Übersichtsarbeiten - OUP 05/2021

Möglichkeiten der Endoskopie bei der lumbalen Spinalkanalstenose

Bei nur wenigen Millimetern Abstand zu den anatomischen Strukturen können unter starker Vergrößerung und optisch herausragender Visualisierung ein breites Spektrum an komprimierenden Pathologien wie Bandscheibenvorfällen, Spinalkanal-/Recessusstenosen, Bandscheibenzysten oder Synovialgelenkzysten mit Fräsen, Fasszangen u.a.m. behandelt werden (Abb. 4).

Unterschieden werden der interlaminäre Zugang (von dorsal, Mittellinienzugang) sowie der transforaminale (laterale) bzw. posterolaterale Zugang mit einem jeweils weiter lateral gelegenen Eintrittspunkt. Die Wahl des Zugangs richtet sich nach der Pathologie und der zu adressierenden Zielregion. Es handelt sich somit um komplementäre und nicht um konkurrierende Zugangstechniken, die entsprechend der zugrunde liegenden Pathologie adäquat gewählt werden sollten.

Prinzipiell sind sämtliche Nervenwurzelkompressionssyndrome im Bereich der HWS, BWS und LWS inkl. Revisionseingriffen der Endoskopie zugängig[5, 6]. Die Wahl des Verfahrens ist im Wesentlichen von der Erfahrung des Operateurs im Umgang mit dieser Technik abhängig. Als nachteilig empfunden wird dabei die bekanntermaßen lange und flache Lernkurve [3, 7]. Eine adäquate chirurgische Exposition und frequentierte Durchführung sind zum sicheren und kompetenten Erlernen dieser Eingriffe unerlässlich, die Ausbildung in größeren Zentren mit entsprechender Expertise ist vor diesem Hintergrund vorteilhaft.

Technik der vollendoskopischen „over-the-top“-Dekompression der lumbalen Spinalkanalstenose

Die lumbale Spinalkanalstenose und die operative Dekompression derselben stellt die häufigste Indikation für wirbelsäulenchirurgische Eingriffe dar.

Die vollendoskopisch durchgeführte beidseitige Dekompression des Spinalkanals wird über den interlaminären Zugang durchgeführt, der transforminale oder der posterolaterale Zugang sind hierfür ungeeignet. Das Vorgehen erfolgt dabei über einen unilateralen Zugang mit Dekompression der zentralen und ipsilateralen Strukturen, gefolgt von dem sog. „over-the-top“-Vorgehen zur Gegenseite. Die Wahl der Zugangsseite wird dabei von Faktoren bestimmt wie Lage der Pathologie (z.B. bei NPP oder Zysten), dem Vorliegen einer klinisch dominanten Seit-Symptomatik, begleitender Rotation des zu operierenden Segments oder aber auch einem möglichen Tilting zu einer Seite.

Der Patient wird zur Durchführung des Eingriffs in Bauchlagerung gelagert. Unter fluoroskopischer Kontrolle wird das interlaminäre Fenster auf Hautniveau markiert und hier eine Stichinzision in der Mittellinie bzw. leicht paramedian gesetzt. Über Trokar und Hülse wird das Endoskop im Übergangsbereich der knöchernen Strukturen von Facettengelenk/Lamina und dem interlaminären Fenster mit Sicht nach medial platziert. Ab hier erfolgt das gesamte weitere operative Vorgehen unter endoskopischer Sicht.

Die Zugangspräparation zur Wirbelsäule kann somit atraumatisch innerhalb von 1–2 Minuten und dabei nahezu unabhängig vom Gewicht des Patienten vorgenommen werden. Die knöchernen anatomischen Strukturen mit kranialer Lamina sowie lateral Facettengelenk werden dargestellt. Es erfolgt die Erweiterung des interlaminären Fensters in kraniokaudaler sowie lateraler Richtung. Die Erweiterung erfolgt nach kranial bis zum Ansatz des Lig. flavum unterhalb der Lamina, welches von der kranialen Insertion nach kaudal luxiert und anschließend schichtweise reseziert wird. Zur suffizienten Dekompression sollte das Lig. flavum vollständig reseziert werden. Der zentralen Dekompression des Spinalkanals folgt die ipsilaterale (knöcherne und ligamentäre) Recessusdekompression mit kaudalem Darstellen und Dekompression des vorbeiziehenden Spinalnervs. Das Bandscheibenfach wird identifiziert. In Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Pathologie kann der Eingriff um eine Diskektomie, Sequestrektomie oder Entfernung einer Synovialgelenkszyste erweitert werden.

