Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Multimodale Therapie bei chronischer Lumbago
Gemeinsam sind wir stärker!

Die Vermittlung in eine ambulante Psychotherapie sollte bei relevanten psychosozialen Belastungsfaktoren, psychischer Komorbidität, relevanten dysfunktionalen Krankheitsannahmen, starken funktionellen Beeinträchtigungen oder bei anhaltend schwieriger Arzt-Patient-Beziehungen erfolgen. Die Motivation für eine Psychotherapie wird zum einen durch das frühzeitige Thematisieren psychosozialer Aspekte, parallel zur somatischen Diagnostik, aufgebaut. Zum anderen kann dem Patienten mitgeteilt werden, dass Psychotherapie eine wissenschaftliche Therapie mit psychologischen Mitteln ist, die auch bei körperlichen Beschwerden wie Schmerzen hilft. Entscheidend ist, dass Psychotherapeuten „mit ins Boot geholt“ werden und Patienten nicht an diese „abgeschoben“ werden [53].

Im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie setzen psychologische Interventionen neben der Psychoedukation über Schmerzen, dem Aufbau von Ressourcen und der direkten Schmerzbewältigung, z.B. durch Ablenkung, an den psychosozialen Risikofaktoren sowie den psychischen Komorbiditäten an. Zusätzlich können weitere Verfahren wie Akzeptanztherapie, EMDR und Biofeedback genutzt werden.

Akzeptanztherapie: Wenn der Kampf gegen die Schmerzen zu anstrengend wird und alle Aktivitäten dem Schmerz untergeordnet werden, kann der Ansatz der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) genutzt werden [10]. Hier geht es darum, dass die Patienten eine annehmende und flexible Haltung den Schmerzen gegenüber einnehmen und das Leben wieder aktiv und bewusst entsprechend den eigenen Zielen und Werten gestalten.

EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing): Bei dieser speziellen Psychotherapieform wird der Patient durch eine bilaterale Stimulation über Rechts-Links-Augenbewegungen dabei unterstützt, eigene Selbstheilungskräfte zu aktivieren und belastende Erinnerungen zu verarbeiten. Ursprünglich entwickelt für die Behandlung von Traumafolgestörungen, gibt es mittlerweile gute Wirksamkeitsnachweise bei der Behandlung von chronischen Schmerzen [63].

Biofeedback: Mit Biofeedback können über verschiedene Sensoren vegetative, eigentlich unbewusste Körperfunktionen wie z.B. Puls, Hauttemperatur, Muskeltonus oder auch die Atemfrequenz auf einem Computer-Bildschirm sichtbar gemacht werden, die der Patient dann lernen kann zu beeinflussen. Bei chronischen Rückenschmerzen besteht das Ziel in der Regel darin, Muskelaktivität paravertebral oder am Schultergürtel zu reduzieren. Dies erfolgt einerseits dadurch, dass Fehl- und Schonhaltungen abgebaut werden, andererseits geht es aber auch darum, individuelle Auslöser für psychische oder muskuläre Anspannungsreaktionen zu beobachten, um diesen dann entspannende Strategien zur Gegensteuerung entgegenzusetzen [68].

Andere Therapieformen

Im Rahmen dieses Artikels ist es lediglich möglich, beispielhaft einige wenige Therapiemethoden zu erwähnen, eine besondere Wertigkeit dieser im Vergleich zu anderen Therapieverfahren ist hierdurch nicht abzuleiten.

Akupunktur

Mehrere Studien liegen vor, die eine Effektivität von Akupunktur bei chronischer Lumbago belegen [3, 21]. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass durch Akupunktur insbesondere kurzfristig die Funktionalität verbessert wird und langfristig die Schmerzlinderung besser als durch Medikamente erreicht werden kann [9]. Die derzeitige Studienlage hat letztlich dazu geführt, dass Akupunktur bei chronischen Rückenschmerzen auch in die Nationale Versorgungsleitlinie als Empfehlung aufgenommen wurde [7] und eine Kostenübernahme durch die GKV möglich ist. Auf die besondere Problematik eines hochwertigen Studiendesigns bei Akupunkturstudien soll hier jedoch nicht näher eingegangen werden.

