Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Multimodale Therapie bei chronischer Lumbago
Gemeinsam sind wir stärker!

Tobias Heck, Elena Boebel, Michael Fritz

Zusammenfassung:
Chronische Lumbago ist im täglichen Patientengut ein sehr häufiges Krankheitsbild und führt nicht selten zu starken Alltagseinschränkungen der Patienten sowie zu hohen Kosten im Sozialsystem. Die zur Verfügung stehenden medikamentösen und interventionellen Therapien alleine weisen oftmals einen nur limitierten Effekt auf, weil es sich beim Krankheitsbild der chronischen Lumbago in der Regel nicht um eine monokausale Erkrankung handelt, sondern ein Syndrom mit organischen und psychischen Anteilen vorliegt. Um diesem vielschichtigen Krankheitsbild gerecht zu werden, werden interdisziplinäre und integrierte Therapien benötigt. Insbesondere bevor bei dieser Patientengruppe eine operative Maßnahme in Betracht gezogen wird, sollten konservative Maßnahmen einschließlich einer multimodalen Schmerztherapie erfolgt sein.

Schlüsselwörter:
Schmerztherapie, chronische Schmerzen, Rückenschmerz, unspezifische Lumbago, Kreuzschmerz, multimodale Schmerztherapie, Schmerzpsychologie

Zitierweise:
Heck T, Boebel E, Fritz M: Multimodale Therapie bei chronischer Lumbago.
OUP 2020; 9: 256–263 DOI 10.3238/oup.2020.0256–0263

Summary: Chronic lower back pain is a very commonly seen affliction in our everyday patients, often associated with significant disability in daily activities, as well as high social costs. Available pharmacological and interventional therapies (as monotherapy) lead more often than not to only limited results. The reasons behind this concern the etiological ramifications of lower back pain, which should not be approached as a monocausal disease, but rather as complex syndrome of organic and psychological elements requiring integrative and interdisciplinary treatment. Before considering surgery, the patients should undergo an interdisciplinary multimodal pain therapy.

Keywords: pain therapy, chronic pain, back pain, unspecific lower back pain, multimodal pain therapy, pain psychotherapy

Citation: Heck T, Boebel E, Fritz M: Multimodal management of chronic lower back pain.
OUP 2020; 9: 256–263 DOI 10.3238/oup.2020.0256–0263

Michael Fritz: SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Abteilung Schmerztherapie

Elena Boebel: SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Abteilung Schmerzpsychologie

Tobias Heck: SRH Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Abteilung Neurologie

Einleitung

Chronische Lumbago ist mit einer Inzidenz von 10 % in Deutschland häufig, führt oft zu starken Alltagseinschränkungen und geht mit hohen Kosten für das Sozialsystem einher [56].

Zur Differenzierung unspezifischer und spezifischer Rückenschmerzen wurde die „diagnostische Triage“ mit „roten und gelben Flaggen“ etabliert. Diese „Flaggen“ sind Warnzeichen aus der körperlichen Untersuchung und der Anamnese. Die „roten Flaggen“ sprechen hierbei für eine spezifische Schmerzursache und sollten zu schneller (ggf. notfallmäßiger) Diagnostik veranlassen. Die gelben Flaggen hingegen zeigen mehr Zusammenhang mit der Chronifizierung als mit somatischen Faktoren (siehe unten) [14]. Es wurde verschiedentlich gezeigt, dass eine höhere statistische Korrelation zwischen chronischen Rückenschmerzen und Depression besteht als zu spezifischen bildgebenden Veränderungen im MRT [30]. Zwar sind die unterschiedlichen bildgebenden Veränderungen mit Schmerzen statistisch assoziiert, es kann aber in umgekehrter Richtung nicht direkt von einer bildgebenden Pathologie auf die Schmerzursache rückgeschlossen werden [15]. Diese Tatsachen machen deutlich, dass es sich im Fall von chronischen Rückenschmerzen um eine polykausale Genese handelt, welche die Notwendigkeit einer interdisziplinären Behandlung nach sich zieht. Konservative interdisziplinäre Maßnahmen sollten entsprechend aktueller Leitlinien vor operativen Verfahren ausgeschöpft werden. [52]. Hierzu gehören unbedingt eine interdisziplinäre Abklärung und Therapie, wobei multimodale Konzepte sehr gute Ergebnisse liefern [71].

Wir möchten hier eine Übersicht über verschiedene Optionen einer konservativen Behandlung geben, ohne jedoch in diesem Rahmen eine abschließende allumfassende Empfehlung geben zu können.

Medikamentöse Behandlung

Das WHO Stufenschema ist auf die Behandlung chronischer Nicht-Tumor Schmerzen kaum übertragbar, unter anderem weil sich mit zunehmender Chronifizierung die zentrale Repräsentation in den Hirnarealen von nozizeptiven hin zu emotionalen Zentren verschiebt [22] und somit wesentlich komplexere Vorgänge bestehen als bei einer eher linearen Progression einer Tumorerkrankung [70].

Insgesamt gibt es für eine längerfristige medikamentöse Behandlung bei chronischer Lumbago nur einen mäßigen Wirksamkeitsnachweis, es bestehen jedoch relevante Risiken einer Medikation insbesondere bei der Langzeitanwendung [7].

Nicht-Opiat-Analgetika

Eine passagere Wirksamkeit von NSAR bei chronischer Lumbago besteht zweifelsohne [16], sodass diese Präparate zur Behandlung noch am ehesten empfohlen werden [7]. Jedoch weisen sämtliche dieser Präparate diverse, im klinischen Alltag relevante Wechsel- und Nebenwirkungen auf [47]. Beispielhaft zu nennen sind hier die Wechselwirkungen zwischen Ibuprofen mit niedrigdosiertem ASS [5]. Eine Dauerbehandlung mit NSAR wird aufgrund des Nebenwirkungsprofils in der interdisziplinären Leitlinie somit explizit nicht empfohlen. Die Alternative Metamizol stellt ebenfalls nur im Einzelfall und bei Vorliegen von Kontraindikationen und Unverträglichkeiten eine Option dar. Eine Einnahme von Paracetamol hingegen wird aufgrund zu geringer Wirkung und fehlender Evidenzlage nicht empfohlen [7].

Muskelrelaxantien

Es konnte in einer Cochrane Analyse zwar ein kurzzeitiger signifikanter Effekt von Muskelrelaxantien gezeigt werden, was jedoch mit einem deutlich erhöhten Auftreten von Nebenwirkungen verbunden war [65]. Aufgrund des ausgeprägten Nebenwirkungsprofils der zentralen Muskelrelaxantien wird von einer Behandlung bei chronischem, nicht spezifischem Kreuzschmerz abgeraten [7]; allenfalls bei unzureichender Besserung einer akuten Lumbago könnte diese Medikation in Betracht gezogen werden. Die Zulassung dieser Medikamente wurde in den letzten Jahren ohnehin stark eingeschränkt und reguliert. Die bei schmerzhaften Muskelverspannungen am verbreitetsten eingesetzten Präparate haben eine Einschränkung der Behandlungsdauer: Methocarbamol darf 30 Tage, Orphenadrin 1 Woche und Diazepam in dieser Indikation maximal 4 Wochen eingesetzt werden. Andere Präparate wie ?2-Adrenozeptor-Agonisten sind für schmerzhafte Muskelspastik zugelassen, die bei isolierten chronischen Rückenschmerzen ohne Begleiterkrankungen in der Regel nicht vorliegen. Tolperison ist für diese Indikation nicht mehr zugelassen, die Zulassung von Tetrazepam ruht.

Opiate

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