Durch Schwenken des Operationsmikroskops erfolgt die Dekompression nach kontralateral in „over-the-top“-Technik zur Gegenseite.

Es folgt die abschließende Inspektion mit Überprüfung der vollständigen Dekompression aller neuraler Strukturen sowie Blutstillung. Der Wundverschluss erfolgt nach Entfernen der Operationsinstrumentarien mit einer einzigen Einzelknopfnaht.

Nachbehandlung

Die Patienten werden innerhalb von 3–4 Stunden nach der OP sofort mit Vollbelastung mobilisiert. Der stationäre Aufenthalt beträgt in der Regel 48 Stunden und wird getriggert durch äußere Faktoren wie dem zugrundeliegenden DRG-System. Die Anlage einer Orthese ist bei alleiniger Dekompression nicht erforderlich.

Alltagsaktivitäten können sofort uneingeschränkt ausgeführt werden. Für die Phase der Wundheilung erfolgt noch eine leichtere körperliche Schonung, danach ist der Übergang zur vollen körperlichen Belastung inkl. sportlicher Aktivität möglich.

Reguläre postoperative klinische/radiologische Verlaufskontrollen sind bei beschwerdefreiem Patienten nicht erforderlich.

Risikospektrum/
Komplikationen

Ähnlich wie bei mikrochirugischen Eingriffen können Nachblutungen mit postoperativem epiduralem Hämatomen oder Duraläsionen auftreten. Revisionseingriffe können dabei ebenfalls vollendoskopisch durchgeführt werden. Das Risiko einer Infektion/Wundheilungsstörung kann bei der vollendoskopischen Technik nahezu eliminiert werden (s.u.).

Vorteile der Endoskopie

Die Vorteile der endoskopischen Technik liegen in der weiteren Reduktion der Zugangsmorbidität. Ein nur minimaler Wundschmerz wird von den Patienten als positiv empfunden und unterstützt die frühzeitige Mobilisation. Die Dekompression der neuralen Strukturen bewirkt die sofortige Schmerzreduktion der Radikulopathien, wobei die intraoperative Spülung mit Kochsalzlösung einen zusätzlichen positiven Effekt mit Ausschwemmung inflammatorischer Mediatoren bewirkt („Lavage“).

Die Visualisierung kann nochmals durch die unmittelbare räumliche Nähe des Endoskops zu den anatomischen Strukturen (im Gegensatz zur räumlich distanzierten „Aufsicht“ beim Mikroskop mit einem „Heranzoomen“) verbessert werden. Als initial gewöhnungsbedürftig, aber im weiteren Verlauf vorteilhaft, erweist sich hierbei die um 25° gewinkelte Optik mit der, ähnlich einem Periskop „um die Ecke“ geschaut werden kann. Hierdurch wird das einsehbare Sichtfeld im Gegensatz zur geraden mikrochirurgischen Aufsicht nochmals deutlich erweitert.

Das Risiko von Infektionen und/oder Wundheilungsstörungen kann bei vollendoskopischem Vorgehen nahezu eliminiert werden. Grund hierfür ist einerseits die nur minimale Wundfläche, die während des gesamten Eingriffs spannungsfrei durch das Endoskop abgeschlossen wird. Die stetige Spülung mit steriler Kochsalzlösung beugt einer Keimverschleppung in den Situs vor. Darüber hinaus entfällt der Einsatz von Gewebespreizern im Rahmen der Mikrochirurgie, der bei kleinen Hautschnitten und zu starker Distraktion zu Wundheilungsstörungen prädisponiert.

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