der Herstellerfirma und/oder dem jeweiligen Krankenhausträger die Verfügbarkeit des Explantats wesentliche Bedeutung besitzt. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Operateurs ist die sichere Aufbewahrung eines Explantats in der eigenen Einrichtung zu empfehlen, um es im Fall einer juristischen Auseinandersetzung für die Schadenanalyse durch unabhängige Gutachter bereitstellen zu können.

Im Rahmen einer Operation fällt die Entscheidung, ob größere Gewebereste oder Teilresektionen bei der Implantatentfernung angefallen sind und diese für eine eventuelle Schadensanalyse oder wissenschaftliche Zwecke ebenfalls verwahrt werden sollten. Ist dies der Fall, sollten die betreffenden Komponenten in Formalin eingelegt und in einer formalinbeständigen Box aufbewahrt werden. In jedem Fall ist eine Fotodokumentation der Explantate anzuraten und das Bildmaterial sollte digital gespeichert werden. Wird von einer Aufbewahrung biologischen Materials abgesehen, sollten die Explantate nach Möglichkeit von Geweberesten befreit und desinfiziert werden. Insbesondere bei Implantatbrüchen werden die einzelnen Fragmente in separate Plastikbeutel und dann zusammen in eine luftdichten Plastikbox verpackt und darin aufbewahrt. Auf die Box ist ein Etikett mit Name und Geburtsdatum des Patienten sowie dem Datum der Wechseloperation/Explantation aufzukleben. Die Box wird an unserer Einrichtung in einem verschließbaren Schrank unter Raumtemperatur aufbewahrt. Jegliche weitere Verwendung des Explantats muss vom Patienten genehmigt und der weitere Verbleib sowie etwaige Veränderungen müssen festgehalten werden. Dies bedeutet, dass ein Weiterleiten des Explantats an die Herstellerfirma oder an ein Labor/einen Gutachter für Schadensanalysen vorab vom Patienten genehmigt werden muss.

Empfehlungen zur Organisation von Schadensanalysen

Für die Schadensanalyse stehen vielfältige wissenschaftliche Methoden bereit. Die genaue Analyse eines Schadenshergangs sollte jedoch nach Möglichkeit immer die Gesamtheit der patientenindividuellen, chirurgischen und implantattechnischen Randbedingungen erfassen. Eine sorgfältige Dokumentation und Asservierung ist daher der Risikobewertung dienlich. Eine Übersicht über die Grundlagen der Schadensanalyse ist am Beispiel der Knieendoprothetik in [8] dargestellt.

Im Fall einer Schadensanalyse stellt sich die Frage, wer diese durchführt. Laut § 12 MPSV [5] ist der Hersteller zur Durchführung der erforderlichen Untersuchungen für die Risikobewertung verpflichtet. Bei diesem Vorgehen ist fraglich, inwieweit der Hersteller sich ein eigenes Verschulden attestieren wird. In § 10 MPSV ist geregelt, dass auch Dritte (z. B. benannte Stellen, Personen mit entsprechender Fachkenntnis) in das Verfahren der Risikobewertung einbezogen werden dürfen. In dem Schema in Abbildung 2 sind daher für die Schadensanalyse drei mögliche Pfade eingerichtet.

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