Neuraltherapie

Obwohl Neuraltherapie bei chronischer Lumbago, vor allem mit myofaszialem Schmerzanteil, regelmäßig mit Erfolg angewendet wird, ist die objektive Studienlage diesbezüglich dünn [66].

Yoga

In einer großen systematischen Übersichtsarbeit wurden 14 Studien ausgewertet, bei denen zusammenfassend ein positiver Effekt durch Yoga auf die Schmerzstärke verglichen mit Standardbehandlung, Übungen oder Patientenaufklärung gezeigt werden konnte, auch wenn die Effekte teilweise schwach oder nicht signifikant waren [9].

Multimodale Schmerztherapie

Die multimodale Schmerztherapie dient der Behandlung chronischer Schmerzen, da diese im Gegensatz zu akuten Schmerzen ein umfangreicheres Vorgehen erfordert. Grundlegende Vorstellung ist, dass chronische Schmerzen nicht mehr allein rein somatisch betrachtet und therapiert werden können. Ein Erfolg ist nur dann zu erreichen, wenn weitere Faktoren sowohl in der Genese als auch der Therapie eruiert und mitberücksichtigt werden. Schwierigkeiten ergeben sich oftmals daraus, dass der zugrundeliegende Auslöser nicht mehr nachweisbar ist, die Schmerzen jedoch persistieren. Eine rein eindimensionale Therapie würde hier zu kurz greifen. Die multimodale Schmerztherapie ist in diesem Kontext wissenschaftlich anerkannt und etabliert: Zum Beispiel konnte in einer 2018 publizierten Studie über die längerfristige Wirksamkeit einer multimodalen Schmerztherapie bei chronischen Rückenschmerzen eine hoch signifikante Verbesserung von Lebensqualität, Schmerzlinderung, Depressivität und Vitalität gezeigt werden. Auch ein halbes Jahr danach fanden sich statistisch signifikante Verbesserungen der Alltagsbeeinträchtigungen und Funktionalität, welche auch noch nach 10 Jahren nachzuweisen waren [71].

Ein guter Erfolgsparameter für die Behandlung chronischer Schmerzen ist die Rate der wieder erreichten Arbeitsfähigkeit. Auch aus ökonomischen Gesichtspunkten stellten Untersuchungen der großen Krankenkassen fest, dass eine solche Therapie einer alleinigen Operation oder Infiltrationstherapie deutlich überlegen ist. Unterstrichen wird die Bedeutung durch Berichte z.B. der Barmer Ersatzkasse, die von 3,25 Mio. Menschen mit chronischen Schmerzen in Deutschland ausgeht. Andere Zahlen sind noch wesentlich höher und vermuten einen Anteil von über 23 Mio.. Der Bericht der Barmer konstatiert ebenfalls, dass nur 0,043 % der betroffenen Patienten (in Baden-Württemberg) auch eine multimodale Schmerztherapie [50] erhalten. Diese Tatsache steht im Widerspruch zur alltäglichen und zunehmenden Problematik der Kostenübernahme einer multimodalen Schmerztherapie durch die GKV [52]. Die diesbezüglichen Schwierigkeiten spiegeln sich insbesondere in einer durchschnittlichen deutschlandweiten MDK-Prüfquote von 40 % im Jahr 2019 wider [39]. Auf Seiten der Leistungserbringer führt dies zu erheblichen betriebswirtschaftlichen Risiken und nicht zu einer Ausweitung des Leistungsangebots, welche paradoxerweise selbst aus Sicht der Kostenträger in oben genannter Stellungnahme als sinnvoll erachtet wird.

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